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Online wächst: Jetzt geraten auch die Schweizer Apotheken unter Druck

Offene Medikamentenschränke in einer Apotheke
Lokale Apotheken sind ein wesentlicher Bestandteil des Gesundheitssystems, da sie jedes Jahr Millionen von Patientinnen und Patienten mit Medikamenten, Ratschlägen und vielem mehr versorgen. Keystone / Gaetan Bally

In vielen Teilen der Welt verschwinden konventionelle Apotheken. Sie fallen den steigenden Kosten und der wachsenden Konkurrenz durch Online-Händler zum Opfer. Die Schweiz ist davon bisher verschont geblieben. Doch der Veränderungsdruck wächst.

Wenn Schweizer:innen Medikamente abholen, kaufen oder sich bei alltäglichen Beschwerden von Hautausschlägen bis hin zu Verdauungsproblemen beraten lassen wollen, geht ein Grossteil von ihnen in die lokale Apotheke.

Im Gegensatz zu den USA, wo Apotheken in Läden integriert sind, in denen Süssigkeiten und Glückwunschkarten verkauft werden, ähneln die Schweizer Apotheken eher medizinischen Einrichtungen.

Trotz dieser Unterschiede sind traditionelle Apotheken ein wesentlicher Bestandteil der Gesundheitssysteme. In vielen Ländern befinden sie sich jedoch in einer Krise.

Ob steigende Kosten für Energie und Personal oder wachsende Ausgaben im Gesundheitswesen – Patient:innen, Versicherer und Gesundheitsbehörden suchen nach Möglichkeiten, Geld zu sparen, während Online-Händler einen immer grösseren Marktanteil erobern.

«Apotheken stehen unter grossem Druck, als Unternehmen, aber vor allem als erste Anlaufstelle zwischen Patienten und dem Gesundheitssystem», sagt Ilaria Passarani, Generalsekretärin des Europäischen Apothekerverbands (PGEU).

«Apotheken, die bereits unter Personalmangel leiden, bieten den Patienten mehr Dienstleistungen an, um den Druck auf Ärzteschaft und Pflegefachpersonen zu verringern. Aber ihre Leistungen werden nicht angemessen vergütet.»

Als Reaktion darauf schliessen in vielen Teilen der Welt immer mehr lokale Apotheken, die als Einzelhandelsgeschäfte Arzneimittel ausserhalb von Spitälern verkaufen.

Im Oktober kündigte WalgreensExterner Link, eine der grössten Drogerieketten in den USA, an, in den nächsten drei Jahren 25 Prozent seiner 8600 Filialen zu schliessen.

In DeutschlandExterner Link ist die Zahl der Apotheken von rund 21’500 im Jahr 2000 auf etwas mehr als 17’000 zurückgegangen.

In JapanExterner Link meldeten im ersten Halbjahr 2024 rund 22 Apotheken Insolvenz an, fast dreimal so viele wie im Vorjahr und die höchste jemals in diesem Zeitraum registrierte Zahl.

In GrossbritannienExterner Link haben nach Angaben des nationalen Apothekerverbands in den vergangenen zwei Jahren 700 von rund 14’000 Apotheken geschlossen.

Auch in der Schweiz wächst der Druck, wenngleich Massenschliessungen bisher ausgeblieben sind.

Die Zahl der Apotheken ist seit 2008 mit rund 1800 stabil geblieben. Aber es drohen grosse Umwälzungen, da die Behörden eine Lockerung der Kontrollen für Online-Apotheken vorbereiten, was den Weg für mehr Wettbewerb ebnen könnte.

«Online-Apotheke» (auch bekannt als Internet- oder Versandapotheke) ist ein Oberbegriff für Einzelhändler, die verschreibungspflichtige Arzneimittel abgeben oder nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel direkt per Post an Patient:innen verkaufen sowie Informationen über ihre Produkte und Dienstleistungen über das Internet bereitstellen.

Dazu gehören Einzelhandelsketten (z.B. Amazon), die online tätig sind, Online-Apotheken, die ausschliesslich online tätig sind, und stationäre Apotheken mit einer Online-Präsenz.

Quelle: Internationaler PharmaverbandExterner Link

Starke Tradition

Die Apotheken in der Schweiz sind von grösseren Umwälzungen verschont geblieben. Das ist zu einem grossen Teil auf die Regulierung und Struktur der Branche sowie auf die traditionelle gesellschaftliche Wertschätzung für Apotheken und der von ihnen erbrachten Dienstleistungen zurückzuführen.

