Nach 35 Betriebsjahren in bester Verfassung
Die erste Photovoltaik-Anlage Europas ging in den frühen 1980er-Jahren im Kanton Tessin ans Netz und überzeugt auch heute noch durch ihre erstaunlich hohe Energieeffizienz. swissinfo.ch im Gespräch mit Mauro Caccivio, Photovoltaikexperte der Fachhochschule Südschweiz.
Es war 1982, als eine Gruppe von Forschern beschloss, in Canobbio, wenige Kilometer von Lugano entfernt, eine experimentelle Photovoltaikanlage zu bauen. TISO, das Akronym von «Ticino Solare», hatte eine Leistung von 10 Kilowattstunden und bestand aus 288 Zellmodulen aus monokristallinem Silizium.
«Das war keine Weltneuheit, da es in den Vereinigten Staaten bereits mehrere PV-Projekte gab. Doch in Europa war es ein Novum“, erklärt Mauro CaccivioExterner Link, Leiter eines Teams, das sich an der Fachhochschule Südschweiz (SUPSExterner LinkI) mit der Qualität von PV-Systemen befasst.
2017 wurde die Anlage vom Dach der Aula Magna abgebaut und ins Forschungslabor gebracht, wo sie auf ihren ZustandExterner Link hin untersuchtExterner Link wurde.
«Das war ein bahnbrechendes Projekt, nicht nur im Energiebereich, sondern auch in wissenschaftlicher Hinsicht.»
swissinfo.ch: Gehen wir von den 1980er-Jahren aus. Was hielt man damals von Photovoltaik?
Mauro Caccivio: Sie wurde damals noch mit Berghütten in Verbindung gebracht, die mit kleinen Panels Licht erzeugten. In der damaligen Zeit sah man keinen Sinn darin, ein Solarpanel ans Stromnetz anzuschliessen: Die Kosten waren schlicht zu hoch. Ein Panel kostete ungefähr 21 Franken pro Watt, heute sind es noch 25 Rappen. Solarenergie war damals einfach nicht wettbewerbsfähig. Bei den wissenschaftlichen Communities stiess sie aber von Anfang an auf Interesse.
swissinfo.ch: Was ist das Besondere an der ersten Solaranlage, die in Europa ans Netz ging?
M.C.: Das war ein bahnbrechendes Projekt, nicht nur im Energiebereich, sondern auch in wissenschaftlicher Hinsicht. Interessant daran ist, dass die Projektträger die Idee hatten, die Modulleistung, mit anderen Worten die Wattleistung, jedes Jahr einer Prüfung zu unterziehen. Das haben sie denn auch getan, und zwar bei der Gemeinsamen Forschungsstelle der Europäischen Kommission,Externer Link dem Referenzinstitut für Photovoltaik in Europa.
Die Tatsache, dass das Monitoring und Tracing durch ein Referenzlabor durchgeführt wird, ist weltweit einzigartig. Das hat uns ermöglicht, das Verhalten der Panels über den ganzen Zeitraum hinweg eingehend zu erforschen.
swissinfo.ch: In welchem Zustand ist ein Solarpanel nach 35 Betriebsjahren?
M.C.: Fast drei Fünftel der 288 PV-Module haben einen Output von 80 und mehr Prozent ihrer Anfangsleistung. Rund dreissig von ihnen sind praktisch neuwertig mit einer Leistung von 93 Prozent.
swissinfo.ch: Überrascht Sie dieses Resultat?
M.C.: Ja, allerdings nur zum Teil. Die bei TISO eingesetzte Technologie und die Materialien waren ihrer Zeit weit voraus, da sie direkt von Weltraumanwendungen abgeleitet wurden. Denn im Weltraum, genauer gesagt bei den Satelliten, hat die Geschichte der Photovoltaik ihren Anfang genommen.
Zum Schutz der TISO-Zellen kamen drei verschiedene Typen des Verkapselungsmaterials PVB (Polyvinylbutyral) zum Einsatz: Zwei dieser PVB-Typen weisen mittlerweile eine mehr oder weniger starke Gelbfärbung auf, wodurch die Sonnenstrahlung abgeschirmt wird. Einer hat sich jedoch als äusserst langlebig erwiesen.
swissinfo.ch: Was ist der Hauptgrund für die Degradation eines Solarpanels?
M.C.: Das Eindringen von Feuchtigkeit. Bei den alten Modulen war der Abstand zwischen dem Panelrand und den Zellen ungenügend, ein Problem, das in der Folge gelöst wurde.
Natürlich braucht es eine regelmässige Wartung. Sehr wichtig ist das Reinigen der Panels, besonders wenn sie auf einem Flachdach mit geringer Neigung angebracht werden, wodurch die Selbstreinigung wegfällt.
swissinfo.ch: Die Vermutung liegt nahe, dass ein Hitzesommer wie dieser für die Gewinnung von Solarenergie optimal ist. Trifft das auch tatsächlich zu?
