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Gesucht: Pharma-Superpolizisten

Schätzungsweise 20'000 Lieferungen mit gefälschten Medikamenten erreichen jährlich die Schweiz. Keystone

Verfügen Sie über Erfahrung im Kampf gegen Cyber-Kriminalität, Extremismus, Erpressung, Wucher und Bestechung? Falls Ja, könnte die Schweizer Pharma-Industrie Interesse haben, von Ihnen zu hören.

Die Pharma-Industrie ist nicht etwa auf der Suche nach Polizisten, Bodyguards oder Anti-Terrorismus-Experten, sondern nach Leuten, die sie im Kampf gegen die Plage der Arzneimittelfälschungen unterstützen können. Der Schweizer Pharmakonzern Novartis sucht einen Geheimdienstanalysten sowie einen Regionalleiter im Bereich Globale Sicherheit mit Arbeitsort China, um «pharmazeutische Verbrechen zu untersuchen und die Bedingungen zu schaffen, Fälscher und illegale Händler vor Gericht zu bringen».

Auch andere grosse Schweizer Pharmaunternehmen wie Roche sind auf der Suche nach Verbrechensbekämpfern, mit Stelleninseraten für einen Ermittler und einen Manager für interne Ermittlungen, für die Leitung und Durchführung «forensischer Untersuchungen und Betrugsermittlung».

Roche und Novartis lehnten es unter Hinweis auf Sicherheitsgründe ab, mit swissinfo.ch über ihre Operationen im Kampf gegen gefälschte Medikamente zu reden. Die Stelleninserate zeigen jedoch, dass das Problem existiert und nicht so bald verschwinden wird.

Das in den USA angesiedelte Pharmaceutical Security InstituteExterner Link (Institut für pharmazeutische Sicherheit), trägt Berichte von Pharmafirmen, Strafverfolgungsbehörden, Gesundheitsministerien und Medien über solche Verbrechen zusammen. Die Zahl der Vorfälle stieg nach Angaben des Instituts 2015 gegenüber dem Vorjahr um 25%.  

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«Die Berichterstattung von Seiten der Strafverfolgungsbehörden hat sich in den letzten Jahren dank Training und Sensibilisierungskampagnen verbessert», erklärte der Präsident und CEO des Pharmaceutical Security Institute, Thomas Kubic, gegenüber swissinfo.ch. «Doch die Tatsache, dass Medikamente profitabel und einfach zu transportieren sind, und die Chancen, ertappt zu werden, gleichzeitig gering, macht sie für Fälscher so attraktiv.»

Gemäss Kubic sind kriminelle Organisationen beim Verschieben von gefälschten Medikamenten über Länder hinweg sehr geschickt geworden. Ein gutes Beispiel dafür war die Beschlagnahmung von Harvoni, einem Medikament gegen Hepatitis C, in Israel 2016. Die Pillen stammten ursprünglich aus Indien und waren über eine Schweizer Handelsfirma nach Israel importiert worden, wie es in einer MitteilungExterner Link von Swissmedic, dem Schweizer Heilmittelinstitut, heisst.

Erwähnenswert ist, dass eine 12 Wochen dauernde Standardtherapie mit Harvoni in der Schweiz mehr als 50’000 Franken kostet, verglichen mit nur gerade 500 Franken in Indien mit Sovaldi, einer Generika-Version des Medikaments, wie der Zürcher Tages-AnzeigerExterner Link berichtete. Es ist wahrscheinlich, dass der riesige Preisunterschied und die Verzweiflung von Patienten, die nicht krank genug sind, dass die Krankenkassen die Kosten für die Behandlung mit Harvoni übernehmen, die Pillen zu einem verlockenden Ziel für Fälscher machte.

Auch Aspirin und Impfstoffe werden gefälscht

Bei den meisten Fälschungen handelt es sich jedoch nicht um teure Medikamente wie Harvoni, sondern um bekannte, erschwingliche Mittel wie Aspirin. «Solche Arzneimittel mögen zwar kleine Profitmargen haben, dies wird aber durch die grosse Zahl Patienten aufgewogen, die solche Mittel brauchen», sagte Kubic.

Laut Kubic haben Fälscher Medikamente im Visier, deren Wirksamkeit nicht sofort nachgewiesen werden kann, zum Beispiel Impfstoffe. Er verwies auf eine Untersuchung in Indonesien, die an den Tag brachte, dass eine Gruppe seit 2003 Impfstoffe für Kinder gefälscht hatte. Indonesien lanciert darauf ein Programm, um Millionen von Kindern erneut zu impfen, da diese gegen grundlegende Kinderkrankheiten nur ungenügend geschützt waren.

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Gegenmassnahmen

Es ist im besten Interesse der Pharma-Industrie, gegen Fälschungen vorzugehen. In einem BerichtExterner Link des Amts der Europäischen Union für geistiges Eigentum heisst es, dass die Pharmafirmen wegen Arzneimittelfälschungen Schätzungen zufolge im EU-Markt pro Jahr Einnahmen in Höhe von rund 10 Mrd. Euro verlieren. Dies entspricht 4,4% ihrer totalen Umsätze im EU-Raum. Ein weiterer Anreiz für Firmen, in Massnahmen gegen Fälschungen zu investieren.

2013 brachten 29 Unternehmen insgesamt 4,5 Millionen Euro zusammen, um Interpol im Kampf gegen Pharma-Verbrechen in den folgenden drei Jahren zu unterstützen. Daneben investierte die Branche in technologische Innovationen wie die Markierung von Verpackungen zur Verfolgung von Sendungen (Track und Trace-Systeme), um ihre Versorgungsketten zu schützen und es für Fälscher schwieriger zu machen, Konsumentinnen und Konsumenten zu hintergehen. In Europa wird dies bald Vorschrift werden.

Die EU-Richtlinie über gefälschte Arzneimittel wird vorschreiben, dass alle Unternehmen, die im EU-Raum Medikamente verkaufen, ihre Verpackungen ab dem 9. Februar 2019 mit Sicherheitsmerkmalen ausstatten müssen wie einer eindeutigen Kennzeichnung und einem Schutzmechanismus gegen unbefugte Manipulationen. Das Ziel ist, die Standards im ganzen EU-Raum zu vereinheitlichen.

Die Schweiz wird aktiv

Auch die Schweizer Regierung (Bundesrat) verstärkt den Kampf gegen Arzneimittelfälschungen und legte dem Parlament jüngst eine Botschaft zur Anpassung der Rechtslage in dem Bereich vor: Der Bundesrat strebt damit unter anderem die Anbringung von Sicherheitsmerkmalen auf den Verpackungen vor (eindeutige Kennzeichnung).

Nach Angaben des zuständigen Innenministeriums gelangen bis heute pro Jahr rund 20’000 illegale Arzneimittelsendungen in die Schweiz. «Es gibt nicht einfach ein Instrument, mit dem alleine alle Probleme gelöst werden könnten. Es braucht unterschiedliche Elemente wie die Produkteverifizierung, starke regulatorische Rahmenbedingungen, abschreckende Gesetze sowie ein wachsendes Bewusstsein in der Bevölkerung», erklärte Cyntia Genolet von der International Federation of Pharmaceutical Manufacturers and Associations (IFPMAExterner Link) in Genf.

Genolet erklärte, das Stoppen von Arzneimittelfälschungen sei nicht nur eine Aufgabe der Pharmaunternehmen. Sie möchte, dass Geschäfte mit gefälschten Medikamenten als «Verbrechen gegen Patienten» behandelt werden.

«Fälscher bringen das Leben von Menschen in Gefahr, werden dafür aber nicht entsprechend bestraft. Manchmal müssen sie eine Busse bezahlen oder ein paar Tage ins Gefängnis. Diese Strafen entsprechen weder der Bedrohung, die von Fälschern ausgeht, noch dem Schaden, den sie verursachen», sagte Genolet.

Eine vielversprechende Entwicklung in dem Zusammenhang ist die Medicrime-Konvention des Europarats, die 2016 in Kraft getreten ist. Sie ist das erste internationale Übereinkommen, das die Unterzeichner-Staaten verpflichtet, Herstellung, Lieferung und Handel mit gefälschten Medikamenten zu kriminalisieren.

Bisher haben 27 Staaten die Konvention unterzeichnet, neun von ihnen haben sie bereits ratifiziert. Die Schweiz gehört zu den Unterzeichner-Staaten und wird die Konvention voraussichtlich dieses Jahr ratifizieren, wenn die notwendige Zustimmung des Parlaments vorliegt.

Bisher haben allerdings erst wenige nicht-europäische Staaten das Abkommen unterzeichnet. Und dies muss sich ändern, damit die Konvention im Kampf gegen ein Verbrechen, das keine Grenzen kennt, tatsächlich wirksam werden kann.

(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)

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