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Der Impfstoff: So schnell wie möglich, so langsam wie vernünftig

Test vaccin coronavirus
An der Universtität Oxford in Grossbritannien wird ein Corona-Impfstoff bereits an Menschen getestet. Unter anderen auch an Virologin Elisa Granato (links), die den Impfstoff mitenwickelte. Keystone / Pool

Dutzende von Labors weltweit arbeiten mit Hochdruck an einem Impfstoff gegen Covid-19. Nur ein solcher kann die Corona-Massnahmen weitgehend aufheben. Aber der Weg dorthin ist kein Sprint, sondern ein Marathonlauf. Denn die Genehmigungsverfahren sind lang, und das aus gutem Grund. Auch in der Schweiz.

«Ein Impfstoff im Herbst? Nein, das ist ein Missverständnis. Was wir uns für diesen Herbst erhoffen, ist der Beginn von Phase-II-Studien», sagt Lukas Jaggi, Sprecher von SwissmedicExterner Link, der für die Zulassung und die Überwachung von Medikamenten zuständigen nationalen Behörde.

In der Regel vergehen zwischen ersten Labortests und der Markteinführung eines neuen Medikaments 10 bis 12 JahreExterner Link. Im Fall der Suche nach einem Impfstoff gegen Covid-19 können wegen des globalen Notstands bestimmte Phasen beschleunigt werden. Aber nicht alle.

Im Rennen für einen Impfstoff gegen das neue Coronavirus sind rund um den Globus 110 Labore.

Rennen eröffnet

Das Ausmass der Pandemie hat der Forschung an diesem neuen und gefährlichen Virus enormen Auftrieb gegeben. Sein Genom wurde in Rekordzeit entschlüsselt, und schon am 11. Januar stellten die chinesischen Behörden die Daten Forschern und Forscherinnen auf der ganzen Welt zur Verfügung.

Labors haben seither ihre Prioritäten verlagert, um Teams für die Arbeit an Sars-CoV-2 freizustellen. Dazu konnten sie sich Technologien zu Nutze machen, die 2003 während der Sars-Epidemie entwickelt wurden, einem Coronavirus, das mit jenem verwandt ist, das die Welt gerade zum Stillstand gebracht hat.

Erste Tests

Die Website der Weltgesundheitsorganisation (WHO) listet 110 Impfstoff-KandidatenExterner Link auf (letztmals aktualisiert am 11. Mai 2020). Davon befinden sich 102 Labors noch im vorklinischen Stadium von Tests an Zellkulturen oder Tieren.

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Die acht am weitesten fortgeschrittenen Projekte – vier chinesische, drei amerikanische und ein britisches – stehen im klinischen Stadium, d.h. im Stadium der Versuche am Menschen. Diese Etappe findet in drei Phasen statt, nach strengen, international harmonisierten Verfahren.

● Phase I: Das Produkt wird an ein paar Dutzend gesunden Freiwilligen getestet. Das Hauptziel besteht darin zu überprüfen, dass das Produkt keine grösseren Sicherheitsprobleme aufwirft, und darum, die wichtigsten Nebenwirkungen zu ermitteln.

● Phase II: Diese Tests werden mit zwischen einem und mehreren Hunderten Patienten und Patientinnen durchgeführt, von denen einige die Krankheit haben können. Das Hauptziel besteht darin, die Wirksamkeit des Produkts zu beurteilen und die geeignete Dosierung zu bestimmen.

● Phase III: In dieser Phase können bis zu mehreren Tausend Freiwillige aus verschiedenen Ländern an den Tests beteiligt sein. Ziel hier ist es, die Ergebnisse aus Phase II zu bestätigen: Dass der Impfstoff sicher und wirksam ist, und dass die richtige Dosierung unter Kontrolle ist.

Produktionskapazitäten als Hürde

Am Ende dieser drei Phasen kann ein Produkt die Marktzulassung erhalten. Es reicht jedoch nicht aus, den richtigen Impfstoff zu haben: Zusätzlich gilt es sicherzustellen, dass der Impfstoff in sehr grossen Mengen hergestellt und verteilt werden kann.

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Sollte ein kleines Start-up oder ein Universitätslabor das Rennen um die Suche nach einem Impfstoff gewinnen, wird es sich mit einem grossen Pharmakonzern zusammentun müssen, um von dessen Schlagkraft profitieren zu können.

