Wie die US-Sanktionen gegen China die Schweizer Pharmaindustrie gefährden
Aus Sorge um die nationale Sicherheit planen die USA, die Geschäftsbeziehungen zwischen Pharmafirmen und einigen chinesischen Biotech-Unternehmen zu erschweren. Das betrifft auch die grossen Schweizer Pharmakonzerne.
Im März trafen sich in Peking die Chefs von mindestens sieben der weltgrössten Pharmakonzerne mit rund 100 globalen Führungskräften zum jährlichen China Development Forum.
Die staatlich geförderte Konferenz bietet ausländischen Wirtschaftsführer:innen die Möglichkeit, sich mit chinesischen Beamt:innen zu vernetzen. Der chinesischen Regierung dient sie als Plattform, um ihre Botschaft an die internationale Gemeinschaft zu vermitteln.
Das Thema des diesjährigen Treffens, «Chinas kontinuierliche Entwicklung“, wurde weithin als Chance für die chinesische Führung gesehen, mehr ausländische Investitionen anzuziehen.
Dies vor dem Hintergrund eines sich verlangsamenden Wirtschaftswachstums und der wachsenden Besorgnis über eine Abkopplung des Westens.
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Die Veranstaltung fand jedoch zu einem für die Pharmaindustrie heiklen Zeitpunkt statt. Zwei Monate zuvor war im US-Repräsentantenhaus ein parteiübergreifender Gesetzesentwurf eingebracht worden, der als «bedenklich“ eingestufte chinesische Biotechnologieunternehmen sowie alle Pharmakonzerne, die mit ihnen zusammenarbeiten, vom Zugang zu Bundesaufträgen ausschliessen soll.
Eine überarbeitete Version des Gesetzes, bekannt als Biosecure Act, wurde im Mai vom zuständigen Ausschuss des Repräsentantenhauses verabschiedet.
Es setzt den Unternehmen eine Frist bis 2032, um ihre Geschäftsbeziehungen mit Firmen zu beenden, die auf der Liste «bedenklicher Biotechnologieunternehmen“ stehen.
In der aktuellen Fassung sind fünf bedenkliche Unternehmen aufgeführt, die alle ihren Sitz in China haben: BGI Group, MGI, Complete Genomics, WuXi Apptec, WuXi Bio und deren Tochterunternehmen.
Der Biosecure Act ist der jüngste Schritt der US-Regierung, gegen Unternehmen vorzugehen, die Verbindungen zu «ausländischen Gegnern“ haben, insbesondere zu China, Russland, Iran und Nordkorea.
US-Politiker:innen haben angesichts des Zugriffs der chinesischen Regierung auf US-Gesundheitsdaten und geistiges Eigentum sowie der wachsenden Abhängigkeit der USA von chinesischen Unternehmen bei der Lieferung von Medikamenten Alarm geschlagen.
Sie befürchten, dass China diese Abhängigkeit nutzen könnte, um die Kontrolle über den Markt zu erlangen, was US-Patienten verletzlich macht.
Die US-Gesetzgeber:innen betonen auch die Notwendigkeit, die Führungsposition der USA in der Biotechnologie angesichts der wachsenden Konkurrenz aus China zu sichern.
Der Gesetzentwurf würde es der US-Regierung verbieten, Verträge mit einem «zweifelhaften Biotechnologieunternehmen“ abzuschliessen, und er würde es Unternehmen in den USA oder im Ausland, die Verträge mit der US-Regierung haben oder von ihr finanziert werden, verbieten, Geschäftsbeziehungen mit solchen Unternehmen einzugehen.
Dies würde z.B. auch Verträge mit Medicare betreffen, dem staatlichen Krankenversicherungsprogramm für Menschen über 65 und jüngere Menschen mit Beeinträchtigungen, das etwa 66 Millionen Menschen in den USA umfasst.
Der Gesetzentwurf muss noch von beiden Kammern des Kongresses verabschiedet werden, bevor er in Kraft treten kann, und die Präsidentschaftswahlen im November könnten das Gesetz zu Fall bringen.
Angesichts der starken parteiübergreifenden Unterstützung gehen verschiedene US-Rechtsexpert:innenExterner Link jedoch davon aus, dass das Gesetz noch in diesem Jahr in irgendeiner Form in Kraft treten wird.
