Forschen in baumlosen Landschaften – nicht ganz einfach
Auf Svalbard (Spitzbergen) sind die Temperaturen zu niedrig und der Boden zu flach, damit Bäume wachsen können. In diesem Biotoptyp, der Tundra genannt wird, überwiegen Zwergsträucher, Moose und Flechten sowie einige spezialisierte kleine Kräuter und Gräser.
Mit einer Vegetationsperiode von nur sechs bis acht Wochen verändert sich die Landschaft recht schnell. Als wir Anfang Juli, in der Hochsaison der Tundra, ankamen, war die Landschaft satt dunkelgrün, die Blumen blühten.
Einige aus unserer Forschungsgruppe mussten Ende August nach Svalbard zurückkehren, um reife Pflanzensamen für unser Pflanzenkonkurrenz-Experiment in Zürich zu sammeln. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Herbst bereits begonnen, die Berggipfel waren mit Schnee bedeckt, und die Tundra war daran, sich in wunderbare Orange- und Rottöne zu färben. Wir waren überrascht, wie schnell sich die Pflanzen veränderten und wie viel feuchter der Boden war.
Feldnotizen aus der Arktis
Die Doktorandinnen Lena Bakker, Sigrid Trier Kjaer und Jana Rüthers (v.l.n.r.) von der ETH Zürich haben sich auf den Weg zur norwegischen Inselgruppe Spitzbergen gemacht. Im hohen Norden wollen sie die Begrünung der Arktis untersuchen; ein Prozess, der durch die globale Erwärmung ausgelöst und lokal durch die chemische und geologische Beschaffenheit des Bodens bestimmt wird.
Eine Herausforderung, die wir in der weiten Tundra erlebten, war das Schätzen von Distanzen und Grössen. Hier in der Schweiz kann man sich einfach einen Baum in der Nähe aussuchen und ihn als allgemeine Referenz für Grössenverhältnisse verwenden. Wir scheinen dies mehr oder weniger unbewusst zu tun.
Aber weil in der Tundra keine Bäume oder gar Büsche wachsen, fehlt ein solcher Bezug. Die vielen verstreuten Felsen sind ein sehr schlechter Ersatz, auch weil sie oft ein bisschen zu sehr wie Eisbären aussehen (vor allem die weissen). Das bedeutet, dass alle Berge, Flüsse, Felsen und Wiesen gleichzeitig gross und klein erscheinen.
Das bedeutet auch, dass das Schätzen der Wanderzeiten zu interessanten Plätzen, die wir beim Auskundschaften vom Boot aus entdeckten, die meiste Zeit nicht der Realität entsprach.
Dies war vor allem entlang der Küstenlinie bei Festningen der Fall, wo eine Wanderung, die wir auf 20 oder 30 Minuten schätzten, am Ende eine Stunde dauerte. Glücklicherweise blieb die Tundra auch durch dieses Phänomen faszinierend, so dass es uns oft nichts ausmachte, etwas länger zu wandern.
Apropos Eisbären: Zu unserem Sicherheitstraining auf dem Schiessstand gehörte es, Entfernungen zu zufälligen Objekten zu schätzen, die in der steinigen Tundra verstreut waren. Das sollte uns helfen, die Gefahr einzuschätzen, wenn ein Eisbär in Sichtweite kam.
Je näher ein Bär kam, desto gefährlicher konnte er werden. Wir hätten das Tier abschrecken oder ablenken müssen, zum Beispiel, indem wir unsere Gruppe versammeln und uns langsam entfernen, indem wir schreien und viel Lärm machen oder eine Leuchtpistole in den Himmel schiessen, um ihn zu verscheuchen.
Als wir dies in unserer Ausbildung übten, wurde uns schnell klar, dass es viel Erfahrung und ein gutes Gespür für das Gelände braucht, um die Distanzen und Gefahren in dieser baumlosen Landschaft richtig einschätzen zu können.
Glücklicherweise begleitete uns eine ausgebildete Bärenschützerin während unserer Feldarbeit. Als wir einmal unterwegs waren, sah sie einen Eisbären in etwa zwei Kilometer Entfernung, und wir mussten alle sofort zum Boot zurückkehren.
Das Adventdalen, ein 30 Kilometer langes Tal, das sich in Richtung Longyearbyen erstreckt, gehörte zu den ersten Orten, die wir nach unserer Ankunft in Svalbard besuchten. Die Tundra ist für uns etwas ganz Besonderes, denn hier haben wir begonnen, unsere geplanten Methoden und Arbeitsabläufe zu testen.
Nach langen Stunden im Feld setzten wir unsere Arbeit in den «Labors» fort, in diesem Fall in den kleinen Räumen, die wir vor unserem Gästehaus und im Frühstücksraum eingerichtet hatten. Hier konservierten und verarbeiteten wir die gesammelten Pflanzen- und Bodenproben für die späteren mikrobiellen Analysen in Zürich.
Und da die Sonne nie unterging, hatten wir abends (oder manchmal sogar nachts) viel Zeit, um alles zu erledigen und immer wieder die allgegenwärtige Tundra und ihre Bewohner zu bewundern.
Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub
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