Regenerativer Ackerbau und KI können die nachhaltige Landwirtschaft vorantreiben
Können regenerativer Ackerbau, digitale Technologie und Künstliche Intelligenz dazu beitragen, den Spagat zwischen nachhaltiger und produktiver Landwirtschaft zu schaffen?
Meine Familie lebt seit Jahrzehnten im US-Bundestaat Illinois und bewirtschaftet dort gegenwärtig über 1200 ha Land. Auch wir versuchen stets, den Anbau mit neuen Methoden zu optimieren, damit wir den Boden effizienter, produktiver und ökologischer bestellen können.
Ein Ansatz dazu ist der regenerative Ackerbau – ein gesamtheitliches Konzept, das die aktuelle Landwirtschaft tiefgreifend verändern könnte. Ziel des regenerativen Anbaus ist es, die Bodengesundheit zu fördern, die Biodiversität zu erhöhen, das Ökosystem insgesamt zu stärken und CO2 im Boden zu binden.
Im Zentrum stehen dabei eine möglichst bodenschonende und zurückhaltende Bewirtschaftung und die dauerhafte Begrünung des Bodens durch Nutzpflanzen oder die Bedeckung mit Mulch. Fruchtfolge und Bodenbegrünung fördern die Pflanzenvielfalt und verringern so mit der Zeit den Bedarf an synthetischen Hilfsmitteln.
Würde diese Art der Bewirtschaftung auf 40% der weltweiten Landwirtschaftsfläche ausgeweitet, wäre dies ein bedeutender Beitrag zur Begrenzung des Klimawandels. Die Robustheit unserer Produktionsketten für Nahrungsmittel würde gestärkt und so einerseits die Biodiversität geschützt und andererseits das finanzielle Auskommen der landwirtschaftlichen Bevölkerung gewährleistet.
Als Bauer in fünfter Generation und CEO eines der grössten Landwirtschaftstechnologie-Unternehmens der Welt kenne ich die Schwierigkeiten und Chancen der modernen Landwirtschaft aus eigener Erfahrung: Wie kann der Spagat zwischen Nachhaltigkeit und Produktivität gelingen?
In unserem Landwirtschaftsbetrieb setzen wir seit geraumer Zeit verschiedene Aspekte der regenerativen Landwirtschaft um, darunter eine möglichst geringe oder gar keine Bearbeitung des Bodens, das Ausbringen von Decksaaten und den Einsatz von Präzisionstechnologie.
Heute weist unser Boden eine höhere Speicherkapazität für Wasser und einen höheren Gehalt an organischer Masse, organisch gebundenem Kohlenstoff, total gebundenem Kohlenstoff und aktivem Kohlenstoff auf als je zuvor. Auch die Werte für den Gesamtstickstoff und den pflanzenverfügbaren Phosphor im Boden haben sich verbessert.
Gemäss einer Studie des Weltwirtschaftsrats für Nachhaltige Entwicklung (WBCSD)Externer Link vom Mai 2023 bringt die Bodenbewirtschaftung mit regenerativen Methoden und Präzisionstechnik den Landwirtschaftsbetrieben mit der Zeit einen finanziellen Zugewinn von bis zu 120%.
Die Technologie hilft mit
Regenerativer Ackerbau bedeutet im Wesentlichen, dass der Boden im Einklang mit der Natur bewirtschaftet wird, nicht gegen sie. Und genau dies machen digitale Tools und intelligente Bewirtschaftungstechniken heute im grossen Stil möglich.
Für die Bodenbewirtschaftung stehen mittlerweile leistungsfähige Systeme mit modernster Überwachungs- und Präzisionstechnik zur Verfügung. Damit lässt sich genauer denn je nachverfolgen, wie sich die Bodenqualität verbessert und wo allenfalls Probleme bestehen. Mittels Daten von Satelliten, Drohnen und Bodenkarten können Pflanzenschutzprodukte damit punktgenau ausgebracht und Krankheiten oder Schädlinge frühzeitig erkannt werden.
Auch Ernteprognosen erleben durch die Kombination von historischen Daten und Künstlicher Intelligenz einen Quantensprung und vereinfachen das Erntemanagement mittlerweile enorm. Dadurch können Bauernbetriebe heute das lokale Klima und Ernteerträge verlässlich vorhersagen und so von reaktiver auf proaktive Bodenbewirtschaftung umstellen.
Gemäss einem Artikel im Magazin ForbesExterner Link dürfte KI in der Landwirtschaft von USD 1,7 Mrd. (ca. CHF 1,5 Mrd.) 2023 auf USD 4,7 Mrd. bis 2028 wachsen. Ein kürzlich veröffentlichter Artikel des World Economic Forum (WEF)Externer Link schätzt, dass digitale Landwirtschaft das landwirtschaftliche BIP in Ländern mit niedrigen oder mittleren Einkommen um über USD 450 Mrd. oder 28% pro Jahr steigern könnte.
