Angst vor China: Kein Schweizer Forschungsabkommen mit Taiwan
Die Schweiz hat sich bisher geweigert, die wissenschaftliche Zusammenarbeit mit Taiwan zu verstärken. Sie beruft sich dabei auf ihre Ein-China-Politik. In Wahrheit befürchtet die Schweiz wirtschaftliche Konsequenzen von Seiten Pekings. Die Schweizer Position ist ein Hindernis in den Beziehungen zu Taiwan als weltweit grösstem Herstellerland von Halbleitern.
Wie die meisten Länder der Welt erkennt auch die Schweiz Taiwan (Chinesisches Taipei) nicht als eigenständigen Staat an. Doch während viele Industrienationen Wege gefunden haben, um ihre Beziehungen zu dem von Peking beanspruchten Inselstaat auszubauen, bleibt die Eidgenossenschaft zurückhaltend.
Diese Zurückhaltung betrifft auch die Zusammenarbeit in Bereichen, in denen Taiwan weltweit führend ist, namentlich in der Mikro- und Nanotechnologie.
Die Schweizer Regierung hat sich bisher geweigert, ein bilaterales Abkommen zur Stärkung der wissenschaftlichen und technologischen Zusammenarbeit mit Taiwan zu unterzeichnen.
Begründet wird dies mit Hinweis, dass ein solches Abkommen gegen das Ein-China-Prinzip verstossen würde. Dieses besagt: Wer diplomatische Beziehungen mit der Volksrepublik China unterhält, muss anerkennen, dass es nur ein China – inklusive Taiwan – gibt.
Diese Position wird von einigen Mitgliedern des Schweizer Parlaments inzwischen kritisiert. Einerseits halten sie diese Haltung für kurzsichtig, weil Taiwan eine technologische Weltmacht ist.
Andererseits werden geopolitische Gründe ins Feld geführt, wonach die Schweiz Beziehungen zu einem Land intensiveren müsse, dessen demokratische Werte sie teilt, zumal diese Werte bedroht seien.
Inoffizieller Besuch
«Wenn es ein Land gibt, mit dem die Schweiz gute Beziehungen in Asien haben sollte, dann ist es Taiwan», sagt der Sozialdemokrat Fabian Molina. «Doch dafür braucht es ein gewisses Mass an politischem Willen.»
Nationalrat Molina ist Co-Präsident der parlamentarischen Freundschaftsgruppe Schweiz-Taiwan. Er war einer der fünf Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die der asiatischen Insel Anfang Februar einen inoffiziellen Besuch abstatteten.
Mehrere Organisationen und Forschungsinstitute aus Frankreich, Deutschland, dem Vereinigten Königreich und den Niederlanden haben Absichtserklärungen und bilaterale Rahmenprogramme für den Austausch mit Taiwan abgeschlossen, ohne das Ein-China-Prinzip in Frage zu stellen.
Die Schweiz unterhält ebenfalls einen Austausch und eine Forschungszusammenarbeit mit taiwanesischen Universitäten. Aber im Allgemeinen wendet die Schweizer Regierung (und damit auch die Forschungsinstitute des Landes) das Ein-China-Prinzip viel strenger an als die erwähnten Länder.
Als Folge scheiterten die jüngsten Versuche, die Zusammenarbeit mit Taiwan in den Bereichen Wissenschaft, Technologie und Innovation zu erweitern und zu vertiefen. «Die Schweiz interpretiert die Ein-China-Politik sehr im Sinn von Peking», sagt Simona Grano, Professorin für Sinologie an der Universität Zürich.
Der Grund dafür ist, dass China von Europa und den USA als Konkurrent betrachtet wird, während es für die Schweiz in erster Linie ein wichtiger Wirtschafts- und Handelspartner ist.
Im Jahr 2013 unterzeichnete die Schweiz ein beispielloses Freihandelsabkommen mit China, das es Schweizer Unternehmen ermöglicht, bei der Ausfuhr ihrer Waren nach China mehrere hundert Millionen Franken zu sparen.
«Es handelt sich um eine Vorzugbehandlung von Peking gegenüber der Schweiz, die aber jederzeit widerrufen werden kann, wenn die helvetische Politik eine Wendung nimmt, die China nicht gefällt», sagt Patrick Ziltener, Professor für Soziologie an der Universität Zürich und Experte für Aussenwirtschaftspolitik.
Um die privilegierten Beziehungen zu China nicht zu gefährden, scheint die Schweizer Regierung bereit zu sein, die Zusammenarbeit mit Taiwan zu opfern, auch im Bereich der wissenschaftlichen Kooperation.
Diese Position geht jedoch auf Kosten von Forschungsbereichen, in denen Taiwan führend ist, etwa die Entwicklung von Computerchips und den daraus hergestellten Halbleitern. Diese sind für die Hightech-Industrie von entscheidender Bedeutung.
