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Schweizer Techfirmen im Einsatz für digitale Privatsphäre

Ein Wirrwarr von gelben Computerkabeln
Online-Schnüffler können der digitalen Spur leicht folgen und sich ein genaues Bild von einzelnen Internetnutzenden machen. © Keystone / Gaetan Bally

Jede Internet-Nutzerin und jeder Internet-Nutzer hinterlässt digitale Spuren, so genannte Metadaten. Diese können beobachtet und möglicherweise manipuliert werden. Zwei Schweizer Unternehmen wollen Metadaten "vernebeln", um Internetnutzer:innen vor dem Zugriff durch grosse Technologieunternehmen und staatlicher Überwachung zu schützen. Eines der beiden Unternehmen erhält Unterstützung von der ehemaligen US-Militär-Whistleblowerin Chelsea Manning.

Die beiden Softwareentwickler Nym TechnologiesExterner Link mit Sitz in Neuenburg und HOPRExterner Link aus Zürich setzen so genannte Mix Netzwerke (Mixnet) ein, um Metadaten zu vermischen, also Datenspuren, die Menschen beim Surfen im Internet hinterlassen.

Durch diese Methode soll es verunmöglicht werden, verschlüsselte digitale Daten einer bestimmten Person zuzuordnen. Nym und HOPR gehören zu einer kleinen Gruppe internationaler Unternehmen, die sich gegen die Aushöhlung der Privatsphäre im Internet wehren. Mit von der Partie sind auch Firmen wie OrchidExterner Link und XxnetworkExterner Link (gegründet von dem Kryptographen David Chaum, der das Mixnet-Konzept 1981 erstmals präsentierte).

«Die ständige Netzüberwachung belastet die Menschen. Sie werden ständig, bei jedem einzelnen Klick, digital beobachtet und wissen nicht, wohin diese Informationen fliessen oder wie sie weiterverwendet werden. Das beginnt sich langfristig auf die psychische Gesundheit auszuwirken», meint Nym-Technologies-Beraterin Chelsea Manning gegenüber swissinfo.ch.

Vor mehr als einem Jahrzehnt veröffentlichte Manning, die damals als Soldat namens Bradley Manning im US-Militär diente, sensible und vertrauliche Dokumente über den Tod von Zivilisten während des Irak-Kriegs und die Misshandlungen von Gefangenen im Lager Guantanamo Bay.

Heute kämpft sie gegen die Netzüberwachung durch Regierungen und grosse Unternehmen und setzt sich für einen besseren Schutz der Privatsphäre ein.

«Die Menschen sind sich bewusst, dass ihre Privatsphäre verletzt wird, aber sie haben die Erwartung, dass jemand von aussen kommt und das Problem löst – die Regierung, eine Bürgerrechts-Organisation oder eine supranationale Einrichtung wie die Europäische Union. Doch dieser Fall ist eben nicht eingetreten», sagt Chelsea Manning.

Datenspuren wie Abgase

Metadaten werden manchmal mit Abgasen verglichen, die sich in den Spuren finden, die durch Online-Aktivitäten, Nutzung von sozialen Medien und Smartphones entstehen. Diese verraten vielleicht nicht den genauen Inhalt einer Kommunikation, können aber dechiffriert werden, um festzustellen, wer wie oft und wie lange kontaktiert wurde, und wo sich die Partner während einer Kommunikation aufhielten.

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Diverse Forschende, darunter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Stanford, kamen zum Schluss, dass leistungsstarke Tools für maschinelles Lernen diese Metadaten nutzen, um ein überraschend genaues Profil von Personen, ihren Vorlieben, ihrer Persönlichkeit und ihren örtlichen Veränderungen zu erstellen.

Es ergeben sich so Möglichkeiten, Details aus dem Privatleben in Erfahrung zu bringen, vor allem aber Werbung gezielt auf Konsument:innen zuzuschneiden und deren Verhalten in Alltag heimlich zu manipulieren – etwa bei Abstimmungen.

Die Covid-19-Pandemie hat dazu geführt, dass Menschen immer mehr Zeit online verbringen. Viele Business-Meetings wurden und werden mittlerweile über das Internet abgewickelt.

Die russische Invasion in der Ukraine hat zudem das Problem der Kontrolle von Informationen durch Regierungen in den Fokus gerückt. Regierungen versuchen über das Internet ihre eigenen Argumente ins beste Licht zu rücken und Andersdenkende anzugreifen.

Sowohl Nym als auch HOPR sind der Meinung, dass die Probleme besser durch technologische Gegenmittel angegangen werden, als auf regulierende Schutzmassnahmen durch die Behörden zu warten.

HOPR-Gründer Sebastian Bürgel formuliert es so: «Unser Ziel ist es, eine Technologie zu entwickeln, die den einzelnen Nutzer:innen mehr Macht gibt. Wir brauchen widerstandsfähige Systeme, die es uns ermöglichen, die digitale Welt zu nutzen, ohne dass Facebook und Google Daten über uns sammeln.»

Technologie als Problemlösung

Um dies zu erreichen, nutzen beide Software-Unternehmen das gleiche Prinzip der Dezentralisierung, das auch Blockchains und Bitcoins zugrunde liegt. Dabei handelt es sich um ein Netzwerk von Computern, die unabhängig voneinander betrieben werden, aber gleichzeitig miteinander verbunden sind und bei der Datenübertragung zusammenarbeiten. Ein so genannter Schwarm.

