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Schafft die Schweiz die Energiewende im Verkehr?

Elektrotankstelle
Am 26. Juni 2020 wurde die erste Schnelllade-Station für Elektrofahrzeuge auf einem Nationalstrassen-Rastplatz eröffnet. Keystone

Die Messlatte liegt hoch: Bis 2050 soll die Schweiz klimaneutral sein. Besonders gefordert ist der Verkehr. Ist das Ziel zu erreichen? Schweizer Forscher halten es für möglich – unter gewissen Voraussetzungen.

Eine klimaneutrale Schweiz bis 2050, das hat die Schweizer Landesregierung vor einem Jahr versprochen. «Netto Null»Externer Link, heisst die Lösung für das ambitionierte Ziel. Unter dem Strich soll die Schweiz in 30 Jahren keine Treibhausgas-Emissionen mehr ausstossen.

Allein der Strassenverkehr ist für rund einen Drittel der CO2-Emissionen in der Schweiz verantwortlich. Diese haben in den letzten Jahren zwar ein wenig abgenommen. Doch schon 2019 verzeichnete das Bundesamt für EnergieExterner Link (BFE) wieder eine leichte Zunahme.

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Wie also soll das Ziel der Klimaneutralität in der Schweiz erreicht werden? Der Bundesrat sei überzeugt, dass «die CO2-Emissionen in den Bereichen Verkehr, Gebäude und Industrie mit heute bekannten Technologien und dem Einsatz erneuerbarer Energien bis 2050 um bis zu 95 Prozent gesenkt werden» können», sagte kürzlich Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga.

Aber wie? Bisher bekannt ist die Roadmap Elektromobilität 2022Externer Link. Mit ihr verfolgt die Schweiz das Ziel, den Anteil so genannter «Steckerfahrzeuge» – das sind reine Elektro- und Plugin-Hybrid-Fahrzeuge – bei den Neuzulassungen von Personenwagen bis 2022 auf 15 Prozent zu erhöhen. Auch das ist eine Absichtserklärung, aber noch längst keine Lösung.

Elektroflotte wächst rasant

Die Hoffnung ruht auf der Forschung. Am weitesten fortgeschritten ist dort inzwischen die Entwicklung von batteriebetriebenen Autos. Diese sind heute marktreif: Zwischen 2017 und 2019 hat sich die Anzahl der reinen Elektrofahrzeuge auf Schweizer Strassen von 14’500 auf 28’700 fast verdoppeltExterner Link.

Die Nachfrage nach Elektroflitzern sei gegenwärtig so gross, «dass Fahrzeuge bestellt, aber nicht in der geforderten Menge geliefert werden können», sagt Daniel Buchs. Er ist Geschäftsführer des Elektromobilclubs der SchweizExterner Link (ECS), welcher der Elektromobilität in der Schweiz zum Durchbruch verhelfen will. Man sei in der Schweiz aber noch «weit weg von dem, was im übrigen Europa passiert».

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Die Anzahl der Elektrofahrzeuge, die auf unseren Strassen im Einsatz sind, liegt in absoluten Zahlen immer noch bei unter einem Prozent. Buchs, dessen Verband bei der Roadmap aktiv mitwirkt, sieht die Schweiz entsprechend noch «weit davon entfernt, das Ziel der Roadmap 2022 zu erreichen». Beim ECS habe man oft das Gefühl, dass die Roadmap für verschiedene beteiligte Firmen «einfach eine reine Marketingstrategie» sei.

Damit es rascher vorwärtsgehen könnte, müssten in der Schweiz die gesetzlichen Hürden beseitigt werden, ist Buchs überzeugt. Ein Problem sieht er auch darin, dass die Förderung der Elektromobilität föderalistisch organisiert ist. So sei etwa der Unterstützungsbeitrag von Kanton zu Kanton unterschiedlich, teils mit massiven Unterschieden. «Gleiches gilt auch für die Berechnung der Fahrzeugsteuer von E-Autos.»

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Was meint die Forschung?

Etwas zuversichtlicher gibt sich Christian Bach, Laborleiter der Gruppe Antriebskonzepte an der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa). Er geht davon aus, dass Netto Null beim Verkehr bis 2050 erreichbar ist. Dazu brauche es aber enorme Anstrengungen.

Bach ist sich sicher: «Die Energie der Zukunft ist erneuerbare elektrische Energie. Davon hat es eigentlich genug.» Eine der Fragen, die sich der Forschung gegenwärtig stellen, sei: «Wie kann erneuerbare elektrische Energie für die Mobilität eingesetzt werden, ohne dass fossile Kraftwerke länger am Netz bleiben?» Wenn viele elektrisch fahren würden, «muss die Infrastruktur so gestaltet sein, dass sie mit Peaks zugange kommt.»