Wichtiger Produktionsstandort
Taiwan produziert fast 60% aller weltweit verkauften Computerchips und 90% der modernsten Mikrochips (mit einer Maximalgrösse von sieben Nanometern).
Im Hsinchu Science Park an der Nordwestküste Taiwans befindet sich die grösste Halbleiter-Fabrik der Welt, die der Taiwan Semiconductor Manufacturing Company (TSMCExterner Link) gehört.
Der ostasiatische Inselstaat wird von den Weltmächten umworben, die immer grössere Mengen an Mikrochips benötigen, um ihre Geräte und ganze Industrien zu betreiben.
Halbleiter sind für fast alle elektronischen Geräte unverzichtbar, von Kühlschränken bis zu Waschmaschinen, von Fernsehern über Computer bis zu Smartphones. Selbst intelligente Autos und gewisse Velos enthalten Computerchips.
Allein im Jahr 2021 ist die weltweite Nachfrage nach Halbleitern um 26% gestiegen. Dieser Anstieg ging auf die erhöhte Nachfrage nach webbasierten Plattformen für Telearbeit und Fernunterricht während der Covid-Pandemie zurück.
Es wird erwartet, dass der Umsatz von 580 Milliarden Dollar im Jahr 2022 auf über eine Billion Dollar im Jahr 2030 steigt. Die globale Lieferkette wird jedoch durch die wachsenden Spannungen mit China bedroht, da chinesische Militärübungen in der Strasse von Taiwan zu einer Blockade der Häfen auf der Insel und einer Verlangsamung des Luftverkehrs führen.
Kurz: Taiwan befindet sich im Zentrum unterschiedlicher geopolitischer Interessen. Sollte China in Taiwan einmarschieren, wäre die daraus resultierende Chip-Knappheit für den Westen verheerend. Die Europäische Union und die USA sind sich dessen bewusst und entwickeln derzeit einen Plan B.
Die Schweiz im Abseits
Im Februar 2022 legte die EU den European Chips ActExterner Link vor, um die Forschung, Entwicklung und Produktion von Halbleitern zu fördern. Einige Monate später unterzeichnete die Regierung Biden den Chips and Science ActExterner Link, um Investitionen taiwanesischer Chiphersteller in die USA zu locken.
Der Plan ging auf, und der taiwanesische Produktionsgigant TSMC kündigte kürzlich den Bau eines zweiten grossen Werks im Bundesstaat Arizona an. Gleichzeitig ist Deutschland in Gesprächen mit TSMC, damit das Unternehmen seine erste Chipfabrik in Europa erstellt.
Die Schweiz stand bisher im Abseits. Obwohl auch sie unter der Chip-Knappheit gelitten hat – besonders während der Pandemie, als die Lieferketten unterbrochen waren –, hat sie keine Strategie zur Stärkung der Beziehungen zu Taiwan und dessen wichtiger Rolle in der Halbleiterindustrie entwickelt. Professor Chih-Jen Shih aus Taiwan, der das Institut für Chemie und Bioengineering an der ETH Zürich leitet, hält dies für einen Fehler.
«Ein technologisches und wissenschaftliches Abkommen zwischen der Schweiz und Taiwan würde die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz im Halbleitersektor sicherlich erhöhen», sagt Shih.
Seiner Meinung nach würde ein solches Abkommen Schweizer Studierenden einen Zugang zu modernsten miniaturisierten Technologien verschaffen. Es handelt sich um strategische Schlüsseltechnologien in Bereichen wie künstlicher Intelligenz, Robotik und Cybersicherheit.
TSMC hat kürzlich ein Programm zur Förderung der Sieben-Nanometer-Halbleiterforschung mit Partneruniversitäten gestartet. Darunter befindet sich jedoch kein Schweizer Institut.
«Wenn die Schweizer Studierenden in der Anwendung modernster Halbleitersysteme geschult werden könnten, hätten sie Zugang zur Technologie der Zukunft», sagt Professor Shih.
Philippe Flückiger, Direktor des Zentrums für Mikro- und Nanotechnologie an der ETH Lausanne (EPFL), ist ebenfalls der Ansicht, dass die Schweiz ihre Halbleiterforschung konsolidieren sollte, auch durch eine stärkere Zusammenarbeit mit Taiwan.
«Ich denke, dass das Niveau der wissenschaftlichen Grundlagenforschung in der Schweiz gut ist, aber das Engineering und die Zusammenarbeit mit der Industrie könnten verbessert werden», sagt Flückiger.
Kein Abkommen mit Taiwan
Die Bedeutung Taiwans geht indes über die Halbleiterindustrie hinaus. Das asiatische Land investiert ebenfalls stark in andere Forschungsbereiche, die für die Schweiz von Interesse sind, namentlich die Entwicklung von Batterien, Photonik und vor allem Bio- und Nanotechnologien für die Medizin und die Landwirtschaft. Taiwan ist im Übrigen der sechstgrösste Exportmarkt der Schweiz in Asien.
