Schweizer «Schutzpatroninnen und -patrone» für Burmas Demonstrierende
Prominente Persönlichkeiten aus der Schweiz geben ihren Namen, um in Burma friedliche Demonstrierende gegen die Militärjunta zu schützen. In Bern hinterfragen Parlamentsmitglieder mögliche Verbindungen von Schweizer Firmen mit Konglomeraten, die von der burmesischen Armee kontrolliert werden.
«Die Proteste sind nicht mehr so stark wie noch vor ein paar Wochen. Grund dafür ist die brutale Unterdrückung durch die Sicherheitskräfte, die bereits mehr als 550 Menschen das Leben gekostet hat», sagt Aje gegenüber swissinfo.ch. Das ist nicht ihr richtiger Name, denn die Aktivistin riskiert mit ihrer Auflehnung gegen die Militärdiktatur ihr Leben.
Wie brutal diese Putschisten gegen ihre eigene Bevölkerung vorgehen, zeigt der Umstand, das unter den Opfern auch rund 50 Kinder sind.
«Die meisten Menschen haben jetzt Angst zu protestieren, besonders in Rangun. Es gibt Spitzel in den Gemeinden, welche die Polizei informieren, sobald sich Menschen versammeln. Aber es ist sehr schwierig zu wissen, wer sie sind», sagt Aje. Sie hält sich irgendwo im burmesischen Dschungel versteckt und wurde dort von Elisabeth Decrey kontaktiert.
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«Solange die Menschen auf der Strasse bleiben, ist der Coup unvollendet»
Als ehemalige Parlamentarierin aus Genf, die in mehreren humanitären Organisationen aktiv ist, stellt sich Decrey nun einer weiteren Herausforderung: Sie will Schweizer Persönlichkeiten dazu bewegen, virtuell mit friedlichen Demonstrantinnen und Demonstranten in Burma auf die Strasse zu gehen.
Dabei trägt die protestierende Person ein Schild mit dem Namen des Schweizer «Schutzpatrons», auf dem steht: «Nachricht an die Armee oder die Polizei: Herr X oder Frau Y aus Genf demonstriert heute mit mir. Wenn Sie mich verhaften, verletzen oder töten, werden Sie auch ihn oder sie verhaften, verletzen oder töten.»
Sollte der exponierten Person in Burma, das auch Myanmar genannt wird, etwas zustossen, wird ihre Schutzpatronin in der Schweiz informiert, und es liegt an ihr, die schlimme Nachricht über soziale Netzwerke, Medien oder Freunde zu verbreiten.
«Menschenrechts-Verletzungen züchten bewaffnete Kämpfe»
«Es wird immer schwieriger zu demonstrieren und auch zu kommunizieren: Whatsapp funktioniert kaum, und das Internet ist blockiert», sagt Decrey. «Aber ich fahre fort, besonders um die Burmesinnen und Burmesen zu ermutigen, denn sie sind verzweifelt angesichts der Untätigkeit der internationalen Gemeinschaft.» Bislang konnte die Parlamentarierin rund zwanzig Schweizerinnen und Schweizer als Schutzpersonen gewinnen.
In der Schweiz hat die Regierung die Entwicklungshilfe für Myanmar ausgesetzt, aktuell wird nur noch Nothilfe geleistet. Ausserdem hat der Bundesrat Sanktionen gegen elf Mitglieder der Militärjunta verhängt. Sämtliche Vermögenswerte des Oberbefehlshabers der Armee, Min Aung sowie von neun hochrangigen Offizieren und des Vorsitzenden der Wahlkommission wurden in der Schweiz eingefroren. Auch ist ihnen nicht mehr erlaubt, in die Schweiz einzureisen.
Im Einklang mit der EU nimmt Bern nur das Militär ins Visier, während die USA und Grossbritannien weiter gehen, indem sie auch Unternehmen in der Hand der Junta sanktionieren.
Im Schweizer Parlament wurden seit dem Militärputsch vom 1. Februar vier Vorstösse eingereicht. Laurence Fehlmann, Präsidentin der Schweizerisch-Burmesischen Gesellschaft und an der virtuellen Schutzkampagne beteiligt, hat in einer Interpellation die Regierung aufgefordert, sicherzustellen, dass in Myanmar tätige Schweizer Unternehmen die nötige Sorgfalt walten lassen, um keine Produkte mehr von Konglomeraten zu kaufen, die von der Armee kontrolliert werden. Dies gilt insbesondere im Bereich der Edelsteine. Fehlmann fordert auch, dass die Schweiz die Überweisung der Führer der Junta an den Internationalen Strafgerichtshof unterstützt.
In der parlamentarischen Fragestunde bat der Genfer Nationalrat Nicolas Walder von den Grünen den Bundesrat, dafür zu sorgen, dass Schweizer Unternehmen nicht mehr mit den Konglomeraten MEC und MEHL kooperieren sollten. Der Bundesrat antwortete, er erwarte, dass Schweizer Unternehmen, die in Myanmar tätig sind, die gebotene Sorgfalt walten lassen.
Eine davon ist Carlo Sommaruga, Mitglied der Aussenpolitischen Kommission des Ständerats: «Es ist wichtig, sich individuell mit den Demonstrierenden zu solidarisieren, die durch diese Aktion geschützt werden», sagt der Sozialdemokrat. «Gleichzeitig ist es eine Botschaft an die Junta: Persönlichkeiten und Abgeordnete auf der ganzen Welt sind mobilisiert, um die Opposition auf die Strasse zu bringen. Diese Art von Massnahmen wurde bereits für Weissrussland ergriffen. Aber was in Myanmar geschieht, ist viel gewalttätiger», sagt der Ständerat.
