Ist Ketamin die “kleine, weniger problematische Schwester“ von LSD?
Zum 80-jährigen Jubiläum der Entdeckung von LSD hat ausserhalb von Basel ein Symposium getagt, wo Psychiater:innen auf Zen-Priester trafen. Die Westschweizer Psychiaterin Catherine Duffour sprach über Ketamin im Therapieeinsatz. Im Interview schildert sie ihre Perspektive auf die Droge, die auch ein Medikament ist.
SWI swissinfo.ch: Im Programm der Konferenz zu 80 Jahren LSD sticht Ihr Vortrag hervor, weil Sie über eine andere Substanz sprechen: Ketamin. War das Ihr Entscheid?
Catherine Duffour: Ich wurde dazu eingeladen, weil ich seit 4 Jahren Patient:innen mit Ketamin therapiere und seit 2 Jahren andere Therapeut:innen dazu ausbilde. Die Ketamintherapie ist in den USA bereits weiter verbreitetExterner Link.
In der Therapie unterstützt Ketamin die Arbeit am Ego, an der Angst vor dem Tod, an Symptomen von Depressionen oder posttraumatischen Belastungsstörungen. Es hat also ähnliche Wirkungen wie LSD und andere Psychedelika. All diese Substanzen können das Gefühl geben, mit der Welt und anderen Menschen verbunden zu sein, dass es etwas gibt, das grösser ist als du, deine Biografie und deine Traumata.
Ist also die Therapie mit diesen Psychedelika immer ähnlich?
Manche Therapeut:innen bevorzugen LSD, weil sie glauben, dass es für bestimmte Probleme besser wirkt. Aber meiner Meinung nach kann man nicht sagen, dass die Wirkung einer Therapie mit der einen oder anderen Substanz besser ist. Ich denke, man muss auch die Patient:innen nach ihren Präferenzen fragen.
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Sie stellen die Substanzen also in keine Hierarchie. Dennoch lautete der Titel Ihres Vortrags «Ist Ketamin die (weniger problematische) kleine Schwester von LSD?». Was macht Ketamin Ihrer Meinung nach weniger problematisch?
Das ist ein Wortspiel mit dem Ausdruck des LSD-Erfinders Albert Hofmann «LSD mein Sorgenkind». LSD kann schwierig sein: Negative Erfahrungen sind möglich. Ketamin ist weniger beunruhigend: Weniger Halluzinationen, kürzere Wirkung.
Man spürt zwar eine Wirkung, aber mit unserer kleinen Dosis in der Therapie kann man bei sich bleiben und den Tisch vor sich spüren. Mit LSD ist das schwieriger.
Könnte es sein, dass Ketamin in der Therapie weniger problematisch ist und trotzdem im Vergnügungs- oder Partygebrauch als illegale Droge gefährlicher?
Ich höre öfter von Leuten, die Ketamin an Partys zum Dissoziieren konsumieren, wie zwei, drei Gläser Wein. LSD ist schwieriger zu bekommen. Die Wirkung ist ziemlich lang. Und manche machen schlechte Trips mit LSD.
Dabei kann Ketamin genauso tiefgreifend sein wie LSD, etwa, wenn man ein Trauma aufarbeiten will.
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Albert Hofmann interview (2001)
Das führt uns zurück zum Therapieeinsatz: Wie bereiten Sie Ihre Patient:innen auf Ketamin vor?
Ketamin kann eine alternative Behandlung bei Depressionen oder Posttraumatischem Stress-Syndrom sein. Bei Menschen mit Depressionen müssen wir zuvor mindestens zwei antidepressive Medikamente ausprobiert haben, die nur teilweise oder gar nicht gewirkt haben. Ich muss Patient:innen über Nebenwirkungen aufklären.
Nach den Erklärungen arbeiten wir an am Ziel: Sollen die Sitzungen körperliche Schmerzen lindern? Geht es um Abstand von einem traumatischen Erlebnis? Möchte der Patient verstehen, wie sich ein Trauma auf sein Leben auswirkt? Das Ziel soll klar und kurz sein – ein Satz. Eine Person mit einer Essstörung kann sagen: Ich möchte entscheiden, was in meinen Körper kommt. Sehr oft wollen Menschen etwas aus der Vergangenheit aufarbeiten.
Nach einigen Sitzungen kann die Person über die Gegenwart sprechen – und wenn man dazu in der Lage ist, kann man anfangen, über die Zukunft nachzudenken. Die Zukunft ist etwas Abstraktes, wenn man schwer depressiv ist. Etwas, worüber man nicht sprechen kann. Doch mit dieser Therapie erlebe ich positive Entwicklungen.
Sie setzen auch sensorische Stimulierungen während den Sitzungen ein.
Am Anfang wähle ich Musik, die einem helfen kann, sich zu entspannen, wie Klassik. Wenn man die psychedelische Sphäre nicht kennt, schockt klassische Musik nicht. Nach 30 Minuten schalte ich etwas psychedelischere Musik ein, zum Beispiel von Carbon Based Lifeforms. Diese Musik ist immer richtig. Sie spricht einen immer an.
Mehr und mehr nutze ich auch olfaktorische Stimulierung: Natürliche Geruchsessenzen.
Sie haben in Ihrem Vortrag auch negatives Feedback gezeigt. Ein Patient hatte zum Beispiel das Gefühl, dass Sie ihn mit Musik manipulieren wollten.
