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Pollenallergie – wenn Technik Linderung verschafft

ein kleines Mädchen schnäuzt sich mitten auf einer Blumenwiese
Etwa 20% der Schweizer Bevölkerung, vor allem Jungen und Mädchen, reagieren allergisch auf Pollen. © Keystone / Gaetan Bally

Immer mehr Menschen auf der ganzen Welt leiden an Heuschnupfen. Neue Messgeräte, die in der Schweiz eingesetzt und getestet werden, ermöglichen eine bessere Vorhersage der Pollen in der Luft. Eine Innovation, von der nicht nur von Heuschnupfen Betroffene profitieren können.

Gerötete Augen, laufende Nase und Niesanfälle: Das sind die üblichen Symptome für die rund 1,7 Millionen Menschen in der Schweiz, die auf Baum- oder Gräserpollen allergisch reagieren. Das sind rund 20% der Bevölkerung – ein Anteil, der weltweit etwa gleich hoch ist.

Bernard Clot weiss, wie es ist, mit Heuschnupfen zu leben. Als Kind konnte er im Sommer nicht mit Freunden draussen spielen, weil er zu allergischen Asthmaanfällen neigte. «Es war eine schwierige Zeit», sagt der 60-Jährige. Die Allergie verschwand vor einigen Jahren dank einer Desensibilisierungstherapie, aber Pollen gehören weiterhin zu seinem Alltag.

Clot ist Biometeorologe beim Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie (Meteo Schweiz). Er untersucht den Einfluss von atmosphärischen Phänomenen und Lufteigenschaften wie der Pollenkonzentration auf Lebewesen.

Unter anderem aufgrund von Umweltverschmutzung und KlimawandelExterner Link reagieren immer mehr Menschen allergisch auf Pollen und andere mikroskopisch kleine Partikel biologischen Ursprungs in der Luft (Bioaerosole).

Das Problem ist nicht nur gesundheitlicher Natur: Allein in der Schweiz werden die direkten Kosten (Arztbesuche, Medikamente und Behandlungen) und die indirekten Kosten (Arbeitsausfälle und Produktivitätsverluste), die mit dieser Erkrankung verbunden sind, auf 1 bis 3,5 Milliarden Franken pro JahrExterner Link geschätzt. «Es ist daher wichtig, über aktuelle und zuverlässige Pollendaten zu verfügen», sagt Clot.

Wie misst man Pollen in der Luft?

Auf dem Dach der aerologischen Station in Payerne in der Westschweiz saugt ein Hightech-Gerät die Luft mit allen darin enthaltenen Partikeln an. Die Pollenkörner werden in die Messkammer geleitet, wo zwei ultraschnelle Kameras und Laser verschiedener Wellenlängen ihre Form und Grösse bestimmen.

ein Mann neben einem Pollenmessgerät
Bernard Clot von Meteo Schweiz neben dem Pollenmessgerät. Luigi Jorio / SWI swissinfo.ch

Die gesammelten Daten werden mittels künstlicher Intelligenz ausgewertet. Diese Algorithmen sind in der Lage, selektiv die allergensten Pollen zu erkennen, beispielsweise Gräser- und Ambrosia-Pollen.

Die Informationen über die Pollenkonzentration in der Luft können die kurz- und mittelfristigen Prognosen verbessern, was Millionen von Allergiker:innen in der Schweiz und in Europa zugutekommt. Die Forschung und die Medizin ihrerseits können die retrospektiven Daten nutzen, um die Wirksamkeit von Behandlungen zu bewerten.

Meteo Schweiz koordiniert das europäische EUMETNET-Projekt AutopollenExterner Link, das die Pollenüberwachung auf dem Kontinent automatisieren und standardisieren soll. «Pollen machen nicht an den Grenzen halt», so Clot.

Erkennung von Pollen in 5000 Meter Höhe

Auf dem Dach befindet sich auch ein neues Instrument, das von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) in Zusammenarbeit mit technologischen Forschungsinstituten in Griechenland entwickelt wurde. Es zeigt, was in der Höhe passiert.

Der Prototyp, der derzeit in Payerne getestet wird, sendet einen Laserimpuls nach oben und kann das Vorhandensein und die Konzentration von biologischen und anderen Partikeln bis zu einer Höhe von 5000 Metern bestimmen.

Im Mai und Juni zeigte er etwa, dass die Schweizer Luft mit Rauchpartikeln von Bränden in Nordamerika belastet war. Weltweit sind nur vier solcher Instrumente in Betrieb, und dasjenige in der Schweiz ist nach Angaben der EPFL das Fortschrittlichste, was die Kapazität betrifft.

Mit dieser Technologie wird es möglich sein, die Ausbreitung von Pollen über grosse Entfernungen zu untersuchen. Sie wird es auch ermöglichen, den Einfluss verschiedener Partikel in der Luft, darunter auch Bakterien, auf die menschliche Gesundheit und das Klima zu untersuchen, sagt Athanasions Nenes, Direktor des Labors für atmosphärische Prozesse und ihre Auswirkungen LAPI an der EPFL.

Die Auswirkungen dieser Partikel auf die Gesundheit werden «völlig unterschätzt», betont er – und es sei daher von entscheidender Bedeutung, besser zu verstehen, was über unseren Köpfen geschehe.

Die Revolution der automatischen Pollenmessung

Das Schweizer Pollenmesssystem ist vollautomatisch und liefert Informationen in Echtzeit.

Das ist eine grosse Revolution im Vergleich zur manuellen Messung, die bis vor einigen Jahren weltweit üblich war und in vielen Ländern auch heute noch angewendet wird, sagt Bernard Clot.