Wenn der Gesetzesentwurf durch den Kongress kommt, könnte er die Partnerschaften der globalen Pharmaindustrie mit chinesischen Biotech-Unternehmen auf den Kopf stellen.
Diese sind in den letzten zehn Jahren dank der von Peking initiierten regulatorischen Reformen und der Gründung dutzender Unternehmen, die innovative Medikamente und Therapien entwickeln, aufgeblüht.
Chinas Position als wichtige Akteurin in der Biotech-Industrie hat ausländische Pharmakonzerne dazu veranlasst, engere Beziehungen zu chinesischen Unternehmen zu knüpfen und diese in ihre eigene Arzneimittelentwicklung zu integrieren.
Ausländische Arzneimittelhersteller sind auch zunehmend auf chinesische Biotech-Unternehmen angewiesen, wenn es um Ausrüstung, Produktion und Forschung geht.
«Schweizer Biotech- und Medtech-Unternehmen sind an chinesischen Firmen nicht nur als Partner für den Marktzugang in China interessiert, sondern auch als Investoren und für Co-Innovationen“, sagt Anke Hollnagel, Direktorin für Asien bei Basel Area Business and Innovation, einem Verein zur Investitionsförderung.
Boomende Industrie
Der Gesetzentwurf kommt zu einer Zeit, in der die chinesische Biotech-Industrie boomt. Regulatorische Reformen und Massnahmen haben die Arzneimittelzulassung beschleunigt und die Qualitätsstandards angehoben, so dass es für internationale Unternehmen einfacher geworden ist, Medikamente in China, dem zweitgrössten Gesundheitsmarkt nach den USA, auf den Markt zu bringen.
Dadurch ist der Sektor auch für aus- und inländische Investorinnen und Investoren attraktiver geworden. Laut einem von der European Federation of Pharmaceutical Industries and Associations in Auftrag gegebenen BerichtExterner Link verfügen 11 der 15 weltweit führenden Pharmaunternehmen über ein bedeutendes Forschungszentrum auf dem chinesischen Festland.
Im Jahr 2019 hat Roche sein Forschungs- und Entwicklungszentrum in Shanghai mit Investitionen in Höhe von 863 Millionen RMB (106 Millionen Franken) ausgebaut. Zudem hat das Unternehmen 300 Millionen RMB in ein Accelerator-Programm für lokale Startups investiert.
Die chinesische Regierung hat sieben biomedizinische Städtecluster eingerichtet, darunter in Suzhou vor den Toren Shanghais, wo der Industriepark «BioBAY» rund 400 Unternehmen beherbergt, darunter mindestens 24 börsennotierte Firmen und mehrere grosse Pharmakonzerne wie Sanofi.
Diese Investitionen beginnen sich auszuzahlen. Die Zahl der innovativen Arzneimittelkandidaten (sowohl chemische als auch biologische), die sich in China in der klinischen Entwicklung befinden, hat sich zwischen 2017 und 2022 verdreifacht.
Etwa ein Viertel davon wurde laut einem BerichtExterner Link der Unternehmensberatung McKinsey von in China gegründeten Unternehmen entdeckt.
«Der Innovationsgrad in der chinesischen biopharmazeutischen Industrie ist sehr hoch“, sagt Thomas Heimann, Analyst beim Schweizer Private-Equity-Berater für Gesundheitsinvestitionen HBM Partners.
«Im Gegensatz zu Big Pharma im Westen haben auch etablierte chinesische Unternehmen noch ein enormes Wachstumspotenzial“, fügt Heimann hinzu.
Seine Firma hält Beteiligungen an chinesischen Unternehmen, darunter Beigene, das Medikamente zur Behandlung von Krebs entwickelt, und Mindray Medical, das medizinische Geräte und Zubehör entwickelt und produziert.
Im Jahr 2019 erhielt Beigene von der US-Arzneimittelbehörde FDA eine beschleunigte Zulassung für ein selbst entdecktes Molekül zur Behandlung von Lymphomen; ein Novum für ein in China hergestelltes Krebsmedikament.
Neue Partnerschaften
Mit dem Aufstieg chinesischer Unternehmen auf die Weltbühne werden auch immer mehr grosse Pharmaunternehmen angezogen, die ihre Medikamentenpipelines mit vielversprechenden Kandidaten füllen wollen.