Schweizer Apotheken profitieren auch von einer starken Regulierung der Arzneimittelpreise. Das Bundesamt für Gesundheit legt einen Höchstpreis für Arzneimittel fest, die von den Krankenkassen erstattet werden.

Darin enthalten ist ein fixer Betrag, den die Apotheken für Logistik und Dienstleistungen wie die Überprüfung der Packungsetiketten erhalten.

Während regulierte Preise in vielen Ländern anzutreffen sind, steht dies in krassem Gegensatz zu den USA, wo ein weitgehend freier Arzneimittelmarkt und wenig Transparenz bei der Preisgestaltung herrschen.

Das hat dazu geführt, dass US-Apotheken von Versicherungsunternehmen und Vermittlern wie Pharmacy Benefit Managern abhängig sind, die den Apotheken «Spottpreise zahlen – oft unter dem Preis, zu dem die Apotheke das Produkt von ihrem Händler gekauft hat», wie Michael Hogue, Geschäftsführer der American Pharmacists Association, in einer E-Mail an SWI erklärt.

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Im Vergleich zu anderen Industrieländern weist die Schweiz mit rund 21 Apotheken pro 100’000 Einwohner:innen eine relativ geringe Apothekendichte auf, was unter dem EU-Durchschnitt von 32 Apotheken liegt. In einigen Kantonen ist die Dichte noch geringer, da auch Ärzt:innen Medikamente abgeben dürfen.

Die Expansionswelle der 1990er-Jahre in Grossbritannien und den USA, als Walgreens die Zahl seiner Filialen in etwas mehr als einem Jahrzehnt verdoppelte, blieb in der Schweiz aus.

Dies liegt zum Teil daran, dass die Hürden für die Eröffnung einer Apotheke – sei es physisch oder online – hoch sind.

Um rezeptpflichtige Medikamente abgeben und die meisten rezeptfreien und freiverkäuflichen Arzneimittel (OTC) verkaufen zu dürfen, muss eine Apotheke von der Schweizerischen Arzneimittelbehörde Swissmedic zugelassen, von den kantonalen Behörden inspiziert und von einer zugelassenen Apothekerin oder einem zugelassenen Apotheker beaufsichtigt werden. Die Produktinformationen müssen zudem in den drei Landessprachen Deutsch, Französisch und Italienisch vorliegen.

Der Online-Verkauf ist mit zusätzlichen Hürden verbunden. Im Jahr 2016 wurde in der Schweiz ein Gesetz eingeführt, das den Online-Verkauf von rezeptfreien Medikamenten wie Desinfektionscremes, Hustensaft und Ibuprofen ohne Rezept verbietet und eine ärztliche Beratung vorschreibt.

Zudem gibt es in der Schweiz nach wie vor kein elektronisches Rezept, wie es Deutschland dieses Jahr eingeführt hat, was die Logistik erschwert und die Kosten erhöht. Andere Länder wie Dänemark haben bereits vor Jahren vollständig auf elektronische Rezepte umgestellt.

Viele dieser Vorschriften dienen dem Schutz der Patientensicherheit, besonders angesichts des wachsenden Problems des Verkaufs gefälschter Arzneimittel über das Internet, aber sie behindern auch den Wettbewerb durch Online-Händler.

E-Commerce-Websites für den Verkauf von Arzneimitteln wie Amazon oder Alibaba boomen in vielen Ländern wie China, Indien, den USA und Brasilien.

Laut dem Forschungsunternehmen IQVIAExterner Link wurden in der Schweiz im ersten Halbjahr 2024 nur rund 4,8 Prozent aller Medikamente online gekauft. Rund 43 Prozent wurden in lokalen Apotheken gekauft, die andere Hälfte in Spitälern und Arztpraxen.

In China macht der Online-Verkauf etwa 30 Prozent des Pharmamarkts aus. In den USA werden rund 37 Prozent des Umsatzes mit verschreibungspflichtigen Medikamenten über VersandapothekenExterner Link erzielt.

Kostendruck und Engpässe

Bisher hat sich das Schweizer System für Patient:innen und öffentliche Apotheken bewährt. Doch es zeigt erste Risse.

«Die Schweizer Apotheken stehen unter Druck – sowohl finanziell als auch personell», sagt Gregory Nenniger, Leiter Digitale Kommunikation beim Schweizerischen Apothekerverband Pharmasuisse.

Die vom SWI swissinfo.ch befragten Apotheker:innen geben an, dass die gestiegenen Energiekosten und Löhne ihre Gewinne schmälern. Laut einem Apotheker in Bern wird es immer schwieriger, ausgebildete Apotheker:innen zu finden, die überhaupt in einer Apotheke arbeiten, geschweige denn eine bestehende Apotheke übernehmen wollen.