Doch die Schweizer Regierung, die bilaterale wissenschaftliche Abkommen mit den wichtigsten asiatischen Handelspartnern – China, Japan, Indien, Südkorea und Vietnam – eingegangen ist, schliesst für Taiwan trotz mehrerer Versuche auf parlamentarischer Ebene solche Kooperationsabkommen weiterhin aus.
Der letzte Versuch erfolgte im Juni 2022, als der sozialdemokratische Abgeordnete Mustafa Atici eine Motion einreichteExterner Link, die eine Festigung und Vertiefung der wissenschaftlichen und technologischen Zusammenarbeit mit Taiwan forderte.
Der Schweizer Bundesrat lehnte die Motion ab und schrieb in einer Stellungnahme vom 31.August 2022, dass ein Abkommen «keinen wesentlichen Mehrwert» bringen würde.
Auf Anfrage von swissinfo.ch antwortete das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) per E-Mail, der Bundesrat fördere den «technischen» (inoffiziellen) Austausch zwischen schweizerischen und taiwanesischen akademischen Institutionen, schliesse aber kein bilaterales Abkommen mit Taiwan ab – im Einklang mit dem «Ein-China-Prinzip».
Tatsächlich können die Schweizer Hochschulen individuelle Abkommen mit ihren taiwanesischen Partnern abschliessen. David Huang, Vertreter der Kultur- und Wirtschaftsdelegation von Taipeh in Bern, ist jedoch der Meinung, dass diese Möglichkeit nicht ausreicht. «Die gegenwärtigen Partnerschaften basieren auf einem Bottom-up-Ansatz, der von den persönlichen Beziehungen einzelner Forschender abhängt», sagt Diplomat Huang.
Dies untergrabe die Zusammenarbeit für diejenigen, die nicht über ein eigenes Netzwerk in der Schweiz oder in Taiwan verfügten, und schränke den Spielraum für die Zusammenarbeit erheblich ein.
Huang ist nicht alleine mit seiner Meinung, dass ein Rahmenabkommen mit Taiwan nötig sei, das alle Forschungsinstitute umfasst, inklusive die Fachhochschulen. Laut SBFI gab es zwischen 2018 und 2022 rund 30 Kooperationen zwischen schweizerischen und taiwanesischen Forschungsinstituten.
Demgegenüber stehen mehr als 400 Forschungskooperationen mit Japan und fast 300 mit China, beides Länder, mit denen die Schweiz Rahmenabkommen zur wissenschaftlichen und technologischen Zusammenarbeit abgeschlossen hat.
Pekings rote Linien
Trotz der bisherigen Widerstände ist etwas Bewegung in das Dossier gekommen. Auf Druck des Parlaments wird der Bundesrat in den nächsten Wochen einen Bericht zu Taiwan vorlegen, der mögliche Bereiche ausloten soll, in denen im Interesse von Wissenschaft und Kultur die bestehenden Beziehungen zu Taiwan graduell vertieft werden können.
Laut Sinologin Simona Grano wird dies die Beziehungen zu Taiwan jedoch kaum grundsätzlich ändern. «Ich gehe davon aus, dass der Bundesrat weiterhin sehr vorsichtig sein wird und sich nicht zu sehr auf die Seite Taiwans schlagen wird, aus Angst, den Zorn der Volksrepublik China auf sich zu ziehen», sagt sie.
Die Schweiz wird sich wahrscheinlich weiterhin zurückhalten. Die Eidgenossenschaft versucht seit 2017, ihr Freihandelsabkommen mit China zu aktualisieren. Aber aufgrund der wachsenden Besorgnis über Menschenrechtsverletzungen und Pekings neutrale Haltung zum Krieg in der Ukraine ist der Handlungsspielraum enger geworden.
Ein wissenschaftliches Kooperationsabkommen mit Taiwan könnte ein Hindernis in den Verhandlungen mit China bedeuten, das seit Jahren Druck auf die europäischen Staaten ausübt, damit diese ihre diplomatischen «roten Linien» in Bezug auf umstrittene Gebiete wie Macao, Hongkong und Taiwan nicht überschreiten.
Huang ist der Ansicht, dass die wirtschaftlichen Interessen der Schweiz die wissenschaftliche Forschung nicht einschränken sollten, auch wenn Taiwan im Vergleich zu China ein kleines Land sei.
Das Thema liegt dem taiwanesischen Diplomaten, der früher lange als Politikwissenschaftler tätig war, sehr am Herzen. «Indem wir auf ein Abkommen drängen, wollen wir nicht nur Taiwan verteidigen, sondern auch die Zukunft der Forschung», sagt er.
Editiert von Sabrina Weiss und Veronica De Vore, Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob
Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob
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