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«Wissenschafts-Diplomatie ist keine Mode, sondern eine Notwendigkeit»

Corallo bianco
Die Korallenbleiche ist eine der sichtbarsten Auswirkungen des Klimawandels. Keystone / Mark Eakin

Ein Projekt der Schweizer Wissenschaftsdiplomatie zum Schutz und zur Erforschung der Korallen im Roten Meer, die besonders widerstandsfähig gegen den Klimawandel sind, wurde nach einer kurzen Unterbrechung im Sudan wieder aufgenommen. SWI swissinfo.ch traf sich mit dem Projektleiter, Anders Meibom, Professor an der ETH Lausanne.

Die Ozeane liefern die Hälfte des Sauerstoffs, den wir atmen, und sind die Heimat von 80% des Lebens auf unserem Planeten. Sie absorbieren CO2 aus der Atmosphäre und wirken wie eine globale Klimaanlage.

Doch auch die Meere leiden und verändern sich durch die Aktivitäten des Menschen. Das bedroht das Gleichgewicht, von dem unsere Existenz abhängt.

Die globale Erwärmung, die Verschmutzung und die intensive Fischerei bedrohen die Ozeane. Obwohl sie 70% der Erdoberfläche ausmachen, sind derzeit nur zwei Prozent der Gewässer vor den zerstörerischsten menschlichen Aktivitäten geschützt. Das Ziel der UnescoExterner Link, diesen Anteil bis 2030 auf 30 % zu erhöhen, liegt noch in weiter Ferne.

Es gibt jedoch regionale Bemühungen zum Schutz der wertvollsten Meeresökosysteme. Eine dieser Initiativen wird vom Transnational Red Sea Center (TRSC) geleitet, das von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL) gegründet wurde, um die Geheimnisse der Korallenriffe des Roten Meeres zu bewahren und zu entschlüsseln.

Insbesondere im Fokus sind die Riffe im Golf von Akaba, deren Korallen sich als besonders widerstandsfähig gegenüber dem Klimawandel erwiesen haben. Dieses Projekt erfordert erhebliche diplomatische Anstrengungen, da die Anrainerstaaten des Roten Meeres, deren Beziehungen oft alles andere als freundschaflich sind, zusammenarbeiten müssen.

Am Rande des GESDA-Gipfels für Wissenschaft und Diplomatie traf SWI swissinfo.ch den TRSC-Direktor, EPFL-Professor für biologische Geochemie Anders Meibom, der soeben aus dem Sudan zurückgekehrt ist. Dort führte er in Zusammenarbeit mit Forschenden der Universität des Roten Meeres in Port Sudan Untersuchungen zur Vorbereitung der Wiederaufnahme der eigentlichen wissenschaftlichen Expedition im nächsten Jahr durch.

SWI swissinfo.ch: Die Region des Roten Meeres ist komplex und geopolitisch sensibel. Was motiviert die Länder, bei diesem Projekt zusammenzuarbeiten?

Anders Meibom: Ich denke, dass es in der Region ein klares Bewusstsein dafür gibt, dass Korallenriffe und die Ökosysteme, die sie darstellen, für die einzelnen Länder von grossem Interesse sind. Wir müssen bedenken, dass es hier nicht nur um die biologische Vielfalt geht – die natürlich sehr wichtig ist –, sondern auch um die Leistungen, die dieses Ökosystem für die Menschen am Roten Meer erbringt, was die Fischerei und die Gewinne aus dem Tourismus betrifft. Der Meerestourismus ist eine wichtige Einkommensquelle, und es ist klar, dass das Absterben der Korallenriffe und der Zusammenbruch des Ökosystems enorme wirtschaftliche Auswirkungen für jedes einzelne Land in der Region hätte.

Was geschieht mit den von Ihnen gesammelten Daten?

Die wissenschaftliche Arbeit, die wir vorhaben – und ich möchte betonen, dass sie in direkter Zusammenarbeit mit Wissenschaftler:innen in der Region durchgeführt wird, schliesslich ist es ihr Riff, und sie kennen es bereits sehr gut –, wird in vollem Umfang nach den Grundsätzen der offenen Wissenschaft weitergegeben.

Das ist notwendig: Wenn wir eine Diskussion darüber führen wollen, wie wir das Riff am besten schützen können, müssen alle Zugang zu denselben Daten haben und denselben Informationsstand erreichen. Die Arbeit wäre sinnlos, wenn wir sie nicht effizient teilen würden.

Neben der offenen, transparenten Wissenschaft ist auch die Ausbildung der nächsten Generation von Wissenschaftler:innen ein sehr wichtiger Bestandteil.

Glauben Sie nicht, dass einige Länder nur ungern Daten mit Staaten austauschen, zu denen sie keine freundschaftlichen Beziehungen unterhalten?

Das kann sein. Aber es geht vor allem darum, Vertrauen aufzubauen. Die Schweiz und die TRSC organisieren die wissenschaftlichen Arbeiten und erstellen eine zentrale Datenbank für die Verbreitung der Informationen. Es ist klar, dass das Projekt im Interesse aller liegt und von einem Land wie der Schweiz durchgeführt wird, das keine besonderen strategischen Interessen in der Region hat, sondern einfach nur helfen will: der Region und der gesamten Menschheit helfen, eines der einzigartigsten Riffsysteme zu retten, das es gibt und das wahrscheinlich das letzte sein wird, das vor Ende des Jahrhunderts übrig bleibt.

Wir hoffen, ja erwarten, dass die Anwesenheit dieser neutralen Partnerin die Länder dazu bringen wird, den Datenaustausch zu akzeptieren.

Was sind aus Ihrer Sicht derzeit die grössten Risikofaktoren für die Ozeane?

Ein grosser Faktor ist natürlich die globale Erwärmung und die Versauerung der Ozeane, die hauptsächlich durch CO2 verursacht wird. Wir müssen bedenken, dass sich die Erde selbst dann noch lange erwärmen würde, wenn die menschlichen Kohlendioxidemissionen heute eingestellt würden, da das System eine grosse Trägheit aufweist.

Aber es gibt auch die lokalen Faktoren, die Quellen der Verschmutzung, auf die jedes Land, das für sein Territorium verantwortlich ist, einen sehr direkten Einfluss hat. Und hier haben wir noch viel Raum für Verbesserungen.

Was kann man tun?

Auf lokaler Ebene kann schnell gehandelt werden, und die Staaten können etwas tun. Am Beispiel der Korallenriffe geht es darum, deren Missbrauch, Missmanagement, Überfischung und oft zerstörerische Fangtechniken zu kontrollieren. Es geht auch um bessere Formen des Tourismus, die die Umwelt besser schützen.

All dies erfordert Wissen, Überwachung und Umsetzung. Natürlich ist es schwierig, aber es liegt in unserer Reichweite.

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