Schweizer Aufsichtsbehörde und Medien streiten über Ozempic & Co.

Das Schweizerische Heilmittelinstitut Swissmedic hat rechtliche Schritte gegen Medienhäuser in der Schweiz eingeleitet, weil diese ihrer Ansicht nach unerlaubte Werbung für Medikamente zur Gewichtsreduktion wie Ozempic und Wegovy machen. Die Schweizer Medien sehen darin eine Zensur.
An Schlagzeilen über die neuesten GLP-1-Präparate zur Gewichtsabnahme wie Ozempic, Wegovy und Mounjaro herrscht kein Mangel. Allein in den vergangenen zwei Jahren gab es laut der Schweizer Mediendatenbank über 840 Medienberichte in der Schweiz, die Ozempic in der Überschrift nannten.
Für die Zulassungs- und Aufsichtsbehörde für Arzneimittel SwissmedicExterner Link überschritten einige Artikel die Grenze zur Werbung. Mitte Januar berichtete die Schweizer Tageszeitung 20 Minuten, dass Swissmedic drei Schweizer Medienkonzerne – Neue Zürcher Zeitung (NZZ), Ringier und 20 MinutenExterner Link – «unter Androhung von Strafen aufgefordert hat, Online-Artikel über Ozempic und Co. zu löschen».
Laut Swissmedic handelt es sich bei diesen Artikeln um Werbung für verschreibungspflichtige Medikamente, die nach dem Heilmittelgesetz nicht erlaubt istExterner Link. Dies gilt für alle Print-, Fernseh- und elektronischen Medien. Sowohl Wegovy als auch Mounjaro sind in der Schweiz zur Gewichtsreduktion zugelassen. Ozempic ist für Typ-2-Diabetes zugelassenExterner Link und kann zur Gewichtsabnahme eingesetzt werden, wenn es von einem Arzt für diesen «Off-Label-Use» verschrieben wird.
Dies sind nicht die ersten oder einzigen verschreibungspflichtigen Medikamente, in deren Kontext Swissmedic rechtliche Schritte einleitete. Neben Artikeln über Fettleibigkeit im Zusammenhang mit Medikamenten zur Gewichtsreduktion hat Swissmedic laut einer Sprecherin der NZZ auch einen Artikel über Migräne und der verschiedenen Behandlungsformen gegen sie beanstandet.
Die neusten Medikamente zur Gewichtsreduktion haben jedoch angesichts der öffentlichen Aufmerksamkeit und des Social-Media-Rummels weitere Fragen dahingehend aufgeworfen, wie die Aufsichtsbehörde das Gesetz auslegt und anwendet.
«Die Auslegung des Gesetzes durch Swissmedic geht zu weit, fast alle redaktionellen Inhalte könnten plötzlich als Werbung eingestuft werden», sagte Urs Saxer, Rechtsprofessor an der Universität Zürich, der eine der Mediengruppen in einem Rechtsstreit gegen Swissmedic vertritt. «Wie man abnimmt, ist Teil der öffentlichen Debatte und sollte es auch bleiben.»
Rund zwölf ProzentExterner Link der Schweizer Bevölkerung gelten als fettleibig (adipös). Weltweit leben eine MilliardeExterner Link Menschen mit Adipositas. In Tausenden, wenn nicht gar Millionen weltweit verfügbarer TikTok-Posts und YouTube-Videos teilen Menschen ihre Erfahrungen mit Abnehmspritzen. Dahinter steht auch ein grosses Geschäft – der weltweite Markt für Medikamente gegen Fettleibigkeit wird allein für die Arzneimittelhersteller auf 100 Milliarden DollarExterner Link pro Jahr geschätzt.
Strenge Gesetze
Laut von SWI swissinfo.ch kontaktierten Rechtsexpert:innen sind die Schweizer Gesetze zur Arzneimittelwerbung in der Öffentlichkeit im Vergleich zu Ländern wie den USA oder Neuseeland streng. Dort ist Werbung für verschreibungspflichtige Medikamente im Fernsehen erlaubt, sofern Nutzen und Risiken erwähnt werden.
Die meisten europäischen Länder verbieten ähnlich wie die Schweiz Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel in der Öffentlichkeit.
Artikel 2 der Arzneimittelwerbeverordnung definiert als Arzneimittelwerbung «alle Massnahmen zur Information, Marktbearbeitung und Schaffung von Anreizen, welche zum Ziel haben, die Verschreibung, die Abgabe, den Verkauf, den Verbrauch oder die Anwendung von Arzneimitteln zu fördern».
Das Gesetz soll Menschen vor falschen oder irreführenden Informationen schützen, die zu einem übermässigen oder unangemessenen Gebrauch von Produkten führen könnten, erklärt Swissmedic-Sprecher Lukas Jaggi. «Mit diesen Vorschriften will der Schweizer Gesetzgeber den Schutz der öffentlichen Gesundheit, die Transparenz und die sachliche Information der Bevölkerung für einen verantwortungsvollen Umgang mit Arzneimitteln erreichen», so Jaggi in einer E-Mail an SWI. «Arzneimittel sollen aufgrund medizinischer Bedürfnisse und nicht aus kommerziellen Interessen eingesetzt werden.»
Der Geltungsbereich des Gesetzes ist weit gefasst, so dass es für jeden gilt, der die Öffentlichkeit erreicht, einschliesslich der Medien. In den meisten Fällen sind es jedoch nicht die Medien, sondern Arzneimittelhersteller oder Apotheken, die gegen das Gesetz verstossen, indem sie beispielsweise werbende Broschüren veröffentlichen.
Im Jahr 2023 untersuchte die mit dem Vollzug des Gesetzes beauftragte Swissmedic 80 Fälle von möglicher Werbung. In 27 Fällen wurden rechtliche Schritte eingeleitet, davon in nur zwei Fällen wegen journalistischer Beiträge über GLP-1-Präparate.
Grauzone
Nicht immer ist eindeutig, wann ein redaktioneller Inhalt als Werbung gilt. Sylvia Schüpbach, auf Pharmarecht spezialisierte Anwältin bei der Berner Kanzlei PharmaLex, sagt, dass eine Berichterstattung, die «darauf abzielt, das Verhalten von Menschen dahingehend zu ändern, dass sie ein Arzneimittel oder Medizinprodukt kaufen oder verschrieben bekommen wollen», als Werbung gelte.
Die meisten Medien haben jedoch weder die Absicht noch das Ziel, für Produkte zu werben. «Es liegt immer der Art der Formulierung, ob die zwischen zulässiger Information und Werbung überschritten ist», sagte sie.