In diesem Fall werden die Pollenkörner auf einem Kunststoffstreifen abgelegt, der an einer Metallscheibe befestigt ist, bevor sie unter einem Mikroskop analysiert werden. Die Daten sind erst nach sieben bis neun Tagen verfügbar.

Japan, wo die Pollenallergie als nationaler NotstandExterner Link gilt, war das fortschrittlichste Land in Bezug auf die Automatisierung der Messungen, sagt Clot. Im Gegensatz zum Schweizer Netzwerk werden jedoch nur zwei Arten von Pollen erfasst, nämlich die der japanischen Zeder und der Zypresse, die für die meisten Allergien in der japanischen Bevölkerung verantwortlich sind.

Es gibt aber auch Menschen, die auf Gräser oder Ambrosia allergisch reagieren, so dass sich die in der Schweiz verwendeten Instrumente auch für Japan als nützlich erweisen könnten, sagt Yoshie Nakamura, Sprecherin des nationalen japanischen Wetterdienstes, gegenüber SWI swissinfo.ch.

Ein Netzwerk, das sieben Pollenarten erkennt

Die Schweiz ist das erste Land der Welt, das über ein nationales Netz zur automatischen Messung der verschiedenen Pollenarten verfügt. Es ist seit Anfang dieses Jahres in Betrieb und umfasst 15 Messstationen in den wichtigsten klimatischen und vegetativen Zonen des Landes.

Die Werte von sieben Pollenarten (Hasel, Erle, Birke, Esche, Buche, Eiche und Gras) werden auf der Website von Meteo SchweizExterner Link veröffentlicht und stündlich aktualisiert. Allergiker:innen können sich auf dem Pollenradar Externer Linkauch über die zu erwartende Entwicklung bis zum nächsten Tag informieren, ähnlich wie beim Wetter.

Laut Clot dient das System auch dazu, andere allergene Partikel wie Pilzsporen zu identifizieren. «Das Ziel ist es, die Vorhersage zu verbessern, damit Allergiker:innen besser leben können», sagt er. In Zukunft wolle man das Spektrum der erkannten Partikel erweitern und auch Schadstoffe, Mikroplastik und solche einbeziehen, die bei Kulturpflanzen Krankheiten verursachen können.

Mehr Menschen mit Allergien aufgrund von Umweltverschmutzung und Klima

Bis 2050 wird nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation die Hälfte der Weltbevölkerung an einer allergischen Erkrankung leiden. Die Ursache für diesen Anstieg ist eine Kombination aus Umwelt- und Lebensstilfaktoren. So verringert beispielsweise die zunehmende Hygiene unsere Widerstandsfähigkeit gegenüber äusseren Einflüssen.

Mehrere Studien, darunter eine in Basel durchgeführteExterner Link, weisen insbesondere auf eine Zunahme der von Bäumen produzierten Pollen hin. In Europa haben sich die Wälder seit den 1990er-Jahren ausgedehnt, was die Entwicklung der Pollen jedoch nur teilweise erklärt, so Bernard Clot.

Steigende Temperaturen und mehr CO2 in der Atmosphäre veranlassen die Pflanzen, mehr Pollen zu produzieren. Dauer und Intensität der Pollensaison haben bei mehreren allergenen Pflanzenarten zugenommen, stellte Marloes Eeftens, Forscherin am Schweizerischen Tropen- und Public Health-Institut, in einer 2021 veröffentlichten StudieExterner Link fest. «Personen mit Allergien leiden länger und ihre Reaktionen auf diese höheren Konzentrationen sind intensiver», sagt sie.

Auch die Umweltverschmutzung hat einen Einfluss: «Ein Baum, der inmitten von Smog wächst, produziert Pollen, die mehr allergene Proteine und Reizstoffe enthalten», so Clot.

Hinzu kommt, dass einige Schadstoffe die Schleimhäute der Atemwege schädigen und unsere Abwehrbarrieren verringern. Die Allergene dringen leichter in den Körper ein und lösen stärkere allergische Reaktionen aus.

Karte von Europa mit der Entwicklung des prozentualen Anteils der Bevölkerung, der allergisch auf die Ambrosia reagiert
Entwicklung des prozentualen Anteils der Menschen mit Ambrosia-Allergie in einem Szenario mit moderaten Treibhausgasemissionen. University of East Anglia

Echtzeitdaten, um den Pollen zu entkommen

Personalisierte Therapien wie eine medikamentöse Behandlung oder eine Desensibilisierung – wie sie Clot absolvierte – können wirksam sein. Der erste Schritt besteht jedoch darin, den Kontakt mit allergieauslösenden Stoffen zu vermeiden, und in dieser Hinsicht können sich die in Payerne verwendeten und getesteten Geräte als äusserst nützlich erweisen.

Die Echtzeitdaten helfen Allergiker:innen im täglichen Leben: Sie können ihre Aktivitäten und Medikamente entsprechend den Pollenflugvorhersagen planen und sich beispielsweise für Sport in geschlossenen Räumen entscheiden, anstatt draussen zu joggen. Oder sie ziehen einen Ausflug ins Flachland einer Wanderung in den Bergen vor oder umgekehrt.

Eine konkrete Auswirkung, die Clot ermutigt, seine Arbeit fortzusetzen. Anlässlich eines öffentlichen Informationstages zum Pollenmessnetz, der kürzlich in Bern stattfand, kamen zahlreiche Allergiebetroffene an den Stand von Meteo Schweiz, um sich bei ihm und seinem Team für die geleistete Arbeit zu bedanken. «Das ist die grösste Genugtuung», sagt er.

Editiert von Sabrina Weiss, Übertragung aus dem Französischen: Giannis Mavris

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