Dieser Patient hatte grosse Schwierigkeiten zu vertrauen. Durch seine Geschichte ist das nachvollziehbar. Mit Menschen verbunden sein, sich zu entspannen, war sehr schwierig. Bei diesem Patiententyp müssen wir vor einer Ketamin-Sitzung noch länger an einer starken therapeutischen Allianz arbeiten. Danach sollten Sie zunächst andere Methoden für veränderte Bewusstseinszustände ausprobieren, wie Meditation oder Hypnose. Dann kann man mit einer sehr geringen Dosis Ketamin beginnen.
Einige Patient:innen kannte ich acht Jahre lang, bevor wir Ketamin ausprobierten.
Sie zeigten auch die Ähnlichkeit zwischen der Wirkung von Ketamin und einer Nahtoderfahrung auf. Ist das etwas Gutes?
Ja. Die Patient:innen werden darauf vorbereitet. Man sagt ihnen, dass sie sich fühlen werden, als wären sie nicht mehr im Körper. Das Gefühl, ausserhalb des Körper zu sein, ist angenehm, wenn man zum Beispiel chronische Schmerzen hat. Als Therapeutin muss man da sein, während sie das erleben.
Einmal hat mir ein Krebspatient hinterher gesagt, dass er keine Angst mehr vor dem Sterben hat. Er benutzte eine schöne Metapher: Man wird wieder zu Wassertropfen und breitet sich als solche im Universum aus.
Was unterscheidet Ketamin von einer Nahtoderfahrung?
Menschen mit Nahtoderfahrungen erzählen, dass sie merkten, dass sie, wenn sie über einen bestimmten Punkt hinausgehen, nicht mehr in ihren Körper zurückkönnen. Bei Ketamin ist das nicht der Fall. Und es wird auch nicht die Begegnung mit einem übernatürlichen Wesen mit einer beruhigenden Präsenz beschrieben, das sie willkommen heisst.
In einem PodcastExterner Link des öffentlich-rechtlichen Radio RTS sprachen Sie über Ihr Interesse an der «unsichtbaren Welt», zum Beispiel am Schamanismus. Psychedelische Substanzen sind reine Chemie. Sind sie für Sie aber auch mit der Art verbunden, wie Sie die unsichtbare Welt sehen?
Wie man auf dieser LSD-Konferenz hören konnte, kann man mit Schaman:innen arbeiten und sich durch die Trommel in einen veränderten Bewusstseinszustand versetzen, dann meditieren und mit der unsichtbaren Welt verbunden sein.
Ich denke, das ist ähnlich wie bei der Einnahme psychedelischer Substanzen. Es ist eine spirituelle Erfahrung, eine Verbindung mit der unsichtbaren Welt. Es ist schwierig, das zu beschreiben, wenn man es nicht selbst erlebt hat.
Es gibt Therapeut:innen, die der Meinung sind, dass sie diese Art von Reisen nicht selbst erleben müssen und einfach die Substanzen verabreichen und beobachten sollen.
Sie stehen dem kritisch gegenüber?
Ich denke, die Erfahrung ist so speziell und kraftvoll, dass man wissen muss, was man mit Patient:innen macht. Ich denke, es ist wichtig, dass Therapeut:innen auch praktische Erfahrungen haben.
Aber das ist schwierig, denn: Wir können das sagen, aber wir haben nicht das Recht, einen Therapeuten zu ermutigen, etwas Illegales zu tun. Also: Es ist gut, wenn man es erlebt hat. Als man jung war, im Ausland, an einem Ort, wo es legal ist.
In der Schweiz – wie an vielen Orten – gilt Ketamin als Medikament. Ist Ketamin also das am einfachsten zu verwendende Psychedelikum in der Therapie?
Ja. Bei Psilocybin, MDMA und LSD müssen Sie einen speziellen Brief an das Bundesamt für Gesundheit schreiben, in dem Sie die Situation des Patienten, die von Ihnen versuchte Therapie, die Ergebnisse und die Substanz, die Sie ihm geben wollen, erläutern.
Nachdem Sie die Genehmigung haben, müssen Sie eine Spezial-Apotheke beauftragen, und die Patientin muss die Kosten tragen. Die MDMA-Dosis für eine Sitzung kostet 200 bis 250 Franken. Für manche ist das eine Menge Geld. Ketamin ist billiger und ein Medikament. Ich bin wirklich begeistert von dieser Art der Therapie. Für viele Patient:innen, die leiden, sollten wir leichter die Möglichkeit haben, ihnen psychedelische Substanzen zu geben. Bei MDMA, Psilocybin und LSD ist das sehr eingeschränkt.
Gleichzeitig müssen wir die Ausbildung für Therapeut:innen ausbauen, die sich interessieren. Die Therapie kann auch für Therapeut:innen anstrengend sein: Was macht man, wenn ein Patient schreit, wütend wird, von schrecklichen Bildern erzählt? Man muss darauf vorbereitet sein und wissen, was ein Trauma ist.
Sie stehen recht positiv zu Ketamin. Aber es bleiben Risiken auf medizinischer Ebene, bei Ketamin etwa die Gefahr einer psychischen Abhängigkeit.
Ja, dieses Risiko ist nicht ausgeschlossen, und wir müssen den Patienten darüber aufklären, aber wir müssen auch erklären, dass die Sucht oft ein Verband ist, der ein Trauma verdeckt. Wenn man das Trauma heilt, kann man an der Sucht arbeiten. Bisher hatte ich noch keinen Patienten, der von dieser Substanz abhängig geworden ist, was bedeutet, dass das Risiko recht gering ist.
Das Wichtigste ist nicht die Substanz, sondern das Vertrauen in die Therapeutin, die Person, mit der man diese Art von Therapie durchführt. Wenn die therapeutische Allianz gut ist, können Sie Psilocybin, LSD oder Ketamin ausprobieren.
Editiert von Marc Leutenegger.
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