Mehr
Roche setzt auf Volkskrankheiten
So würden Medienberichte über Krankheiten und Medikamente nicht als Werbung gelten, es sei jedoch problematisch, wenn einzelne Medikamente herausgegriffen würden. In einer Medienmitteilung vom 16. JanuarExterner Link weist Swissmedic darauf hin, dass drei Bedingungen erfüllt sein müssen, wenn verschreibungspflichtige Medikamente im Rahmen von Themen von allgemeinem Interesse erwähnt werden: Alle Behandlungsmöglichkeiten müssen erwähnt werden, auch nicht-medikamentöse, keine der Behandlungsmöglichkeiten darf als überlegen dargestellt werden und es müssen sowohl positive als auch negative Aspekte der Behandlungsmöglichkeiten genannt werden.
Weiter heisst es, dass «Erfahrungsberichte von Patienten oder Erfolgsgeschichten, Preisvergleiche und Empfehlungen als Werbung» gelten.
Es ist unklar, welche Artikel Swissmedic als problematisch einstufte. Die Aufsichtsbehörde führt derzeit vier Verfahren gegen Medienverlage. Der 20-Minuten-Artikel vom Januar enthielt eine Zeitleiste mit BeispielenExterner Link, wie Influencer:innen die Nachfrage nach Spritzen zur Gewichtsreduktion anheizen. SWI hatte keinen Zugang zu den anderen Artikeln.
Auf Anfrage von SWI zu den hängigen Rechtsfällen antwortete die NZZ, dass sie sich «auf dem juristischen Weg dagegen wehren, dass Swissmedic der NZZ die Publikation von journalistischen Beiträgen untersagen will. Aufgrund der noch laufenden Verfahren äussern wir uns hingegen nicht in inhaltlicher Hinsicht».
«Wenn man die Berichterstattung in den Schweizer Medien über die neuesten Medikamente zur Gewichtsreduktion generell betrachtet, ist es fraglich, ob die Informationen werblich sind oder nicht», sagt die Anwältin Schüpbach.
Die Schweizer Medienbank zeigt Artikel über GLP-1-Medikamente, die eine Reihe von Themen abdecken, von potenziellen GLP-1-Medikamenten der nächsten Generation und den neuesten Forschungsergebnissen über seltene Nebenwirkungen bis hin zur Rolle prominenter Influencer:innen bei der Ankurbelung der Nachfrage und den Problemen mit gefälschten Versionen von Ozempic. Berichte wie diese sind in den Medien auf der ganzen Welt zu finden.
«Von Journalisten wird erwartet, dass sie journalistische Regeln und Grundsätze einhalten. Dazu gehört, keine Werbung für Produkte zu machen», sagt Rechtsprofessor Saxer. «Das reicht völlig aus. Es bedarf keiner zusätzlichen Einschränkungen durch das Heilmittelwerbegesetz. Die Auslegung des Gesetzes durch Swissmedic muss die Medienfreiheit berücksichtigen.»
Swissmedic weist dies zurück und argumentiert, der Vorwurf, sie verbiete jede Berichterstattung über Schlankheitsspritzen, sei «überzogen und unverständlich». Jaggi betont in einer E-Mail, dass «eine faktenbasierte und neutrale Berichterstattung über Medikamente ohne weiteres möglich und im öffentlichen Interesse» sei.
Wilde Welt der sozialen Medien
Die Frustration der Medienunternehmen rührt auch daher, dass die Menschen in der Schweiz Zugang zu Informationen über Schlankheitsmittel aus aller Welt haben, auch aus Ländern, in denen es keine vergleichbaren Werbebeschränkungen gibt. In den USA überflutenExterner Link Pharmaunternehmen, Online-Apotheken und Gesundheitskliniken das Internet mit Anzeigen für Schlankheitsmittel. In der Schweiz muss man nur eine Google-Suche durchführen, um diese Anzeigen auf YouTube zu finden.
In einer Pressemitteilung erklärt Swissmedic, dass «Swissmedic überprüft [die Berichterstattung] deshalb regelmässig. Dazu gehören Print-, elektronische (Radio und TV) und Onlinemedien sowie auch Social Media-Plattformen.» Allerdings prüfe sie nicht alle redaktionellen Beiträge der Publikumsmedien und könne nicht jeden veröffentlichten Artikel überprüfen.