Davon profitieren auch chinesische Unternehmen, die finanzielle Mittel und Netzwerke benötigen, um ihre Medikamente im Ausland zu entwickeln und zu vermarkten.
«Immer mehr chinesische biopharmazeutische Unternehmen setzen auf Überseemärkte und vermarkten Blockbuster-Medikamente in Ländern wie den USA“, sagt Sara Zhou, Geschäftsführerin von Intercontinental Capital, einer auf das Gesundheitswesen spezialisierten Finanzberatungsfirma in China.
Von den mehr als 70 Auslizenzierungs-Transaktionen im Jahr 2023 überstiegen laut Zhou mehr als 15 den Wert von einer Milliarde US-Dollar. Ein Rekord sowohl für das Volumen als auch für die Grösse der Transaktionen.
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Anfang dieses Jahres unterzeichnete Roche eine Partnerschafts- und Lizenzvereinbarung mit dem chinesischen Biotech-Unternehmen Medilink Therapeutics im Wert von über einer Milliarde US-Dollar.
Sie räumt dem Schweizer Pharmakonzern die exklusiven internationalen Rechte ein für die Entwicklung, Herstellung und Vermarktung von Medilinks Behandlung von soliden Tumoren.
Astrazeneca erwarb im vergangenen Dezember für 1,2 Milliarden Dollar die an der NASDAQ kotierte Gracell Biotechnologies, ein chinesisches Unternehmen für CAR-T-Zelltherapien.
Mehrere chinesische Unternehmen haben Tochtergesellschaften in den Pharmastandorten in Übersee gegründet. Hengrui Medicine (international bekannt als Luzsana Biotechnology), eines der grössten Pharmaunternehmen des Landes, sowie Luye Pharma, BGG und Beigene haben in den letzten fünf Jahren europäische Niederlassungen in Basel eröffnet.
Unsicherheiten
Es ist noch zu früh, um zu sagen, wie sich das Biosecure-Gesetz auf die Beziehungen zwischen der globalen Pharmaindustrie und der chinesischen Biotechnologie auswirken wird.
Da die meisten Unternehmen ihre Lieferantenlisten nicht öffentlich machen, ist unklar, wie viele von ihnen mit den im Gesetz genannten chinesischen Firmen zusammenarbeiten.
Wuxi Apptec, ein Unternehmen, das Dienstleistungen in den Bereichen Arzneimittelherstellung und -entwicklung anbietet, gab an, die 20 grössten Pharmaunternehmen zu seinen Kunden zu zählen. Einer SchätzungExterner Link zufolge war Wuxi Apptec an der Entwicklung eines Viertels der in den USA verwendeten Medikamente beteiligt.
Auf einer Pressekonferenz Ende April erklärte der Finanzchef von Novartis, Harry Kirsh, dass das Unternehmen wie viele andere Pharmakonzerne mit chinesischen Firmen in den Bereichen Produktion und Auftragsforschung zusammenarbeite.
Der in Basel ansässige Konzern erwägt nun, seine Vertragsbeziehungen mit chinesischen Unternehmen zu ändern, «damit wir uns voll und ganz auf mögliche US-Regulierungen einstellen können“, sagte er.
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US-Gesetzgeber:innen haben bereits Untersuchungen gegen andere chinesische Biotech-Unternehmen gefordert.
Einem kürzlich erschienenen BerichtExterner Link des US-Gesundheitsmedienunternehmens Statnews zufolge suchen einige globale Unternehmen aktiv nach Alternativen zu chinesischen Partnerfirmen, da sie befürchten, dass weitere chinesische Unternehmen auf die schwarze Liste gesetzt werden könnten.
Ende März kündigte Astrazeneca an, angesichts der geopolitischen Spannungen getrennte Lieferketten zu planen, um Medikamente für die USA und China unabhängig voneinander herstellen zu können.
Das deutsche Unternehmen Merck plant Berichten zufolge einen ähnlichen Schritt, um in China für den chinesischen Markt zu produzieren.
«Der Biosecure Act ist eine Bedrohung“, sagt Heimann von HBM Partners. «Aber es ist schwer zu sagen, wie bedrohlich er ist. Das Hauptproblem ist im Moment die Unsicherheit.»
Editiert von Nerys Avery, Übertragung aus dem Englischen: Michael Heger
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