Schweizer Handelsabkommen – Ändert Indien seine Haltung zu Pharmapatenten?
Der Schutz des geistigen Eigentums für die Schweizer Pharmaindustrie war ein zentraler Knackpunkt bei den Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit Indien. Nach 16 Jahren scheint es nun einen Durchbruch in den Gesprächen zu geben. Was hat sich geändert?
Mitte Januar flog der Schweizer Wirtschaftsminister Guy Parmelin direkt vom Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos nach Indien, um Gespräche über ein Handelsabkommen zwischen Indien und den Mitgliedern der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) – Schweiz, Norwegen, Island und Liechtenstein – voranzutreiben.
Er kehrte optimistisch zurück. 16 Jahre nach Beginn der Gespräche sei man sich über die «Grundprinzipien» eines Freihandelsabkommens einig und habe «ausgewogene Lösungen für die wichtigsten offenen Fragen» gefunden, twitterte Parmelin.
Laut einer Erklärung des Staatssekretariats für Wirtschaft, die Bloomberg vorliegt, sei eine dieser Fragen der Schutz des geistigen Eigentums. Die beiden Länder haben unterschiedliche Ansichten darüber, was, wann und wie lange Erfindungen vor dem Wettbewerb geschützt werden können. Dies war einer der Hauptgründe, warum die Gespräche 2013 auf Eis gelegt wurden.
Die Schweizer Pharmaindustrie, zu der die beiden grossen Arzneimittelhersteller Novartis und Roche gehören und auf die rund 40% der gesamten Schweizer Exporte entfallen, argumentiert seit Jahren, dass ein stärkerer Patentschutz erforderlich ist. Dieser soll verhindern, dass indische Arzneimittelhersteller Nachahmerprodukte herstellen, die ihre Gewinne schmälern.
Auch wenn das Handelsabkommen noch nicht abgeschlossen ist und der Textentwurf noch nicht veröffentlicht wurde, würde jeder Schritt zur Stärkung des Patentschutzes für Arzneimittel eine bedeutende Veränderung für Indien bedeuten, das 20% der weltweiten Generikaprodukte liefert.
Das grosse Geschäft mit den Patenten
Indien wehrt sich seit langem gegen Versuche multinationaler Arzneimittelhersteller, den Patentschutz für neue Medikamente zu verstärken. 2005 aktualisierte Indien sein Patentgesetz, um es an die Regeln der Welthandelsorganisation (WHO) zum geistigen Eigentum (TRIPS) anzupassen. Dieses Gesetz gewährt Originalherstellern einen 20-jährigen Patentschutz.
Indien hat jedoch von Flexibilitäten und technischen Nuancen in den WTO-Regeln Gebrauch gemacht. Darunter fällt, dass Länder entscheiden dürfen, was patentierbar sein kann. So konnte sich Indien gegen Unternehmen wehren, welche die Patentlaufzeit eines Produkts aufgrund von Änderungen an einem Medikament verlängern wollten, die dessen Wirksamkeit nicht wesentlich verbessern oder die nach indischem Recht nicht als erfinderisch oder neuartig gelten würden.
Indien hat auch von der Zwangslizenzierung Gebrauch gemacht. Nach den WTO-Regeln erlaubt diese einem Land, einem Generikahersteller das Recht einzuräumen, das Monopol für ein Medikament aus Gründen der öffentlichen Gesundheit zu brechen. Indien nutzt diese Option, wenn der Preis eines Medikaments so hoch ist, dass die meisten Menschen es sich nicht leisten können.
Allerdings hat Indien mit solchen Massnahmen den Zorn der internationalen Pharmaunternehmen auf sich gezogen. Viele haben sich in Rechtsstreitigkeiten mit der indischen Regierung oder Generikaherstellern verwickelt.
Dies führte dazu, dass grosse internationale Pharmaunternehmen ihren Kampf für einen besseren Schutz des geistigen Eigentums in Indien verstärken.
Ein Sprecher des Schweizer Branchenverbands Scienceindustries erklärte gegenüber SWI swissinfo.ch, es sei «zwingend notwendig», dass sich die Schweiz im Freihandelsabkommen mit Indien «für ein robustes Regelwerk zum geistigen Eigentum einsetzt».
Pharmazeutische Unternehmen argumentieren, dass geistiges Eigentum für Unternehmen unerlässlich ist, um genügend Einnahmen zu erzielen, um die Kosten für die Entwicklung von Medikamenten auszugleichen und um Anreize für weitere Investitionen in Innovationen zu schaffen.
Die Schweiz ist Weltmeisterin im Patentieren und hat im letzten Jahrzehnt mehr Patentanmeldungen pro Kopf eingereicht als jedes andere Land in Europa.
Wie auf der Website des VerbandesExterner Link zu lesen ist, wollen sie, dass Freihandelsabkommen unter anderem Verlängerungen der Patentlaufzeiten vorsehen, um Patentinhaber:innen für die Zeit zu entschädigen, die sie aufgrund langer behördlicher Überprüfungsfristen verloren haben. Weiter sollen die Sicherheits- und Wirksamkeitsdaten des Urhebers für vorzugsweise zehn Jahre geschützt werden und sie wollen Patente für alle Arten von technologischen Erfindungen, seien es Produkte oder Verfahren.
Bedürfnisse der öffentlichen Gesundheit
Versuche, das indische Patentrecht zu ändern, sind auf erbitterten Widerstand von Verfechtern der öffentlichen Gesundheit gestossen. Indien ist der grösste Generikahersteller der Welt und liefert fast zwei Drittel der weltweiten antiretroviralen Medikamente.
