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Schweizer Unternehmen will von Deutschland aus China die Stirn bieten

Fabrikgebäude
In Freiberg in der einstigen Solarworld-Halle werden die Solarzellen zu Modulen zusammengefügt. Meyer Burger

Das Schweizer Unternehmen Meyer Burger wagt einen Neustart und sieht eine zweite Chance für Solarzellen aus Europa. Konzernchef Gunter Erfurt ist überzeugt davon, mit nachhaltig produzierten Produkten der Konkurrenz aus China die Stirn bieten zu können. Es gibt jedoch auch Skeptiker.

Kann das gutgehen? Ja, es kann, ist Meyer Burgers Konzernchef Gunter Erfurt überzeugt. Statt Maschinen für die Photovoltaik-Industrie zu produzieren, will das Unternehmen mit Sitz in der Schweiz künftig selbst Solarzellen und -module verkaufen.

Die passenden Fabrikhallen in Ostdeutschland werden derzeit aus dem Dornröschenschlaf erweckt und mit Maschinen bestückt. Der Umbau läuft nach Plan, sagt Erfurt. Spätestens im Juni soll die Produktion anlaufen.

Hier, im einstigen Solar-Valley zwischen Berlin und Leipzig, setzte vor fast zwanzig Jahren die deutsche Solarindustrie zu einer Erfolgsgeschichte an. Ihr Absturz folgte ab 2012, als die chinesische Konkurrenz die europäischen Unternehmen nach und nach in die Knie zwang: Q Cells, Sovello, Phoenix Solar, Solarworld, sie alle verschwanden, weil sie mit ihren höheren Lohn- und Produktionskosten den Asiaten nicht die Stirn bieten konnten.

Nun soll Europa will wieder mitspielen im Photovoltaik-Markt und sich auf seine Stärken besinnen. Derzeit wird das einstige Sovello-Werk bei Bitterfeld renoviert, die Meyer-Burger-Maschinen zur Produktion der Zellen stehen zum Einzug bereit. In Freiberg in der einstigen Solarworld-Halle werden sie dann zu Modulen zusammengefügt.

Fabrik
Das ehemalige Sovello-Werk bei Bitterfeld. Meyer Burger

Auf seiner Website sucht das Unternehmen nach Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, vom Hausmeister bis zum Techniker für Vakuumbeschichtungs-Anlagen. 850 Bewerberinnen und Bewerber gebe es bereits für die anfangs rund 350 Stellen. “Das Knowhow vor Ort war ein wesentliches Argument für beide Standorte“, sagt Erfurt.

Knowhow selber nutzen statt exportieren

«Europa hat die Photovoltaik-Industrie in China mit exportierter Technologie und Produktionsmaschinen gross gemacht», konstatiert der Konzernchef. Auch mit Technologien und Maschinen von Meyer Burger. Damit sei jetzt Schluss. Die Schweizer setzen ihre Hoffnung auf von ihnen entwickelte Solarzellen mit einem höheren Wirkungsgrad.

Erfurt vergleicht die neuen Module mit dem Übergang von 4G auf 5G im Mobilfunk. «Die Maschinen dafür werden wir dieses Mal nicht nach China exportieren, sondern selber nutzen», sagt er. Der gebürtige Sachse arbeitet seit Jahrzehnten in der Solarbranche. 2015 kam er zu Meyer Burger, seit Mitte 2020 ist er Geschäftsführer.

Mit ihm sind etliche Experten überzeugt, dass in der nächsten Phase auch europäische Produzenten wieder eine Chance haben könnten, gegen die asiatische Konkurrenz zu bestehen. Ein Grund: Mittlerweile sind die Modulpreise im Keller – sie fielen innerhalb von zehn Jahren um 85 Prozent – und machen bei der Installation von Solaranlagen nur noch einen überschaubaren Teil der Investition aus. Immer höher wird der Anteil an Transportkosten in der Kalkulation.

Kundennähe spart Transportkosten und Emissionen

«Solarmodule von China nach Europa zu schicken, belastet die Umwelt und kostet richtig viel Geld», sagt Erfurt. Das erhöhe den Anreiz, dann doch besser gleich in Produkte aus Europa zu investieren. In Zellen und Module, deren Hersteller man kennt und vertraut.

Mann
Gunter Erfurt, Konzernchef von Meyer Burger Meyer Burger

Darauf setzt auch Meyer Burger. «In diesem Premiumsegment haben wir optimale Bedingungen», sagt Erfurt. Sein Unternehmen will anfangs in Ostdeutschland 400 Megawatt Leistung produzieren. Bis 2026 ist eine Kapazitätssteigerung auf fünf Gigawatt geplant.