Mehr
Was wurde aus dem teuersten Medikament der Welt?
Swissmedic ist verpflichtet, allen Meldungen über mutmassliche Verstösse gegen Werbevorschriften nachzugehen. Diese Meldungen können von jedem stammen, auch von einem Konkurrenten des Arzneimittelherstellers.
Wenn ihr Inhalte in sozialen Medien zur Kenntnis gebracht werden, werde Swissmedic dies untersuchen, teilte sie SWI mit. Bislang wurden soziale Medien jedoch nicht der gleichen Prüfung unterzogen wie traditionelle Medien.
Das liegt zum Teil daran, dass die meisten Social-Media-Plattformen und Influencer:innen ausserhalb der Schweiz ansässig sind – und damit ausserhalb der Zuständigkeit von Swissmedic.
Zudem ist die Durchforstung sozialer Medien eine Herkulesaufgabe. «Wenn Swissmedic jede positive Aussage über verschreibungspflichtige Medikamente in den sozialen Medien in der Schweiz überprüfen und möglicherweise verbieten wollte, bräuchte sie viel mehr Personal», sagte Schüpbach.
Eine UntersuchungExterner Link aus dem Jahr 2023 von 100 TikTok-Videos, die unter dem Hashtag Ozempic gepostet wurden, ergab, dass ein Drittel der Videos, die insgesamt 31 Millionen Mal angeschaut wurden, Inhalte enthielt, die «andere Menschen dazu ermutigen/verleiten, Ozempic auszuprobieren/Ozempic als begehrtes Medikament präsentieren/Ozempic positiv darstellen».

Mehr
Umfrage zeigt: Schweizer sind Social-Media-müde
Im vergangenen Frühjahr verbot TikTokExterner Link Inhalte, die gefährliche Formen des Abnehmens propagierten oder «den Handel oder die Vermarktung von Produkten zum Abnehmen oder Muskelaufbau» förderten. Dies geschah als Reaktion auf eine Flut von Videos, die Schlankheit propagierten und irreführende Gesundheitsinformationen enthielten, sowie auf Content-Ersteller, die mit der Werbung für Abnehm-Medikamente Geld verdienten.
Einige Content-Ersteller wehrten sichExterner Link gegen das Verbot mit der Begründung, es sei eine Diskriminierung übergewichtiger Menschen.
«Die Menschen wollen Informationen darüber, wie Medikamente wirken, und sie werden sich diese Informationen suchen», sagte Schüpbach. «Das Wichtigste ist, dass sie zuverlässige Informationen erhalten.»
Editiert von Virginie Mangin/sb; Übertragung aus dem Englischen mit der Hilfe von DeepL: Petra Krimphove / me

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch