Schweizer Spaghetti-Bäume noch immer auf Platz eins
Am 1. April sind Falschmeldungen allgegenwärtig. Nur wenige aber übertreffen den Scherz über die Schweizer Spaghetti-Ernte im Jahr 1957. Hinter der Geschichte stand das Schweizer Tourismusbüro in London. swissinfo.ch sprach mit dem damaligen Verantwortlichen für Werbung.
Am 1. April 1957 berichtete der britische Sender BBC in seiner Sendung «Panorama» aus dem Kanton Tessin an der Schweizer Südgrenze zu Italien. Die Reportage über eine Spaghetti-Rekordernte dauerte drei Minuten, zu sehen war eine Schweizer Familie, die Spaghetti von Bäumen pflückte und in Körbe legte.
Präsentiert wurde der Beitrag von Richard Dimbleby, besser bekannt für seine Berichterstattung über Kriege und die britische Königsfamilie. Er erklärte, aufgrund eines unüblich milden Winters seien die Spaghetti-Erträge diesmal ein besonders grosser Erfolg. Dazu beigetragen habe auch das Verschwinden des Spaghetti-Käfers.
Ausgedacht hatten sich die Geschichte BBC-Filmproduzent Charles de Jaeger und Albert Kunz, damals zuständig für die Werbung beim Schweizer Tourismusbüro in London. Der heute 93-Jährige lebt mit seiner Frau in Pfäffikon im Kanton Schwyz. Er erzählte swissinfo.ch wie es zu der Spaghetti-Geschichte kam.
Polizisten drohen mit Busse
«Charles de Jaeger kam im Februar 1957 in mein Büro und sagte, die BBC wolle für den 1. April einen Film in der Schweiz drehen. Er wollte, dass ich ihm eine konkrete Idee vorschlage. Zu Mittag assen wir zusammen in einem italienischen Restaurant Spaghetti Bolognese», erinnerte sich Kunz. Bei diesem Essen sei die Idee von den Spaghetti-Bäumen und der guten Ernte im Tessin entstanden.
Zurück im Büro testeten die beiden Männer, ob ihre Idee realisierbar ist. «Unsere Sekretärin kochte Spaghetti für uns. Wir gingen in den nahegelegenen Park St. Jame’s und hängten die Spaghetti an die Bäume», erzählte Kunz. Der Test glückte nicht wirklich, die Teigwaren klebten. Auch ein zweiter Versuch mit rohen Spaghetti war wenig erfolgreich, sie fielen zu Boden.
Schliesslich versuchten die beiden Männer ihre Idee mit frisch gemachten Spaghetti umzusetzen – das schien tatsächlich besser zu funktionieren. Zurück im Park St. Jame’s waren sie allerdings mit einem neuen Problem konfrontiert: «Zwei Polizisten kamen auf uns zu und sagten mit ernster Miene, es sei verboten, Pflanzen des Parks zu beschädigen. Sie drohten uns gar mit einer Busse», sagte Kunz.
Bitte nicht so lachen!
Mitte März reisten die beiden Männer und ihr Team nach Morcote am nördlichen Ufer des Luganersees im Kanton Tessin. Die Region ist bekannt für ihre Magnolienpracht im Frühling. Das Team und sechs Personen aus der Region brauchten Stunden, um die Teigwaren an den Bäumen zu befestigen. Schliesslich wurde gedreht, die Schauspieler versuchten ernst zu bleiben, doch «einige Szenen mussten mehrmals gedreht werden, weil alle so lachen mussten», so Kunz.
Geschätzte acht Millionen Fernsehzuschauer sahen den Bericht über die Spaghetti-Ernte am 1. April 1957 im Fernsehen. Zu dieser Zeit waren Teigwaren noch nicht so verbreitet und galten in Grossbritannien bei vielen als eine exotische Delikatesse. Hunderte Anrufe gingen bei der BBC nach der Ausstrahlung des Scherzes ein. Die Menschen erkundigten sich nach einer Möglichkeit, an einen solchen Spaghetti-Baum zu kommen. «Stellen Sie die Spaghetti in eine Dose Tomatensauce und hoffen Sie das beste», soll die BBC den Anrufern geantwortet haben.
Auch im Schweizer Tourismusbüro in London liefen die Drähte heiss. Die Angestellten hatten sich aber entschieden, reinen Wein einzuschenken. Zur grossen Enttäuschung vieler Anrufer erklärten sie, dass Spaghetti industriell hergestellt und nicht an Bäumen wachsen würden.
BBC-Generaldirektor greift zum Lexikon
Der Generaldirektor der BBC war vor der Ausstrahlung des Berichts nicht über den Scherz informiert worden. Er liess Kunz per Telefon wissen, dass es ihm wie den meisten Zuschauern ergangen sei. Er habe die Herkunft der Spaghetti in einem Lexikon nachschlagen müssen.
Bis heute bleibt der Spaghetti-Baum-Bericht aus dem Tessin einer der berühmtesten und beliebtesten April-Scherze. Man sagt auch, es handle sich bei der Übertragung um den ersten im Fernsehen ausgestrahlten April-Scherz. Initiant Kunz wurde später und bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1988 Direktor des Schweizer Tourismusbüros in London.
(Übertragung aus dem Englischen: Kathrin Ammann)
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