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Kurze Eintracht, dann viel Zündstoff – das war die Sommersession

Die Rüstungsdebatte im Nationalrat fiel auf den Tag der Tracht. Sarah Wyss, die Präsidentin der Finanzkomission, verzichtete darauf.
Die Rüstungsdebatte im Nationalrat fiel auf den Tag der Tracht. Sarah Wyss, die Präsidentin der Finanzkomission, verzichtete darauf. Keystone / Alessandro Della Valle

Ein Lagerfeuer-Moment, dann kehrt im Bundeshaus die Zwietracht zurück. Das Parlament hat eine Handvoll Volksinitiativen behandelt. Es sind heisse Eisen, und bald ist das Volk am Zug. Analyse.

So ruhig war es lange nicht im Land. Die letzten Wahlen liegen fast zwei Jahre zurück, und die letzte Volksabstimmung erfolgte im Februar. Sie war symptomatisch für eine Schweiz im politischen Dornröschenschlaf.

Es gab nur eine einzige Vorlage mit absehbarem Ausgang, die wenig bewegte: die Umweltverantwortungsinitiative, klares Nein, Stimmbeteiligung tiefe 38%. Seither ist die Politik im Land der vielen Volksabstimmungen so aufregend wie die vier Jahreszeiten. Bis zum Spätsommer bleibt es dabei, dann geht es um die E-IDExterner Link.

Nur draussen herrscht Hektik: Donald Trump krempelt die Weltordnung um, im Nahen Osten drehen sich Eskalationsspiralen, in der Ukraine intensiviert Russland seine Angriffe und Europa formiert sich immer entschlossener zu einem Verteidigungsring.

Blatten sorgt für Eintracht

Es gibt einen Witz über die Schweiz, den Aussenminister Ignazio Cassis 2022 am Rand der Beerdigung von Queen Elizabeth II. in London zu hören bekam. Bei Gelegenheit erzählt er ihn weiter: «Wohin muss man fliehen, wenn alles zusammenbricht? In die Schweiz. Dort geschieht alles so bedächtig, sogar der Weltuntergang kommt zwei Jahre zu spät.»

Und wenn er dann doch kommt mit Geröll und Eis, wie in Blatten, dann wird der Untergang vorab vermessen und berechnet, sodass der Krisenstab bereits am Tag der Katastrophe die Roadmap für ein neues Bergdorf ankündigen kann.

Die Schuttlawine von Blatten bildete den Auftakt zur Sommersession der eidgenössischen Räte, Sessionswoche eins. Das Ereignis war natürlich nicht traktandiert, doch die Katastrophe erhielt sofort Priorität. Sie hat das Parlament wie selten hinter einem Thema vereint – in Ehrfurcht.

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Auch wenn die Parteien das Naturereignis bald routiniert zu ihren Gunsten nutzten: Da war ein Aufflackern von Eintracht, ein Lagerfeuer-Moment im Bundeshaus, vielleicht das letzte Mal für lange Zeit. Denn nun stehen die Zeichen auf Lärm.

Die EU-Verträge sind da

In die Mitte der dreiwöchigen Session fiel die Veröffentlichung des neuen Vertragspakets, das die Schweiz 2024 mit der EU abgeschlossen hatte. Damit wurde diese Büchse der Pandora wieder geöffnet, deren Inhalt die Schweiz seit über drei Jahrzehnten spaltet. Im Kern geht es um die einfache Frage: Wieviel politische Eigenständigkeit ist der Schweiz der wirtschaftliche Zugang zum europäischen Markt wert?

Der Wortlaut der neuen EU-Verträge ist nun endlich öffentlich. Echte Überraschungen kamen dabei nicht ans Licht. Doch der wichtigste Schweizer Diskurs ist zurück im Land. Er wird bis 2028, bis zu den entsprechenden Volksabstimmungen, nicht mehr verschwinden. Erstaunlich bleibt allenfalls, wie wenig die lang erwarteten Details des Textes am Ende noch interessierten.

FDP auf Positionssuche

Spannend bleibt jedoch die Frage, wie sich die wirtschaftsliberale FDP positionieren wird. In der Europafrage ist sie nach wie vor gespalten und gerade jetzt befindet sie sich auf der Suche nach einem neuen Präsidenten oder einer neuen Präsidentin. FDP-Präsident Thierry Burkart hat am zweiten Sessionstag seinen Rücktritt angekündigt.

Thierry Burkart im Ständerat. Er gibt das FDP-Präsidium ab.
Thierry Burkart im Ständerat. Er gibt das FDP-Präsidium ab. Keystone / Anthony Anex

In den Fluren des Bundeshauses war es das grosse Thema: Die Partei, die früher den ganzen Bundesstaat prägte, wird zwischen der entschlossener agierenden Konkurrentin SVP und einer allgemeinen Wirtschaftsskepsis zunehmend erdrückt. Schafft sie es je wieder aus dieser Zange heraus?

Auch bei der SP besteht bei den EU-Verträgen noch interner Synchronisationsbedarf: Ausgerechnet der erfolgsverwöhnte Volkstribun Pierre-Yves Maillard schert beim wichtigen Stromabkommen aus.