Um zu überleben, haben sich viele unabhängige Apotheken, die zwei Drittel aller traditionellen Apotheken ausmachen, Netzwerken wie der Dr. Gurtner Gruppe oder Toppharm angeschlossen, um durch Grosseinkäufe, gemeinsame Schulungen und günstigere Kreditkonditionen Geld zu sparen.

Apotheken diversifizieren auch ihr Dienstleistungsangebot um Impfungen, Allergietests und Ernährungsberatung, um zusätzliche Einnahmen zu erzielen und den Beruf für Apotheker:innen attraktiv zu halten.

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Der Medikamentenmangel verschärft jedoch die Situation. Im Oktober 2024 waren in der Schweiz mehr als 1000 Medikamente, hauptsächlich preisgünstige Generika, nicht verfügbar. Im Mai 2021 waren es rund 450, wie die Überwachungswebsite Drugshortages.ch berichtet.

«Lieferengpässe aufgrund globaler Krisen stellen die Apotheken vor grosse Herausforderungen: Mehrarbeit, für welche die Apothekerinnen und Apotheker nicht entschädigt werden», sagt Nenniger.

Auch im gesamten Gesundheitssystem wächst der Druck, die Ausgaben zu senken, wovon die Apotheken nicht ausgenommen sind. Schon heute hat die Schweiz nach den USA das zweitteuerste Gesundheitswesen der Welt.

Weil die Bevölkerung immer älter wird und neue, teure Behandlungen auf den Markt kommen, steigen die Kosten für Patient:innen und Versicherer rasant. Die Konjunkturforschungsstelle KOF der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) schätzt, dass die Ausgaben bis 2026 auf 106 Milliarden Franken ansteigen werden, 7 Prozent mehr als 2024.

Das Parlament und die Regierung debattieren über Gesetzesänderungen, die den Online-Verkauf von rezeptfreien Medikamenten ermöglichen würden, um die Arzneimittelpreise zu senken und dem wachsenden Bedürfnis der Kundschaft nach Bequemlichkeit zu entsprechen.

Auch das elektronische Rezept und andere Bestrebungen zur Digitalisierung des Gesundheitswesens finden breite Unterstützung.

Eine neue Art von Apotheke

Was dies für die Zukunft der öffentlichen Apotheken in der Schweiz bedeutet, ist unklar. Grosse Ketten übernehmen immer mehr traditionelle Apotheken und legen den Grundstein, um einen grösseren Anteil am Online-Medikamentenmarkt zu erobern.

Galenica, eine börsenkotierte Schweizer Apothekenkette, hat in der Schweiz jährlich 7 bis 15 Apotheken übernommen oder eröffnet. Mittlerweile betreibt sie landesweit 374 Filialen – viermal mehr als die nächstgrössere Apothekenkette. Gleichzeitig wurden einige wenige unrentable Filialen geschlossen.

Die grösste Schweizer Detailhändlerin Migros hat im vergangenen Jahr die Schweizer Niederlassungen einer der grössten Internetapotheken Europas, Zur Rose (heute Doc Morris), übernommen.

Kurz darauf ging Galenica ein Joint Venture mit Europas grösster Versandapotheke Redcare (ehemals Shop Apotheke Europe) ein.

Gian Marco Werro, Gesundheitsanalyst bei der Zürcher Kantonalbank, prognostiziert, dass sich die langsame Konsolidierung der physischen Apotheken fortsetzen und die Gesamtzahl der Apotheken weiter sinken wird.

Änderungen bei den Vorschriften für rezeptfreie Medikamente werden «den Druck auf die traditionellen Apotheken erhöhen, da es für die Konsumentinnen und Konsumenten einfacher wird, nach den besten Preisen zu suchen», sagt er.

Bisher gibt es kaum Anzeichen dafür, dass die lokale Apotheke in naher Zukunft von Online-Händlern verdrängt wird. Aber die stationären Apotheken könnten in Zukunft ganz anders aussehen.

«Von den Apotheken wird erwartet, dass sie ihre Rolle als niederschwellige erste Anlaufstelle für Gesundheitsfragen ausbauen», sagt Galenica-Sprecher Andreas Petrosino gegenüber SWI swissinfo.ch.

Das Unternehmen lanciert Angebote, die Online-Kanäle und lokale Apotheken verbinden. «So weit wie möglich kommen wir unseren Kundinnen und Kunden entgegen, egal wo sie sich befinden.»

Editiert von Nerys Avery / Benjamin von Wyl / ts, Übertragung aus dem Englischen: Michael Heger

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