Auch bleibt ein Medikament oder ein Impfstoff nach Erhalt der Marktzulassung unter Beobachtung. So kann eine Zulassung zum Beispiel zurückgezogen werden, wenn sich im Laufe der Zeit herausstellt, dass ein Produkt mehr unerwünschte Nebenwirkungen hat, oder dass diese stärker sind als ursprünglich festgestellt.

Beschleunigte Verfahren…

Marktzulassungen werden von jedem Land ausgestellt. Unabhängig davon, ob ein Impfstoff aus China, den USA oder anderswo stammt: Swissmedic wird in jedem Fall eine eigene Beurteilung vornehmen, auch wenn ein Produkt im Ausland bereits zugelassen ist. Dabei wird die Schweizer Behörde Tests berücksichtigen, die in Ländern mit gleichwertiger Arzneimittelkontrolle durchgeführt wurden.

In der Schweiz ist man sich, wie auch anderswo, der Dringlichkeit bewusst. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat eine Arbeitsgruppe «Covid-19-Impfstoff» eingesetzt, mit Experten und Expertinnen aus Bund, Swissmedic, Wissenschaft und Wirtschaft.

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«Ziel ist es, die Forschung und Entwicklung zu beschleunigen und den schnellstmöglichen Zugang zu einem sicheren und wirksamen Impfstoff zu gewährleisten. Gleichzeitig will diese Gruppe zu einem gerechten Zugang zu einem solchen Impfstoff beitragen», sagt Lukas Jaggi.

… auch in der Schweiz möglich

Die Fristen für das Zulassungsverfahren sind im Bundesgesetz über Arzneimittel und Medizinprodukte (Heilmittelgesetz, HMGExterner Link) und dessen Ausführungsverordnung festgelegt.

Und die COVID-19-Verordnung 2Externer Link, die zur Bekämpfung der Pandemie am 13. März gestützt auf das Epidemiengesetz per Notrecht erlassen wurde, sieht in Artikel 4Externer Link gar vor, dass Swissmedic auf der Grundlage einer Nutzen-Risiko-Analyse den Einsatz eines Heilmittels bewilligen kann, bevor dieses die Marktzulassung erhalten hat.

Im besten Fall 2021

Aber auch damit wissen wir noch immer nicht, wann ein Impfstoff zur Verfügung stehen wird. Swissmedic-Sprecher Jaggi sagt immerhin, dass die «rechtlichen und regulatorischen Instrumente vorhanden sind, um eine rasche Beurteilung unter gebührender Berücksichtigung der Patientensicherheit zu ermöglichen».

Und um die Frage direkter zu beantworten: «Wenn alles gut geht, könnte bestenfalls bis Ende Jahr ein erster Impfstoff zur Verfügung stehen, und Impfungen in grösserem Massstab könnten 2021 beginnen, wenn die Herausforderung der Massenproduktion gelöst werden kann.»

Auch Labor in Bern mischt mit

Einer der «Impfstoff-Kandidaten», der sich noch im Stadium der vorklinischen Forschung befindet, könnte aus einem Labor in Bümpliz kommen, dem ehemaligen Arbeiterquartier Berns. Es handelt sich nicht um irgendein Labor, denn JanssenExterner Link, eine Tochtergesellschaft des US-Pharmagiganten Johnson & Johnson, hatte aufgrund eines neuen Verfahrens schon einen Ebola-Impfstoff hergestellt.

Nun setzt Janssen für einen Corona-Impfstoff auf die gleiche Technologie: Dabei wird ein Erkältungsvirus genetisch so verändert, dass es sich nicht mehr vermehren kann, und dann mit Fragmenten von Sars-CoV-2 kombiniert, um zu versuchen, den Körper damit zur Herstellung von spezifischen Antikörpern anzuregen.

Ein Corona-Impfstoff wird nicht vor Anfang 2021 erwartet und Janssen-Leiter Dirk Redlich sagte gegenüber der Tageszeitung Blick: «Bei dieser Pandemie gibt es kein Konkurrenzdenken. Ich fände es super, wenn auch ein anderer Impfstoff gut wirkt.» Der Corona-Wirkstoff werde kein dickes Geschäft. «Wir wollen an dieser Pandemie auch kein Geld verdienen», sagte Redlich.

(Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch)

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