Förderliche Rahmenbedingungen
Die Umstellung auf regenerative Landwirtschaft verspricht grossen Nutzen – aber sie passiert nicht von allein. Wichtige Voraussetzungen für einen Paradigmenwechsel sind neues Wissen, technische Ausrüstung und Zeit, damit das Ökosystem Boden wieder in ein Gleichgewicht finden kann. Unsere Branche nutzt die Digitalisierung und KI aktiv, um einerseits die praktische Arbeit auf dem Feld zu optimieren und andererseits die Innovation in der Landwirtschaft voranzutreiben.
Damit diese Technologien aber für den regenerativen Ackerbau ihr volles Potential entfalten können, braucht es auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene förderliche Rahmenbedingungen.
Politik, Wirtschaft und Behörden müssen an einem Strang ziehen, damit die finanziellen und technologischen Bedürfnisse der Landwirtschaft berücksichtigt werden können. Über Anreizsysteme könnten beispielsweise die Übergangskosten reduziert und so die finanziellen Hürden für einen Einstieg in regenerative Anbaumethoden beträchtlich gesenkt werden.
Mehr Mittel für die Forschung würden dazu beitragen, den Fortschritt mit Zahlen zu belegen sowie Methoden zu verbessern und wissenschaftlich abzusichern, damit der Landwirtschaft die wirksamsten Anbautechniken zur Verfügung stehen.
Ein zusätzlicher Anreiz für regenerative Methoden könnte entstehen, wenn Kohlenstoffmärkte landwirtschaftliche Betriebe für das Speichern von CO2 belohnen. Eine wichtige Rolle beim Übergang zu neuen Anbaumethoden spielt auch die Stärkung der Aus- und Weiterbildung im Landwirtschaftsbereich.
Und schliesslich würde sich ein innovationsfreundlicher gesetzlicher Rahmen beschleunigend auf die Entwicklung und Anwendung regenerativer Technologien und Bewirtschaftungsmethoden mithilfe von KI und anderen digitalen Tools für nachhaltige Landwirtschaft auswirken. Es braucht jedoch mehr als nur die richtigen politischen und regulatorischen Rahmenbedingungen.
Alle Akteure des komplexen Ökosystems Landwirtschaft müssen einander in die Hände spielen, damit die Nutzung neuer Technologien und die Anwendung regenerativer Methoden attraktiv wird. Dies gilt auch für den Einzelhandel, alle Partner der Wertschöpfungskette und Finanzdienstleister, u.a. Mikrofinanzanbieter. Unsere vor kurzem angekündigte Zusammenarbeit mit McDonald’s USA und Lopez Foods zur nachhaltigeren Rindfleischproduktion in den USAExterner Link ist ein gutes Beispiel für einen solchen gesamtheitlichen Ansatz.
Lösungen für eine nachhaltige Zukunft
Mit der Anpassung an den Klimawandel und der Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung hat die Menschheit gleich zwei bedeutende Herausforderungen zu meistern. Die Kombination von regenerativem Ackerbau mit künstlicher Intelligenz und digitalen Technologien dürfte deshalb zu einem wichtigen Instrument für nachhaltige Landwirtschaft werden.
Dank der dadurch entstehenden Synergien können Landwirtschaftsbetriebe eine aktive Rolle im Umgang mit dem Klimawandel übernehmen und gleichzeitig effizienter und nachhaltiger produzieren.
Uns ist voll und ganz bewusst, dass die Förderung dieser neuen Methoden letztlich zu einer geringeren Nachfrage nach Pestiziden führen wird. An oberster Stelle steht für uns jedoch nicht der Verkauf von Produkten – vielmehr wollen wir Lösungen entwickeln, mit deren Hilfe die Landwirtschaft nachhaltig gesunde Nahrungsmittel für unsere Bevölkerung produzieren kann.
Anbaupraktiken und Technologien werden sich weiterentwickeln und noch effizienter und nachhaltiger werden. Wenn alle zusammenarbeiten – Landwirtschaft, Industrie, Behörden und Konsument:innen –, kann ein Nahrungssystem entstehen, das sowohl die Menschen auf der Erde als auch die Erde über Generationen hinweg ernähren wird.
Diese Veränderung ist sehr viel mehr als nur eine Anpassung: Es ist die proaktive Gestaltung einer nachhaltigen Zukunft für unsere Landwirtschaft.
Editiert von Virginie Mangin/Anand Chandrasekhar
Dieser Artikel wurde ursprünglich für das Jahrestreffen des World Economic Forum 2025Externer Link geschrieben.
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