Schweizer Presse begrüsst das WTO-Abkommen
Die Schweizer Zeitungen begrüssen am Montag den Durchbruch bei den Welthandels-Verhandlungen in Genf. Nur die Bauern haben keine Freude.
Die 147 Mitglieder der Welthandels-Organisation WTO haben mit der Einigung den Eclat von Cancún wieder gutgemacht. Doch noch bleibt viel zu tun.
Als einen «doppelten Feiertag» bezeichnet der «Tages-Anzeiger» den 1. August. Besonders Bundespräsident Joseph Deiss habe zweimal feiern können. Erstens sei er als Festredner auf dem neuen Bundesplatz in Bern eine «schmückende Beigabe» gewesen.
Zweitens aber habe er «als Leiter der Schweizer Delegation (…) in Genf jedoch ein Rahmenabkommen ausgehandelt, das just zum Anbruch des Nationalfeiertags fertig wurde», so der «Tages-Anzeiger».
Das Abkommen verspreche den Märkten in aller Welt einen Öffnungsschub. «Den patriotischen Applaus in Bern hat sich Deiss in Genf also hart verdient.»
Nach diesem hart errungenen Kompromiss könne der Verhandlungszyklus in Sachen Welthandel, der 2001 in Doha in Katar lanciert worden war, weitergeführt werden.
«Ausgewetzte Scharte von Cancún
«Nach fünftägigem harten Ringen und Feilschen am Sitz der Welthandelsorganisation (WTO) in Genf steht nun doch ein Verhandlungsrahmen mit Zielen, Leitlinien und Methoden zur weiteren Liberalisierung des multilateralen Welthandelsregimes», schreibt die «Neue Zürcher Zeitung».
Damit sei es den 147 WTO-Mitgliedstaaten gelungen, die «Scharte von Cancún» auszuwetzen. Vor rund einem Jahr nämlich habe es im mexikanischen Badeort einen Eclat gegeben, als die Fortsetzung der Doha-Runde hätte festgelegt werden müssen.
Es endete in Cancún mit unüberbrückbaren Differenzen. Diese hätten, so die NZZ, noch bis vor kurzem bestanden. Der entscheidende Impuls zur Wiederbelebung sei dann von Brüssel ausgekommen – die EU gehöre selber zu den grossen Sündern im Agrarbereich.
Abbau der Barrieren gegenüber der Dritten Welt
Die EU und noch mehr die Schweiz verschaffen ihrer Landwirtschaft gegenüber den Agrarsektoren der Dritten Welt mittels Handelsbarrieren und Zuschüssen milliardenschwere Wettbewerbsvorteile. Diese müssen nun abgebaut werden.
Darum formuliert es die Westschweizer Tageszeitung «Le Temps» in ihrem Frontkommentar etwas weniger diplomatisch: «Würden sich die Schweizer Bauern weniger beklagen und wären die Schweizer Arbeitgeber lebensfroher, hätten sie sich am heutigen 1. August bei der Equipe der Berner Handelsdiplomaten und bei Bundespräsident Deiss bedankt.»
«Noch einige Stunden Schlaf»
Im Interview mit «Le Temps» sagt Deiss: «Die Verhandlungen dauerten von Freitag-Abend die ganze Nacht bis Samstag. Wir konnten uns auf einen Kompromiss einigen. Kurz nach Mitternacht am Sonntag sind wir zu einem Abschluss gekommen. Danach gab es noch einige Stunden Schlaf vor den Erst-August-Feiern.»
Deiss und seine Equipe hätten ein doppeltes Resultat erreicht, so «Le Temps» weiter. Global werde die Schweiz vom WTO-Arrangement profitieren. Und ausserdem habe sich die Schweiz als aktiver Kopf der Gruppe G-10 einen guten Namen gemacht.
Zu den zehn Ländern der Gruppe G-10 gehören neben der Schweiz weitere Nationen mit grossem Aussenhandel, wie Japan oder Israel. Deshalb sei es für ein kleines Land wie die Schweiz wichtig, in dieser Rolle Erfolge verbuchen zu können.
«Alles nur Säbelrasseln?»
Die Boulevard-Zeitung «Blick» nimmt sich der beiden vom WTO-Durchbruch betroffenen Lager an: Der Schweizer Bauern und der Wirtschaft. Die Bauern nähmen das neue Rahmenabkommen «mit Besorgnis entgegen», während auch die Wirtschaft enttäuscht sei, da es sich um eine «absolute Minimallösung» handle.
«Alles nur Säbelrasseln, weil der Poker noch weitergeht?», fragt sich der «Blick»? Und weiter: «Die stark exportoriente Schweizer Wirtschaft ist sehr an einem erleichterten Welthandel interessiert.»
Insbesondere Agrarprodukte würden billiger. Andererseits hätten die Bauern keine Freude daran. «Es ist klar, dass sie zu den Verlierern des Rahmenabkomens gehören.»
«Wirtschaft zufrieden, Bauern betrübt», meint die «Basler Zeitung» zur Welthandelsrunde. «Das Abkommen sieht vor, dass Exportsubventionen – zum Beispiel für Käse – abgeschafft werden sollen.»
swissinfo, Alexander Künzle
Netto-Agrar-Importländer der WTO, die von der Schweiz angeführt werden (G-10):
Schweiz
Bulgarien
Taiwan
Island
Norwegen
Südkorea
Israel
Liechtenstein
Mauritius
Ergebnisse: die 147 WTO-Länder einigten sich auf ein Rahmenabkommen: Abbau der Agrarsubventionen, Reduktion von Einfuhrzöllen auf Agrarprodukte.
Fronten: Es gibt keine klaren Fronten wie früher im Nord-Süd-Konflikt mehr. Viele Entwicklungsländer stehen an der Schwelle zur Industrialisierung und argumentieren entsprechend.
Fortsetzung: Detailhandlungen ab September 2004. Nächste Ministerkonferenz in Hongkong im Dezember 2005.
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