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Wie nachhaltige Treibstoffe aus dünner Luft die Energiekrise lösen könnten

Solar-Mini-Raffinerie auf einem Dach
Seit zwei Jahren betreiben Forschende der ETH Zürich eine Mini-Solarraffinerie-Demonstrationsanlage auf einem Dach der Hochschule im Zentrum der Stadt. ETH / Alessandro Della Bella

Es klingt wie Science-Fiction: Eine Raffinerie, die Treibstoff aus Sonnenlicht und Luft herstellt? Schweizer Forschende behaupten, genau das getan und eine potenziell skalierbare Methode zur Herstellung nachhaltiger Kraftstoffe entwickelt zu haben. Ein Schweizer Spinoff arbeitet daran, die Technologie zu kommerzialisieren.

James Bond hätte seine wahre Freude daran. Die weisse Installation auf einem Dach im Zentrum von Zürich sieht aus wie eine Satellitenschüssel aus einem seiner Spionagefilme, wie sie aus ihrem Gehäuse herausragt und in den Himmel zeigt.

Aber sie verfolgt keine verschlüsselten Botschaften. Das einzigartige Gerät – eine Mini-Solarraffinerie – wurde von Forschenden der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich gebaut. Sie wollen damit zeigen, dass es möglich ist, kohlenstoffneutrale Brennstoffe einzig aus Sonnenlicht und Luft herzustellen.

Nach einer zweijährigen Machbarkeitsstudie haben die Forschenden nach eigenen Angaben mit ihrer Demonstrationsanlage den «stabilen und zuverlässigen» Betrieb ihres Verfahrens zur Herstellung von Solarkraftstoff bestätigen können. Die Ergebnisse wurden kürzlich in der Zeitschrift Nature veröffentlichtExterner Link.

«Es war eine erstaunliche Odyssee mit Erfolgen und Misserfolgen», sagt Aldo Steinfeld, ETH-Professor und Leiter des Teams, gegenüber SWI swissinfo.ch. Über 20 Doktorarbeiten haben zu dem zehnjährigen Projekt beigetragen.

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Deren Ergebnisse könnten den Weg für die industrielle Produktion von «Drop-in-Kraftstoffen» ebnen – synthetische Alternativen zu herkömmlichen fossilen Kraftstoffen wie Kerosin, Benzin oder Diesel.

Diese haben einen grossen Einfluss auf den ökologischen Wandel und können dazu beitragen, den Langstrecken-Flugverkehr und die Schifffahrt nachhaltiger zu gestalten. Die beiden Verkehrssektoren sind zusammen für 8% der weltweiten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Es ist jedoch noch viel Arbeit nötig, um das Verfahren zu optimieren und auf den Markt zu bringen.

Mehrstufiges thermochemisches Verfahren

Die Mini-Raffinerie produziert flüssige Kraftstoffe wie Kerosin oder Methanol aus Sonnenlicht und Luft in einem mehrstufigen thermochemischen Prozess (siehe Animation).

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Zunächst werden in einer so genannten «Direct Air Capture Unit» Kohlendioxid und Wasser aus der Umgebungsluft extrahiert. Die Parabolschüssel und der Reflektor konzentrieren dann das Sonnenlicht um den Faktor 3000. Dadurch entsteht in einem kleinen Solarreaktor eine Temperatur von 1500 Grad Celsius. Im Inneren wird Ceroxid reduziert und Sauerstoff freigesetzt.

In einem zweiten Schritt wird unter Zugabe von CO2 und Wasser das so genannte Syngas (Kohlenmonoxid und Wasserstoff) erzeugt. In der dritten und letzten Stufe wandelt eine Gas-to-Liquid-Einheit das Synthesegas in flüssige Kohlenwasserstoffe oder Methanol um.

Die Solarraffinerie liefert derzeit in einem typischen siebenstündigen Betrieb aus 100 Litern Synthesegas etwa einen halben Deziliter reines Methanol. Diese Menge ist zu gering, um ein Fahrzeug anzutreiben. Aber sie sei ist ein klarer Beweis für die Machbarkeit des Prozesses und ein «wichtiger Meilenstein», sagen die Forschenden.

Die Grundlagenforschung und Entwicklung wird an der ETH Zürich und in einem Solarturm in der Nähe von Madrid fortgesetzt. Parallel dazu arbeiten zwei Schweizer Spinoffs, Climeworks und Synhelion – gegründet von Steinfelds ehemaligen Doktorierenden – daran, die Technologien auf den Markt zu bringen.

Während Climeworks die Technologie zur Abscheidung von CO2 aus der Luft vermarktet, bringt Synhelion die Technologie zur Herstellung von Solartreibstoffen aus CO2 auf den Markt. «Eine perfekte Kombination, Swiss Made», sagt Steinfeld.

Skalierung der Produktion

Das in Zürich ansässige Unternehmen Synhelion, das derzeit 20 Mitarbeitende beschäftigt, gab letzten Monat bekanntExterner Link, dass es 16 Millionen Franken von Investorinnen und Investoren erhalten habe, um die Kommerzialisierung der Solartreibstoff-Technologie zu beschleunigen.

Das Geld soll unter anderem für den Bau und den Betrieb der weltweit ersten industriellen Anlage zur Herstellung von Solarkraftstoffen verwendet werden. Diese entsteht im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Jülich im Westen Deutschlands.