Eine Verzögerung des Markteintritts von Generika würde den Zugang zu erschwinglichen Medikamenten nicht nur in Indien, sondern auch in anderen Entwicklungsländern gefährden, sagt K.M. Gopakumar, Rechtsberater des Third World Network in Neu Delhi. «Wenn man in Indien den Hahn zudreht, dreht man ihn auch in den Entwicklungsländern zu.»
Diese Bedenken kamen Anfang Februar erneut auf, als ein Entwurf des Abschnitts über geistiges Eigentum des Handelsabkommens durchsickerte. SWI swissinfo.ch konnte weder die Quelle des Lecks noch die Gültigkeit des Dokuments verifizieren, aber dem Text zufolge drängen die EFTA-Länder auf einen stärkeren Patentschutz, der mit vielen Forderungen der Schweizer Industrie übereinstimmt.
Gopakumar warnt davor, dass die Massnahmen einen «abschreckenden Effekt» auf die indische Generikabranche haben würden. «Die indische Gesetzgebung schützt bereits Patente, sodass jede neue Massnahme überflüssig wäre und nur dazu dienen würde, die rechtliche Belastung zu erhöhen», sagt er. «Das würde die Generikabranche noch mehr davon abhalten, überhaupt zu versuchen, Medikamente zu entwickeln – nur um die juristischen Auseinandersetzungen zu vermeiden.»
Patrick Durisch ist bei der Schweizer Nichtregierungsorganisation Public Eye für Gesundheitspolitik zuständig. Er schliesst sich dieser Meinung an und sagt, dass solche Schritte nur «eine weitere rechtliche Möglichkeit für Pharmaunternehmen darstellen würden, Konkurrent:innen zu verklagen».
Am 14. Februar schrieb Public Eye einen Brief an die Schweizer Regierung, in dem es seine Besorgnis über «restriktivere und schädliche Schweizer Forderungen zum geistigen Eigentum» zum Ausdruck brachte und davor warnte, dass diese «die Monopolrechte der Schweizer Pharmaindustrie auf Kosten der Patient:innen in Indien und darüber hinaus übermässig stärken würden».
Die Auswirkungen gehen jedoch über Schweizer Unternehmen hinaus. Jegliche Änderung des Patentrechts oder dessen Auslegung in Indien aufgrund eines Freihandelsabkommens mit der EFTA würde sich wahrscheinlich auf jedes Unternehmen auswirken, das ein neues Medikament in Indien auf den Markt bringt.
Erzählung über Innovation
Der indische Handelsminister wies einige der im durchgesickerten Dokument genannten Forderungen öffentlich zurück und erklärte, er stehe zur indischen Generikabranche, diese habe vom Handelsabkommen nichts zu befürchten.
Dennoch gibt es Anzeichen für Änderungen in Indien. Das Land öffnet sich stärker für den Welthandel und versucht, ausländische Direktinvestitionen anzuziehen. Unklar ist, ob ein Abkommen Investitionsverpflichtungen der EFTA-Partner beinhalten würde.
Philippe Reich, Präsident der Schweizerisch-Indischen Handelskammer, erklärt gegenüber SWI swissinfo.ch, dass Indien in der Wertschöpfungskette für Arzneimittel aufsteigen möchte. «Die Generika-Industrie bleibt wichtig, aber Indien will auch ein eigenes Innovations-Ökosystem aufbauen», sagt Reich. «Es möchte auch seine eigenen Innovator:innen schützen», einschliesslich indischer Start-ups, die sich laut Reich manchmal wie westliche Pharmaunternehmen verhalten und auf Patentschutz drängen.
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Einige dieser Veränderungen spiegeln sich im Entwurf der nationalen Arzneimittelpolitik 2030 des Landes wider, der letztes Jahr veröffentlicht wurde. Darin wird auch auf den Patentschutz verwiesen, insbesondere darauf, dass «wir durch die Stärkung des Schutzes des geistigen Eigentums nicht nur Anreize für Pharmaunternehmen schaffen, in bahnbrechende Forschung zu investieren, sondern auch ein günstiges Umfeld für ausländische Investitionen und Kooperationen schaffen».
Im September 2023 veröffentlichte Indien einen Entwurf zur Überarbeitung seines eigenen Patentgesetzes, was Patient:innengruppen und zivilgesellschaftliche Akteur:innen in Indien verärgerte. Sie argumentierten, die Änderungen könnten den Schutz der öffentlichen Gesundheit und den Zugang zu erschwinglichen Medikamenten untergraben.
Aktivist:innen für die öffentliche Gesundheit sind skeptisch, dass diese Massnahmen den Patient:innen in Indien und den Entwicklungsländern zugutekommen werden. Der indische Markt macht nur etwa 1% der Schweizer Arzneimittelexporte aus.
«Die indische Regierung steht unter dem Druck der Industrielobbys, die argumentieren, dass der Patentschutz wichtig für Innovation ist», sagt Gopakumar. «Aber die Regierung weiss, dass sie die Gesundheitssituation im Land verbessern muss.»
Sowohl Indien als auch die EFTA sind daran interessiert, dass das Abkommen vor den indischen Wahlen im April unterzeichnet wird. Indien ist nach den Vereinigten Staaten das wichtigste Handelsland, mit dem die Schweiz noch kein Freihandelsabkommen abgeschlossen hat.
Editiert von Virginie Mangin/gw. Anand Chandrasekhar hat zu diesem Artikel beigetragen. Übertragung aus dem Englischen: Claire Micallef
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