Die Theorie besagt, dass ein solcher Rechner-Verbund vertrauenswürdiger ist als ein einzelnes Unternehmen, das seine eigenen kommerziellen Interessen über das Wohl der Allgemeinheit stellt.

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Um Menschen dazu zu ermuntern, sich über ihre Rechner als Datenvermittelnde zu engagieren, haben Nym und HOPR ein Anreizsystem geschaffen, das solche Aktivitäten mit Token belohnt – digitalen Wertmarken. Diese Token können auch für die Bezahlung von Dienstleistungen der jeweiligen Systemanbieter genutzt werden.

Wenn die Mixnet-Systeme in den kommenden Monaten voll funktionsfähig sein werden, könnten sie für eine Vielzahl von Anwendungsfällen genutzt werden – vom dezentralen Finanzwesen über den Versand persönlicher Daten bis hin zum Betrieb digitaler Chatrooms.

HOPR steht in Gesprächen mit einem Medizinaltechnik-Unternehmen, das Geräte entwickelt, die etwa bei einem Sturz einer Person oder einer plötzlichen Verschlechterung des Gesundheitszustands Alarm auslösen, aber gleichzeitig deren Daten schützen sollen.

Regierungen skeptisch

Während viele Internetnutzer:innen solche Technologien zum Schutz ihrer Privatsphäre wohl begrüssen dürften, sehen Regierungen und Strafverfolgungs-Behörden auch potenzielle Risiken.

Anfang dieses Jahres äusserte die britische National Crime Agency NCAExterner Link die Befürchtung, dass die von den Unternehmen eingeführte Ende-zu-Ende-Verschlüsselung die Entlarvung von Kriminellen erschweren werde. NCA-Direktor Rob Jones meinte sogar, «dass diese Methode den Strafverfolgungs-Behörden weltweit das Licht ausknipsen könnte».

In einigen Ländern, speziell in den USA, sind die Behörden entschieden gegen «Kryptowährungs-Mischer» oder «Tumblers» vorgegangen, das heisst Systeme, welche die Spuren von digitalem Geld verschleiern. Sie wurden für illegal erklärt.

Harry Halpin, Mitbegründer und Geschäftsleiter von Nym, weist das Argument zurück, dass Mixes ein Paradies für Kriminelle sein könnten: «Bei der Privatsphäre geht es nicht darum, sich vor allen zu verstecken, sondern darum, selektiv jene Informationen preiszugeben, die man preisgeben möchte.»

Und fügt an: «Regulierung hat nicht zum Ende der Überwachung geführt. Sie führte nur zu lästigen Pop-up-Fenstern und ein paar relativ geringen Bussgeldern.»

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Halpin weist zudem darauf hin, dass Nym von der Initiative Next Generation InternetExterner Link der Europäischen Kommission für den Aufbau eines integrativeren Internets finanzielle Unterstützung erhält. Ausserdem habe sich der halbstaatliche Schweizer Telekommunikationsriese Swisscom verpflichtet, beim Betrieb des Systems zu helfen.

Laut Halpin geht der Kampf um die digitale Privatsphäre alarmierend schnell verloren. Daher fordert er: «Man muss sich mit Technologie wehren und Software verwenden, die eine Überwachung unmöglich macht oder zumindest dafür sorgt, dass die Nutzer:innen nicht planmässig im Internet überwacht werden.»

Unsichere Blockchains

Die heutige Technologie bietet bereits gewisse Lösungen zum Schutz der Privatsphäre. In der Schweiz verschlüsseln «ProtonMail»Externer Link und ThreemaExterner Link den E-Mail- und Messaging-Verkehr. Der Internetbrowser BraveExterner Link blockiert Online-Werbung, während The Onion Router (TorExterner Link) Anonymität garantiert, indem er den Datenverkehr durch Relais leitet, die sich auf verschiedenen Ebenen des Systems befinden.

Nym und HOPR behaupten jedoch, dass ihre Technologie der «mix networks» weiter geht als diejenige der Konkurrenz, da sie speziell auf Metadaten abzielt und Betriebsmodelle einführt, die weniger umständlich und zeitintensiv sind als die der konkurrierenden Systeme.

Obwohl Blockchains den Ruf haben, anonym zu sein, warnt Bürgel, dass die dezentralen Datenbanken potenziell noch grössere Risiken für die Privatsphäre darstellen als das Internet. Blockchains funktionieren, indem sie Transaktionen an das gesamte Netzwerk von Nutzenden weitergeben, nicht aber die Identität von Einzelpersonen preisgeben.

Die Menschen nutzen zunehmend spezialisierte Websites, um zu überprüfen, ob ihre Transaktionen abgeschlossen wurden. Oder sie gehen online, um auf Dienste wie Börsen zuzugreifen. Jedes Mal, wenn sie dies tun, hinterlassen sie Metadaten wie ihre IP-Adresse.

«Diese Informationen sind bisher nur den Dienstleistern zugänglich. Es besteht jedoch die Gefahr, dass die IP-Adresse an das gesamte Netz weitergegeben wird, um herauszufinden, woher eine Transaktion stammt», sagt Bürgel.

Die Vermischung von Metadaten, um ihre Herkunft zu verschleiern, ist laut Bürgel die einzige Möglichkeit, um sicherzustellen, dass dieser Vorgang nicht zu einem Problem wird.

(Übertragung aus dem Englischen: Gerhard Lob)

(Übertragung aus dem Englischen: Gerhard Lob)

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