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So kämpfte die UNO seit 9/11 gegen den Terrorismus

New York Sept 11 2001
Das UN-Gebäude in New York (rechts) befand sich fast in Sichtweite der Zwillingstürme. Keystone / Ron Frehm

Die Vereinten Nationen haben in den letzten 20 Jahren einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung des Terrorismus geleistet. Doch die zahlreichen Initiativen führten auch zu Spannungen zwischen den UN-Institutionen in New York und Genf, insbesondere in Bezug auf die Wahrung der Menschenrechte.

Kurz nach den Anschlägen vom 11. September 2001 verabschiedete der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eine Resolution, in welcher der Terrorismus zu einer Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erklärt wurde. Zudem erliess der Sicherheitsrat verbindliche Verpflichtungen für die Staaten.

In der am 28. September 2001 verabschiedeten Resolution 1373Externer Link des Sicherheitsrats werden die Mitgliedsstaaten aufgefordert, eine Vielzahl von Massnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus zu ergreifen,  darunter die Strafverfolgung von Terroristen, die Sicherung der Grenzen, die Unterbindung der Finanzierung terroristischer Aktivitäten,  die Zusammenarbeit bei der grenzüberschreitenden Strafverfolgung, die Bekämpfung des Missbrauchs des Internets und die Verhinderung von Radikalisierung in Gefängnissen.

Die UN setzte unter dem Namen «Counter-Terrorism Executive Directorate» (CTEDExterner Link) eine Gruppe von rund 50 Expert:innen ein, die dem UN-Ausschuss für TerrorismusbekämpfungExterner Link Bericht erstatten sollte zur Umsetzung der Massnahmen. Vorgesehen waren in diesem Zusammenhang auch Besuche bestimmter Länder sowie der Erlass neuer Empfehlungen.

«Es war in diesem Moment relativ einfach, eine unglaublich starke, kraftvolle Resolution im Sicherheitsrat zu verabschieden, denn schliesslich befanden sich die angegriffenen Zwillingstürme praktisch in Sichtweite des UN-Hauptquartiers. Und es geschah zwei Wochen, bevor sich die Staatschefs in New York zur Eröffnung der Generalversammlung trafen», sagt Mike Smith, ehemaliger stellvertretender UN-Generalsekretär und Ex-CTED-Chef.

Die UN-Generalversammlung, die alle Mitgliedstaaten von der UN-Strategie überzeugen musste, kam wesentlich langsamer voran als gedacht. Doch 2006 nahm sie die «Globale Strategie der Vereinten Nationen zur Terrorismusbekämpfung» an. Diese beruht auf vier Säulen: Die Bekämpfung der Rahmenbedingungen, die den Terrorismus anheizen können; Massnahmen zur Verhütung und Bekämpfung des Terrorismus; Hilfe beim Aufbau der entsprechenden Kapazitäten der Staaten; Massnahmen zur Gewährleistung und Achtung der Menschenrechte im Kampf gegen den Terrorismus.

Obwohl die UN langsamer vorankam als gehofft ist Mike Smith der Ansicht, dass der Schritt der Generalversammlung im Jahr 2006 wichtiger war als die Resolution 1373 von 2001, «denn die Strategie wurde einvernehmlich von 192 Mitgliedsstaaten angenommen, was ihr ein enormes Mass an Glaubwürdigkeit verlieh. Niemand, kein Land, konnte wegschauen und sagen, es hätte nicht zugestimmt. Der Sicherheitsrat kann Mitgliedsstaaten tatsächlich zu konkreten Handlungen verpflichten, die Generalversammlung hingegen nicht, aber ein Beschluss der Generalversammlung kann einem Anliegen mehr Legitimität verleihen, weil alle Staaten vertreten sind. «

Terrorismusbekämpfung und Menschenrechte

Auch der in Genf beheimatete UN-Menschenrechtsrat setzte sich in Bewegung. Als Reaktion auf Menschenrechtsverletzungen im Rahmen des erklärten «Kriegs gegen den Terrorismus» vergab der Rat im Jahr 2005 ein Mandat für einen unabhängigen «Sonderberichterstatter für die Förderung und den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten bei der Terrorismusbekämpfung».