Solche Spitzen entstehen, weil erneuerbare Energien wie Sonnen- und Windenergie oft nicht dann anfallen, wenn sie gebraucht werden. «Deshalb muss man elektrische Energie auch zwischenspeichern und umwandeln können, auch um sie transportieren zu können», sagt Bach.

Für ihn ist aber klar: «Elektromobilität alleine reicht nicht.» Aber es sei sicher richtig, jetzt einen Nagel einzuschlagen, damit die Elektromobilität endlich mal aus ihrer Nische herauskomme.

… bereits 1902 die Firma Tribelhorn die ersten Elektroautos und -LKW in der Schweiz produzierte?

1912 weltweit 20 Hersteller fast 34’000 Elektromobile produzierten?

1985 in der Schweiz die erste Tour de Sol mit Elektrofahrzeugen durchgeführt wurde?

2012 der Spanier Rafael de Mestre als erster die Welt in einem Elektroauto umrundete?

(Quelle: Elektromobilclub der Schweiz)

Konstantinos Boulouchos ist Leiter des Kompetenzzentrums für nachhaltige Verkehrsforschung SCCER Mobility. Er sagt: «Ob das Ziel des Bundesrats erreichbar ist, hängt davon ab, ob wir sehr schnell die richtige Strategie haben. Die hat die Politik bis jetzt nicht.» Immerhin sei der Verkehrssektor der schwierigste Energiesektor von allen.

Vor allem der Langstreckenverkehr – Schwerverkehr, Schifffahrt und Luftfahrt – sei in der Vergangenheit zu wenig beachtet worden. «Die Dekarbonisierung des Langstreckenverkehrs wird aber nicht elektrisch mit Batterien machbar sein, sondern muss über erneuerbare Treibstoffe gehen. Deren Herstellung wird noch grössere Elektrizitätsmengen voraussetzen, welche mehrheitlich im Ausland erzeugt werden.»

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Problem auf breiterer Front anpacken

Für die Forschung muss also gar nicht unbedingt alles Elektro sein. Auch die Denkfabrik Avenir Suisse plädiert für eine Offenheit gegenüber sämtlichen Technologien. «Nachhaltige Mobilität hängt weniger von der Antriebstechnologie ab als von der ursprünglichen Energiequelle», schreibt sie in einer aktuellen StudieExterner Link. Klar: Mobilität mit Strom aus fossilen Quellen hilft nicht gegen den Klimawandel. Nötig ist saubere Energie am Anfang der Verwertungskette.

Derzeit wird darüber diskutiert, ob auch zur Herstellung von Wasserstoff und synthetischen Treibstoffen erneuerbare Elektrizität benutzt werden soll. Der Vorteil dieser Kraftstoffe: Sie lassen sich beispielsweise zu Zeiten des Stromüberschusses von Solarenergie produzieren und beliebig lang einlagern. Allerdings sind diese gegenwärtig noch deutlich teurer als herkömmliche Treibstoffe.

Illustration über die Umweltbelastung von verschiedenen Autos
5232 – Das Magazin des Paul Scherrer Instituts

Elektroauto mit Nase im Wind

Laut Untersuchungen des Paul Scherrer InstitutsExterner Link bleibt aber das Elektromobil – auch mit Herstellungskosten und Batterie eingerechnet – das umweltfreundlichste Auto. Die mit synthetischem Erdgas betriebenen Fahrzeuge dürften 2040 die Brennstoffzelle in Sachen Umweltbelastung unterboten haben, schätzen die Forschenden.

Bleibt noch die Frage der grauen Energie der Batterien. 2017 kam eine Studie aus Schweden zum Schluss, die Ökobilanz von Elektrofahrzeugen sei schlecht, weil die Produktion der Batterien ein hohen CO2-Ausstoss verursache. Die Studie wurde unterdessen aktualisiert und zeigt, dass die Produktion der Lithiumionen-Batterien in den letzten Jahren umweltfreundlicher wurde. Entscheidend für die Ökobilanz sei auch hier der Strommix, heisst es.

Aber ganz ohne Umweltbelastung kommt auch der sauberste Elektroflitzer noch nicht auf die Strasse: Laut dem PSI-Bericht ist Kobalt, das für die Kathode der Lithiumionen-Batterie nötig ist, «nicht nur toxisch, es ist auch selten und teuer und wird vor allem im Kongo unter sozial und ökologisch fragwürdigen Bedingungen abgebaut».

An einer Verbesserung der Ökobilanz von Batterien forscht am PSI die Chemikerin Sigita Trabesinger. «Das Ziel ist, den Anteil von Nickel zu erhöhen und den von Kobalt so weit wie möglich zu senken», wird sie im Magazin des Paul Scherrer Instituts zitiert. Ein höherer Nickel-Anteil hätte zudem noch einen weiteren, gewichtigen Vorteil: Die Reichweite des Elektroautos könnte so weiter gesteigert werden.

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Gastgeber/Gastgeberin Christian Raaflaub

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