Laut Decrey verlaufen die Demonstrationen in Burma momentan noch weitgehend friedlich. Aber junge Menschen schliessen sich den bewaffneten Kräften bestimmter ethnischer Gruppen an, um eine militärische Ausbildung zu erhalten. Etwa 130 ethnische Gruppen sind offiziell anerkannt, wobei die Burmesinnen und Burmesen (Bama) mit 75% die Mehrheit bilden.
«Die Verletzung von Menschenrechten und die Unterdrückung von Minderheiten führt zu bewaffnetem Kampf», sagt Decrey. Sie beobachtet dies im Rahmen des Engagements für die von ihr 1998 mitgegründete NGO Geneva Call: «In Syrien haben die Menschen begonnen, friedlich zu demonstrieren. In Kolumbien ist die Guerilla aus Bauern entstanden, die ihres Bodens beraubt wurden. Die Kurden durften nicht einmal ihre Sprache sprechen. In Myanmar ist die Situation dramatisch und kann jederzeit in einen Bürgerkrieg ausarten.»
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«Da baut sich gewaltiger Druck auf»
«Neuer bewaffneter Widerstand unvermeidlich»
Aje bestätigt dies: «Im Moment sind wir weitgehend friedlich, aber wir müssen den Tatsachen ins Auge sehen: Um die Militärjunta zu stürzen, ist ein neuer bewaffneter Widerstand unvermeidlich. Myanmar ist ein Land, das reich an Ressourcen ist, aber das Geld landet in den Taschen des Militärs, dem die beiden wichtigsten Wirtschafts-Konglomerate des Landes gehören: die Myanmar Economic Corporation, die vor allem im Bergbau, in der Fertigung und in der Telekommunikation tätig ist, und die Myanmar Economic Holdings Limited. Diese ist unter anderem im Bankwesen, im Bauwesen, im Bergbau, in der Landwirtschaft, in der Tabakindustrie und in der Lebensmittelverarbeitung tätig.»Die Junta wird auch von China und Russland unterstützt.
Die Aktivistin weiter: «Wir können nicht einfach warten. Wir hoffen, dass die bewaffneten Organisationen der ethnischen Gruppen diesen Kampf gemeinsam mit dem Volk von Myanmar führen können.»
Sie fügt hinzu, dass fast alle privaten Medien, die seit der demokratischen Öffnung des Landes entstanden sind, von der Junta verboten wurden und nur noch online aktiv sind. Die meisten der Journalistinnen und Journalisten seien wahrscheinlich auch auf der Flucht, da das Militär versuche, diese zu entführen.
Schwieriger Stand für das Schattenparlament
Die im vergangenen November gewählten Mitglieder des burmesischen Parlaments, die gegen den Coup waren, haben eine parallele zivile Regierung gebildet, das so genannte Committee Representing Pyidaungsu Hluttaw (CRPH), Burmas Zweikammerparlament. «Dies ist unsere legitime Regierung, und Burmesinnen und Burmesen auf der ganzen Welt finanzieren sie», sagt Aje. Ausländische Regierungen sollten die Schattenregierung ebenfalls finanziell unterstützen und erklären, dass sie diese als die einzige legitime Regierung in Myanmar anerkennen.
Aje sagt auch, dass die Bewegung des zivilen Ungehorsams von dissidenten Abgeordneten und anderen Mitarbeitenden der Regierung sowie von Personen aus der Privatwirtschaft ins Leben gerufen worden sei.
Auch die Karen National Union unterstützt die Bewegung. Sie ist eine der zehn bewaffneten ethnischen Gruppen, die einen Waffenstillstand mit der Regierung unterzeichnet hatten. Doch nach dem Putsch erachten die Karen diesen als nicht mehr relevant. Die Miliz aber schwächt sich selbst, indem Mitglieder ohne Lohn oder finanzielle Unterstützung gezwungen sind, zur Arbeit zurückzukehren.
Geeinter denn je
Wie Aje versichert, geht es nicht einfach darum, zur Situation vor dem Putsch zurückzukehren: «Wir müssen die Verfassung von 2008 abschaffen, denn sie ist überhaupt nicht demokratisch. Die Schattenregierung hat bereits angekündigt, dass sie abgeschafft ist. Wir wollen eine föderale demokratische Union schaffen, die alle ethnischen Minderheiten repräsentiert. Und wir wollen die Verantwortlichen des Militärputschs vor den Internationalen Strafgerichtshof und den Internationalen Gerichtshof bringen, da der Sicherheitsrat durch das Veto Russlands und Chinas blockiert ist.»
Sie erwartet auch, dass ausländische Regierungen ihre Unternehmen und Subunternehmer, die in Burma aktiv sind, verpflichten sollten, die Sorgfaltspflicht betreffend Menschenrechte in ihren Lieferketten durchzusetzen. Und sie sollten die Bankkonten von Führungskräften und Waffenexporte einfrieren.
«In dieser Volksbewegung sind wir geeinter denn je – die Burmesen, die ethnischen Minderheiten einschliesslich der Rohingya, alle zusammen und alle Religionen. Unser Ziel ist es, das Militär zu stürzen. Wir warten auf die Schaffung einer föderalen Armee. Diese soll die ethnischen Armeen und die jungen Leute einschliessen, die ausgebildet werden. Die Finanzierung sollte durch ausländische Regierungen erfolgen. Ich bin sicher, dass eine Bundesarmee der einzige Weg ist, diese blutige und brutale Militärdiktatur zu beenden. Ich hoffe, dass die Gerechtigkeit am Ende triumphieren wird!», sagt Aje.
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