Diesen Posten besetzt seit 2017 die irische Juristin Fionnuala Ní Aoláin.  Sie beurteilt die Auswirkungen der UN-Terrorismusbekämpfung auf die Menschenrechte kritisch. «Wir konnten feststellen, dass die Legitimation der Terrorismusbekämpfung, wie von der USA verstanden, über die Vereinten Nationen in die ganze Welt exportiert wurde. Durch die Resolutionen des UNO-Sicherheitsrats wurde jedem Staat vorgeschrieben, Gesetze zur Terrorismusbekämpfung zu erlassen», sagt sie gegenüber swissinfo.ch.

Doch manche Länder, beispielsweise die Türkei und Sri Lanka, hätten die Vorschriften missbraucht, um völkerrechtlich geschützte Rechte wie die Rede- und Versammlungsfreiheit einzuschränken, indem die Ausübung dieser Rechte als Terrorismus definiert wurde. «Niemand spricht diese Dinge je aus, weil wir ein perfektes Gentlemens Agreement haben, das untereinander ausgehandelt wurde. Niemand stellt jemals einen anderen wegen seiner Definition von Terrorismus zur Rede», bilanziert die Sonderberichterstatterin.

Fehlende Definition von Terrorismus

Vor allem auf Betreiben der USA und Indiens versuchte die UN-Generalversammlung, die nach dem 11. September 2001 ins Stocken geratenen Bemühungen um eine gemeinsame Definition des Terrorismus wiederzubeleben. Doch diese Bemühungen scheiterten vor allem am ungelösten israelisch-palästinensischen Konflikt und an der Unfähigkeit, die Gegenüberstellung von «Terrorist» und «Freiheitskämpfer» zu überwinden.

In der Folge wurde den Ländern zugestanden, den Begriff Terrorismus selbst zu definieren. Diese Flexibilität hatte einerseits einige Vorteile, etwa die Weiterentwicklung der UN-Bemühungen zur Terrorismusbekämpfung. Doch andererseits wurde so Ländern wie Russland, China, Ägypten, der Türkei, den Philippinen und anderen ermöglicht – sozusagen mit UN-Stempel – Massnahmen zur Terrorismusbekämpfung gegen Gruppen und Einzelpersonen zu ergreifen, die sonst niemand als Terroristen angesehen hätte.  

 «Autoritäre Regime erhielten die Möglichkeit, die Massnahmen der UN-Terrorismusbekämpfung für ihre Zwecke zu missbrauchen», sagt Eric Rosand, Senior Associate Fellow am Royal United Services Institute in London und ein ehemaliger hochrangiger Beamter des US-Aussenministeriums in der Abteilung für Terrorismusbekämpfung.

«Zwanzig Jahre nach dem 11. September 2001 gehört dieser Aspekt zu den grössten Sorgen, die ich in Hinsicht auf die Glaubwürdigkeit des gesamten UN-Systems habe. Das heisst: Wie lässt sich verhindern, dass gewisse Länder die Normen missbrauchen, um gegen Personen der Zivilgesellschaft vorzugehen, etwa gegen weibliche Autofahrerinnen in Saudi-Arabien oder gegen Journalist:innen. Denn somit besteht das Risiko, dass all die guten Dinge ausgehöhlt werden, welche die UN in den letzten zwei Jahrzehnten im Bereich der Terrorismusbekämpfung getan hat.» Seiner Meinung nach muss sich die UNO in den kommenden Jahren mit diesem Thema befassen, «denn das Fehlen einer Terrorismus-Definition untergräbt langsam die Glaubwürdigkeit der UNO in diesem Bereich». 

Spannungen zwischen New York und Genf

Mike Smith räumt seinerseits ein, dass es Spannungen zwischen den UN-Stellen in New York und Genf ab: Auf der einen Seite die politischen Abteilungen sowie die Terrorismusbekämpfung am Hauptsitz, auf der anderen Seite die humanitären Abteilungen und Menschenrechts-Organisationen in Genf. Als CTED-Leiter von 2006 bis 2013 bemühte er sich um einen ständigen Dialog mit den unterschiedlichen Organisationen in Genf.

Wenn das UN-Komitee CTED beispielsweise eine Reise in ein Land plante, in dem es Probleme mit den Menschenrechten gab, wurde vorab versucht, einen Vertreter oder eine Vertreterin vom Büro des Hochkommissars für Menschenrechte (OHCHR) in die Delegation einzuladen. Laut Smith arbeitete der CTED auch auf höchster Ebene eng mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR zusammen: «Wir sprachen beispielsweise über die besonderen Herausforderungen von Terrorgruppen, die innerhalb von Flüchtlingsgemeinschaften operieren.»