Gunter Erfurt macht es anschaulich: Um durchschnittlich 400 Megawatt Solarleistung zu erzeugen, brauche man rund 60 Millionen Solarzellen. Aus denen entstehen eine Million Module, die knapp zwei Millionen Quadratmeter Fläche bedecken.

Für Meyer Burger geht es auch um das eigene Überleben. Gewinne machte das Unternehmen als Maschinenlieferant in den vergangenen acht Jahren nicht mehr. Die Hoffnung ist, dass der Einstieg in die Fertigung von Zellen und Modulen die Rettung bringt.

Sie wird von Experten genährt: Die Schweizer Module mit ihrer neuen Zellstruktur seien 30 Prozent effizienter als jene der Konkurrenz, bescheinigte das renommierte Freiburger Fraunhofer Institut ISE dem Unternehmen im vergangenen Jahr. Meyer Burger verfüge damit über einen Technologievorsprung von drei Jahren, sagt Andreas Bett, Leiter des ISE. Und überhaupt sei die Lage anders als vor einigen Jahren: «Dadurch, dass Photovoltaik so billig geworden ist, wird nun mehr Wert auf Qualität und Zuverlässigkeit gelegt.»

Nachhaltige Produkte, nachhaltig produziert

Über den Preis allein sind die Chinesen nicht zu schlagen, das wissen die Schweizer. So setzt man neben der Effizienz auch auf das Image einer deutsch-schweizerischen Ko-Produktion: Dazu gehört neben Qualität, guten Arbeitsbedingungen und transparenten Produktionsprozessen auch Strom aus erneuerbaren Energien für die Fertigungsstandorte. «Produkte, die der Nachhaltigkeit dienen, sollten auch nachhaltig produziert werden», sagt Erfurt mit Nachdruck und zielt damit Richtung China.

Auch wenn Meyer Burger seine Produktion gänzlich nach Deutschland verlagert hat, sei es ein nach wie vor ein Schweizer Unternehmen. Forschung und Entwicklung finden nach wie vor in den Schweizer Städten Thun und Neuenburg statt, die Aktien werden am Börsenplatz Zürich gehandelt und «ein Grossteil der Aktionäre kommt aus der Schweiz», sagt er.

Maschine wird ausgepackt
In Freiberg wird eine Maschine ausgepackt. Meyer Burger

Es gibt jedoch auch Skeptiker, wie den Solarexperten Götz Fischbeck von der Beratungsagentur Smart Solar: «Es gibt wenig Gründe, davon auszugehen, dass es zu einem neuen Frühling in der europäischen Solarindustrie kommt», sagte er dem deutschen «Handelsblatt». Die chinesische Konkurrenz sei mit staatlicher Unterstützung bereit, alle ausländischen Mitstreiter preislich zu unterbieten, koste es, was es wolle. «Eine Verzweiflungstat», nannte auch die Neue Zürcher Zeitung Meyer Burgers Richtungswechsel.

Politische Rahmenbedingungen sind günstig

Auf der anderen Seite sind die politischen Rahmenbedingungen für die Stromerzeugung aus Sonnenenergie global gesehen so günstig wie lange nicht mehr. Im Kampf gegen die Erderwärmung setzen China, die EU und die USA auf die Abkehr von CO2-intensiver Kohle und Öl und den Umstieg auf Energie aus Sonne, Wasser und Wind.

Rückenwind versprechen sich die Verfechter dieser erneuerbaren Energie auch vom «Green Deal», dem Fahrplan für die EU-Behörden zur Förderung der Energiewende in den kommenden Jahren. Bis 2050 soll die EU klimaneutral sein.

Ohne einen massiven Ausbau der Wind- und Sonnenenergie ist das nicht zu schaffen. Auch die Autoindustrie ist in das Elektrozeitalter abgebogen, wenn möglich sollen die Fahrzeuge mit grünem Strom angetrieben werden.

Mit diesem Rückenwind wird die Nachfrage nach Solarmodulen aller Voraussicht nach weiter wachsen – angefangen von privaten und gewerblichen Immobilien, deren Dächer mit Modulen bestückt werden können, bis hin zu gigantischen Solarparks, die als Energielieferanten Kohlekraftwerke ablösen werden. Die Frage wird sein, ob europäische Hersteller nun im zweiten Anlauf das richtige Rezept finden, um gegen die chinesische Konkurrenz zu bestehen.

Subventionen gibt es nicht nur in China, sondern auch in Deutschland: 22,5 Millionen Euro Fördermittel erhält Meyer Burger vom Land Sachsen-Anhalt und der Bundesrepublik Deutschland. Ende 2020 kamen die entsprechenden Zuwendungsbescheide. Zusammen mit einer Kapitalerhöhung von 165 Millionen Franken – von den Aktionären im Juni 2020 bewilligt – genügt das für einen Neustart.

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