Solar-Testanlage
Die Solar-Testanlage des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Jülich, Deutschland. DLR

Das Zentrum bietet dem Schweizer ETH-Spinoff eine umfangreiche Infrastruktur. Synhelion wird auch vom deutschen Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) finanziell unterstützt. Dieses hat kürzlich 3,92 Millionen Euro für das Projekt bereitgestellt.

«Wir sind daran, die letzten Installationsarbeiten abzuschliessen und werden Anfang 2022 mit den Tests des Systems beginnen. Dann werden wir unsere erste Anlage im industriellen Massstab bauen», sagt Philipp Furler, Geschäftsführer und Mitbegründer von Synhelion.

«Diese umfasst ein eigenes Spiegelfeld, einen Turm, einen Receiver, einen Reaktor und ein thermisches Energiespeicherungs-System. Neben dem Turm wird ein Fischer-Tropsch-Kraftstoff-Synthesesystem installiert, um das Synthesegas in flüssige Kraftstoffe umzuwandeln.»

Deutschland und die Schweiz seien wegen des Mangels an verlässlicher Sonnenstrahlung keine idealen Standorte für die Produktion von Solarkraftstoffen, räumt Furler ein. Aber Jülich sei ein perfekter Standort für Forschung und Entwicklung: «Es ist der schnellste und einfachste Weg, die Technologie von A bis Z im industriellen Massstab zu demonstrieren», sagt er.

80 000 m2 grosse Solaranlage
Die 80’000 m2 grosse Solaranlage in Jülich, Deutschland, verfügt über mehr als 2000 Spiegel, die das Sonnenlicht auf zwei Solartürme konzentrieren. Synhelion

Der nächste Schritt wird der Bau einer etwas grösseren kommerziellen Anlage im sonnigen Spanien sein. Diese kann kontinuierlich betrieben werden, um grössere Mengen an Treibstoff herzustellen und die Produktionskosten zu senken.

Synhelion hat ehrgeizige Pläne. Ab 2023 sollen in der Jülicher Anlage 10’000 Liter Solarkraftstoff pro Jahr produziert werden. Wenn die spanische Anlage ab 2025 in Betrieb ist, sollen es sogar 1,6 Millionen Liter pro Jahr sein. Für 2030 sieht Furlers Unternehmen bereits ein Produktionsziel von 875 Millionen Litern pro Jahr vor.

Quoten für Solarkraftstoffe

Synhelion und Climeworks stossen auf grosses Interesse. Letzten Monat besuchte die Schweizer Umweltministerin Simonetta Sommaruga beide FirmenExterner Link in Zürich, um mehr über deren Arbeit zu erfahren. Die Gespräche drehten sich auch um die nächsten Produktionsschritte und die staatliche Unterstützung.

Obwohl die Technologie weit fortgeschritten ist, sind noch verschiedene Änderungen erforderlich, um die Effizienz zu verbessern. Die grösste Herausforderung, so Furler, sei die Integration der Schlüsselkomponenten in ein Gesamtsystem.

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Nach Ansicht von Fachleuten wird es in der nächsten Phase der Markteinführung am schwierigsten sein, die anfänglich hohe Preisschwelle zu überwinden. Der Solartreibstoff von Synhelion wird zu Beginn teurer sein als für fossile Brennstoffe und Kerosin bezahlt wird.

Synhelion schätzt, dass die Produktion von 700’000 Tonnen Solartreibstoff pro Jahr bis 2030 – die etwa die Hälfte des schweizerischen Kerosinverbrauchs abdecken könnten – mehrere hundert Millionen Schweizer Franken kosten wird. Kohlenstoff-Steuern werden die Kosten wahrscheinlich nicht senken können.

Umweltministerin Sommaruga sagte, die Politik müsse dazu beitragen, klare Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Unternehmen vorausplanen könnten. «Wir können zum Beispiel eine Beimischungsquote für synthetische Kraftstoffe in der Luftfahrt einführen, um einen neuen Markt zu schaffen», sagte sie.

Steinfeld ist auch der Meinung, dass Quoten dazu beitragen können, die Technologie und künftige Entwicklung von so genannten «Drop-in-Kraftstoffen» zu begleiten. «Fluggesellschaften und Flughäfen müssten einen Mindestanteil von Solarkerosin an der Gesamtmenge des Treibstoffs vorschreiben, mit dem sie die Flugzeuge betanken», sagt er.

Wenn man klein anfange – nur 1% des Treibstoffs eines Flugzeugs als solares Kerosin –, um die Gesamt-Treibstoffkosten niedrig zu halten, würde eine Quote zu Investitionen in solare Treibstoffanlagen führen. Und damit zu ähnlich sinkenden Kosten wie bei Wind- und Solarstrom.

«Wenn die Quote 10-15% erreicht, dürften sich die Kosten für solares Kerosin denjenigen für fossiles Kerosin annähern. Das ist eine Strategie, die einfach umzusetzen ist», sagt der ETH-Professor.

Derzeit sind nachhaltige Luftfahrt-Treibstoffe (SAF) teuer und werden von einigen Fluggesellschaften nur in begrenzten Mengen als Beimischung zu normalem Treibstoff verwendet.

Doch die International Air Transport Association (IATA), der Dachverband der Branche, will deren Verwendung massiv steigern. Sie führte eine unverbindliche Netto-Null-Zusage zur Senkung der CO2-Emissionen bis 2050 ein. Demnach soll der Anteil der von der Branche verwendeten SAF von 2% im Jahr 2025 auf 65% im Jahr 2050 erhöht werden.

(Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub)

(Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub)

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