So habe es intensive Bemühungen gegeben, das Flüchtlingshilfswerk UNHCR und Interpol an einen Tisch zu bringen, um Informationen in diesem heiklen Bereich auszutauschen. «Interpol hatte Informationen über Personen, die mit terroristischen Organisationen in Verbindung standen, die dem UNHCR nicht vorlagen. Und das UNHCR versuchte, Flüchtlingslager zu managen, in denen diese Gruppen operierten», so Smith.

Eric Rosand wiederum ist der Meinung, dass die Spannungen nicht so sehr zwischen den UN-Organisationen selbst, sondern vielmehr zwischen ihren Zielsetzungen bestehen. Der UN Global Counter-Terrorism Coordination Compact, in dem rund 40 UN-Organisationen zusammengeschlossen sind, sei schon ein grosser Fortschritt im Vergleich zum Zustand vor zehn Jahren. Damals sei es für einige UN-Organisationen im Bereich der humanitären Hilfe und der Menschenrechte sehr schwierig gewesen, überhaupt mit Vertretern der Terrorismusbekämpfung in einem Raum zu sitzen.

«Heute sprechen die UN-Organisationen miteinander und suchen nach Wegen der Zusammenarbeit, aber die Zielsetzungen, die Rahmenbedingungen, Resolutionen oder UN-Berichte, die ihre Aktivitäten leiten, stehen oft im Widerspruch zueinander», meint Rosand. Seiner Meinung nach kritisieren Beamte der UN-Terrorismusbekämpfung Länder wie China, Ägypten und die Philippinen nicht für Menschenrechtsverletzungen, die im Namen der Terrorismusbekämpfung begangen werden, während hohe Beamte des Hohen Kommissars der Vereinten Nationalen für Menschenrechte (OHCHR) und die Sonderberichterstatter dies durchaus tun. «Aber das hat nicht annähernd so viel Bedeutung», sagt er gegenüber swissinfo.ch, «diese Länder sind viel eher geneigt, auf die Leute von der UN-Terrorismusbekämpfung zu hören als auf die Menschenrechtsvertreter:innen.»

Mit der Zeit gehen

«Ich denke, dass am Anfang dieser Aktivitäten, direkt nach den Anschlägen vom 11. September, das multilaterale Spielfeld der Terrorismusbekämpfung weitgehend leer war und der Sicherheitsrat daher eine entscheidende Rolle bei der Internationalisierung des Kampfes gegen den Terrorismus spielen musste», sagt Rosand.

Er ist jedoch der Meinung, dass es noch eine weitere grosse Herausforderung für den UN-Sicherheitsrat gibt. Denn dieser agiere zu distanziert von der lokalen Bevölkerung und der Zivilgesellschaft. Somit könnten diese Gruppen keinerlei Einfluss auf Resolutionen nehmen. Der Sicherheitsrat müsse sich den lokalen Realitäten annähern, um eine grössere Wirkung zu erzielen. «Ich denke, dass der Rat in dieser Hinsicht ein wenig taub geworden ist und nicht mit der Zeit gegangen ist», so Rosand. Das Verständnis für die terroristische Bedrohung und die Notwendigkeit der Terrorismusbekämpfung sei daher lokal oft sehr begrenzt.

Umstrittener Afghanistan-Einsatz

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass just zum 20. Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2001, welche einen von den USA geführten Krieg in Afghanistan auslösten, um die terroristischen Taliban zu vertreiben, genau diese Taliban wieder an die Macht gekommen sind. War die US-Operation folglich ein Fehlschlag? 

Mike Smith antwortet: «Es gibt eine Menge sehr interessanter Analysen darüber, wie gut oder schlecht die Entscheidung der USA war, sich aus Afghanistan zurückzuziehen oder ob die Truppen zehn Jahre früher das Land hätten verlassen sollen.» Und weiter: «Man kann sich über diese Frage lange streiten, aber Tatsache ist, dass die Intervention in Afghanistan die Schlagkraft von Al-Kaida sehr stark eingeschränkt hat.» Er gibt zu bedenken, dass die Rückkehr der Taliban den Islamisten in der ganzen Welt Mut machen und ihre Aktivitäten reaktivieren könnte. Sollte dieser Fall eintreten, wären die Länder heute aber besser als 2001 darauf vorbereitet, ihrerseits auf terroristische Angriffe zu reagieren.

Smith bilanziert: «Ich glaube nicht, dass die Ereignisse in Afghanistan zum Schluss führen, dass unsere ganze Arbeit in der Terrorismusbekämpfung vergebens war. Ganz und gar nicht.»

Gerhard Lob

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