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Jetzt kommt der Stoff für Urnengänge

In der dritten Woche der Session rollte das Parlament dann endlich seine Produkte für die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger aus. Gleich mehrere Volksinitiativen standen zur Verhandlung.

Der Ständerat verwarf sowohl die ErbschaftssteuerExterner Link der Jungsozialisten als auch die Service-Citoyen-InitiativeExterner Link. Auch die NeutralitätsinitiativeExterner Link der SVP hatte kaum eine Chance auf eine Empfehlung, ebenso fiel die Klimafonds-InitiativeExterner Link von Links-Grün durch. All das heisst noch nichts, denn all das kommt in den nächsten zwölf Monaten auf das Volk zu – und vor allem die Debatten um Neutralität und Erbschaftssteuer dürften emotional geführt werden.

SRG-Initiative deutlich abgelehnt

Damit ist die Ruhe in der Schweiz vorbei. Einen ersten Vorgeschmack auf die bevorstehende Lagerbildung bot die Nationalratsdebatte um die sogenannte «Halbierungs-Initiative», auch «SRG-InitiativeExterner Link» genannt. Sie verlangt die Gebührengelder für die SRG, zu der auch Swissinfo gehört, von heute 335 auf 200 Franken zu senken.

Die Debatte im Nationalrat war zwar erhitzt, aber fair und wurde von einer Rekordzahl an Redner:innen geführt. Nun geht die Initiative zur Behandlung in den Ständerat. Diese Vorlage betrifft das Portemonnaie aller Stimmbürger:innen – und mit der SRG geht es um eine Marke, zu der fast alle eine Meinung haben. Damit hat sie ein grosses Mobilisierungspotenzial. 2026 kommt sie vors Volk.

Ein weiterer Vorbote für das, was bald kommen wird, war eine Debatte im Nationalrat um das sogenannte E-Collecting. Dafür braucht es eine elektronische Identität, die sogenannte E-ID, über die im September abgestimmt wird. «E-Collecting» steht für die digitale Sammlung von Unterschriften – das Organisieren von Initiativen und Referenden soll so sicherer werden, sagen die Befürworter:innen.

Mehr Teilhabe für Auslandschweizer:innen in Sicht

Nach dem Skandal um den «Unterschriften-Bschiss» hatte sich eine breite Allianz von links bis bürgerlich hinter dem Ziel vereint, eine digitale Identität einzusetzen, um Unterschriftensammlungen auf diesem überprüfbaren Weg vor Betrügereien und Fälschungen zu bewahren.

Gerhard Andrey (Grüne/FR), der das Pro-Lager vertritt, bezeichnete E-Collecting als eine Weiterentwicklung der direkten Demokratie. «Volksinitiativen und Referenden sind keine Internetumfrage», entgegnete Nationalrat Benjamin Fischer (SVP/ZH).

E-Collecting ist auch für Schweizerinnen und Schweizer mit Wohnsitz im Ausland relevant. Für die meisten von ihnen ist jeder Digitalisierungsschritt der Schweiz willkommen. E-Government erleichtert ihnen die Teilhabe. So eröffnet E-Collecting ihnen erstmals die Möglichkeit, ihre Unterschrift für eine Initiative oder ein Referendum aus dem Ausland einzubringen.

Über den elektronischen Identitätsnachweis, die E-ID, muss aber wie erwähnt zunächst das Volk entscheiden. Am 28. September ist der Urnengang. Der Abstimmungskampf wurde noch in der Sommersession lanciert, an deren zweitletztem Tag. Damit ist der Kickoff für neue Debatten bereits vor der Sommerpause erfolgt.

Beschlossen ist, wie die 13. AHV-Rente finanziert werden soll, nämlich mit höheren Lohnbeiträgen und einer höheren Mehrwertsteuer.

Für Auslandschweizer:innen, die in Kryptowährungen investieren, könnte ein Entscheid des Ständerats ins Interesse rücken. Die kleine Kammer will, dass der automatische Informationsaustausch über Steuerdaten künftig auch Kryptowerte abdeckt. Geplant ist die Massnahme mit 74 Partnerstaaten. Die USA, Saudiarabien oder China gehören nicht dazu. Der Nationalrat muss über die Vorlage erst noch befinden.

Auch die Finanzierung der Armee nahm eine wichtige Hürde. Mit rund 1,7 Milliarden Franken will der Nationalrat Rüstungsgüter beschaffen. Auch die Ausmusterung der F-5-Tiger, mit denen die Patrouille Suisse fliegt, ist beschlossene Sache.

Eine Sicherheitsdienstpflicht steht bevor, damit werden Zivilschutz und Zivildienst zusammengelegt: Schweizer Männer sollen künftig entweder beim Militär oder beim Katastrophenschutz Dienst leisten. Die Mehrheit verspricht sich davon, dass die Armee genügend Dienstleistende erhält. Und bei der Wehrpflicht will der Nationalrat die sogenannte Gewissensprüfung wieder einführen. So soll es schwieriger werden, von der Armee zum Zivildienst zu wechseln.  Die Vorlage muss noch durch den Ständerat, ein Referendum steht im Raum.

Der Ständerat hat entschieden, dass die Schweizer Rüstungsindustrie beim Export von Kriegsmaterial künftig weniger strenge Regeln befolgen muss.

Editiert von Samuel Jaberg und Marc Leutenegger/jg

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