M.C.: Es ist nicht so, dass eine Solaranlage Höchstleistungen erbringt, nur weil es heiss ist. Im Gegenteil. Ideal sind tiefe Temperaturen mit viel Sonne, Bedingungen, wie man sie in den Bergen antrifft.
swissinfo.ch: In welche Richtung entwickeln sich die Solaranlagen?
M.C.: Im Allgemeinen setzt man auf eine Steigerung der Effizienz und der Leistungsdichte pro Flächeneinheit, damit auf ein und demselben Dach mehr Leistung installiert werden kann.
Gerade in den letzten zehn Jahren war die Entwicklung spektakulär: Die Leistung eines Standardpanels ist von etwas mehr als 200 Watt auf 300 Watt gestiegen. Und die Effizienz der Solarzellen von 14 auf beinah 20 Prozent.
Auf dem Markt wiederum lassen sich zwei Tendenzen beobachten. Einerseits die Entwicklung der integrierten Photovoltaik, bei der die Panels selbst zu Elementen der Dachfläche und der Gebäudefassaden werden. Und andererseits gibt es die grossen Anlagen für eine zentralisierte Stromerzeugung.
Mehr
Wenn Hausdächer Strom produzieren
swissinfo.ch: Wie steht es mit der Verbreitung der Solarenergie in der Schweiz und weltweit?
M.C.: Die Entwicklung ist unglaublich: Ende 2018 waren weltweit 500 Gigawatt Leistung installiert, 2009 waren es gerade mal 15.
In der Schweiz war der Zuwachs weniger aufsehenerregend, nicht zuletzt, weil unser Land dank Wasserkraft und Atomstrom energetisch weitgehend autonom ist. Im Rahmen der Energiewende wird man die erneuerbaren Energien aber stärker fördern müssen.
Laut Roger Nordmann, dem Präsidenten von Swissolar, könnte die in der Schweiz installierte PV-Leistung von aktuell 2 Gigawatt bis 2050 auf 50 Gigawatt ansteigen.
Wie realistisch das ist, weiss ich nicht. Vieles hängt davon ab, ob es gelingt, die Verwaltungs- und Installationskosten zu senken, die in Anbetracht der deutlich tieferen Materialpreise zum eigentlichen Flaschenhals geworden sind.
3,4% des Stroms aus Sonnenenergie
Die Solarstromproduktion in der Schweiz liegt pro Jahr bei 1945 Gigawattstunden (Stand Ende 2018). Das entspricht dem Jahresbedarf von rund 500’000 Haushalten. Laut dem
Bundesamt für Energie (BFE) beträgt das ausschöpfbare Solarstrompotenzial von Schweizer Gebäuden (Hausdächern und Fassaden) 67’000 GWh.
Der Anteil des Solarstroms am einheimischen Stromverbrauch ist von 1,9% (2015) auf 3,4% (2018) gestiegen. Das weltweite Mittel liegt bei 2,2%. Der schweizerische Fachverband für Sonnenenergie (Swissolar) geht davon aus, dass der jährliche Zubau von PV-Anlagen verfünffacht werden muss, wenn die Schweiz die Atomenergie ersetzen und die im Rahmen des Pariser Klimaabkommens eingegangenen Verpflichtungen erfüllen will.
Die durchschnittlichen Kosten für Solarstrom liegen in der Schweiz derzeit bei 12 Rappen pro kWh.
Quelle: Swissolar
swissinfo.ch: Wo liegen die Grenzen der Solarenergie?
M.C.: Wie der Wind ist auch die Sonne nicht vorhersehbar. Also braucht es mehr Planung und ein Stromnetz, mit dem Produktionstiefs aufgefangen werden können. Ideal wäre die Bildung von Energiegemeinschaften, in denen Überschüsse an die Nachbarn verkauft oder in Batterien und Elektroautos zwischengespeichert werden könnten.
swissinfo.ch: Welche Hilfen bietet der Staat bei der Installation von PV-Anlagen in der Schweiz?
M.C.: Es gibt eidgenössische und kantonale Fördermittel. Der Bund kommt für 30 Prozent des Schätzwertes einer Anlage auf. Die kantonalen Beiträge variieren je nach Kanton. Der Kanton Tessin zum Beispiel stellt weitere 10 Prozent bereit. Nicht vergessen werden sollte auch, dass die Kosten für den Bau einer Solaranlage von den Steuern abgezogen werden können.
Bei den aktuellen Marktpreisen ist eine PV-Anlage in etwa zehn Jahren amortisiert. Die Module können ausserdem vollständig rezykliert werden. Als vollkommen erneuerbare Energiequelle ist Solarenergie zweifellos die Energie der Zukunft.
(Übertragung aus dem Italienischen: Cornelia Schlegel)
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch