Asylbewerber aus Nigeria: Kritik an Migrationschef
Die Kritik am Direktor des Bundesamts für Migration nimmt zu. Die Antirassismus-Plattform CRAN fordert gar seinen Rücktritt. Grund: Alard du Bois-Reymond hatte verlauten lassen, nigerianische Flüchtlinge kämen in die Schweiz, "um illegale Geschäfte zu machen".
«Ein grosser Teil von ihnen driftet in die Kleinkriminalität ab oder betätigt sich im Drogenhandel», sagte du Bois, der Direktor des Bundesamts für Migration (BFM). Amnesty International bezeichnete diese Aussage als «inakzeptabel».
Du Bois-Raymond erklärte in einem Radiointerview, dass die Fakten seine Haltung stützten: 99,5% aller Asylgesuche von Nigerianern seien im letzten Jahr abgewiesen worden.
Lediglich einem Nigerianer sei in der Schweiz Asyl gewährt worden – bei rund 1800 Gesuchen.
«Humanitäres Handeln funktioniert nur, wenn die Regeln strikte eingehalten werden», sagte der BFM-Direktor und fügte an, er befürworte Hilfe vor Ort in armen Ländern.
Laut Kanyana Mutombo, Direktor der afrikanischen Volkshochschule in Genf, führen die Äusserungen des Migrations-Chefs dazu, die nigerianische Gemeinschaft kollektiv zu brandmarken. Zudem seien sie symptomatisch für den in der Schweiz herrschenden Trend, Ausländern die Schuld für Verbrechen in die Schuhe zu schieben.
«Schweizer Behörden und auch jene Schweizer, die nichts über Afrika und die Afrikaner wissen, sind sich wohl häufig nicht bewusst, welche Wirkung solche Stigmatisierungen haben können», sagte er gegenüber swissinfo.ch.
«Bei uns weckt das wieder andere Stigmatisierungen. Die Geschichte der Beziehungen zwischen Weissen und Schwarzen ist seit je durch die Kriminalisierung der Schwarzen gekennzeichnet. Für uns ist das die Fortsetzung dieser historischen Kriminalisierung, in der wir das Image haben, kriminell zu sein, nur weil wir schwarzer Hautfarbe sind.»
«Besudelung einer Volksgruppe»
Zu du Bois-Reymonds Äusserungen war es im April gekommen, als die Regierung nach Wegen suchte, um die Rückschaffung abgewiesener Asylsuchender zu beschleunigen. Gesuche aus Nigeria führen die Liste negativer Entscheide an.
Weiter angeheizt wurde die Auseinandersetzung durch den Tod eines nigerianischen Asylbewerbers, der aus der Schweiz ausgeschafft werden sollte. Der Mann, ein verurteilter Drogendealer, hatte sich mit einem Hungerstreik gegen seine Ausschaffung gewehrt. Die Ursache seines Todes am 18. März im Flughafen Zürich wird untersucht.
Die Sonderflüge für Ausschaffungen wurden nach dem Vorfall vorübergehend eingestellt. Das Bundesamt für Migration wollte die Rückschaffungsflüge allerdings wieder aufnehmen, bevor das Untersuchungs-Ergebnis vorliegt. Ein Schritt, der von Amnesty International Schweiz und Solidarité sans frontières angelehnt wurde.
AI Schweiz fordert unabhängige Beobachter an Bord solcher Sonderflüge. Die Menschenrechts-Organisation kritisierte auch die Äusserungen des BFM-Direktors.
«Es ist inakzeptabel, dass der Direktor eines Bundesamtes, namentlich eines, das sich mit Integrationsfragen befasst, die gesamte nigerianische Gemeinschaft diskreditiert, lediglich aufgrund ihrer Nationalität», erklärte AI-Generalsekretär Daniel Bolomey.
Die Plattform für Reflexion und Aktion wider den Rassismus
gegen Schwarze (CRAN) forderte BFM-Direktor du Bois-Reymond wegen seiner Kommentare über potenziell kriminelle Asylbewerber aus Nigeria zum Rücktritt auf.
«Man darf nicht alle Nigerianer in einen Topf werfen. Wegen einer kleinen Gruppe besudeln wir eine ganze Volksgruppe», erklärte André Loembe, Vize-Präsident der Organisation, gegenüber swissinfo.ch.
«Seine Redeweise hat uns schockiert. Seine Wortwahl ist provokativ. Wenn sie von einer Amtsperson kommt, ist das inakzeptabel.»
Diplomatische Aktion
Loembe weist auf das Rückübernahme-Abkommen mit Nigeria hin, welches festhält, dass Rückschaffungen mit Respekt und in Würde in Einklang mit internationalen Konventionen ausgeführt werden müssten.
«Man darf nicht hinnehmen, dass ein junger Mensch unter solch schrecklichen Umständen stirbt. Wir hoffen, dass die laufende Untersuchung ermitteln kann, wer dafür verantwortlich ist. Schliesslich leben wir in einem Rechtsstaat.»
Nigerianer in der Schweiz nahmen auch Kontakt zu ihren Botschaften auf, damit diese aktiv würden. Afrikanische Regierungen und ihre Vertretungen in der Schweiz seien jedoch langsam, wenn es darum gehe, auf Menschenrechts-Verletzungen gegenüber Afrikanern in der Schweiz zu reagieren, sagte Kanyana Mutombo.
«Wir haben sie mehrfach auf den Mangel an Respekt gegenüber Menschen aus Afrika hingewiesen. Aber sie reagieren nicht. Sogar dann, wenn diplomatische Vertreter durch die Polizei schlecht behandelt wurden, gab es kaum Reaktionen.»
Seiner Ansicht nach sollte Nigeria das Rückübernahme-Abkommen mit der Schweiz nach dem Todesfall vom März sistieren. «Wir werden sehen, ob es dazu kommt. Und wie werden andere afrikanische Botschaften in solchen Fällen reagieren?»
Jessica Dacey, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Englischen: Gaby Ochsenbein)
2009 beantragten 16’005 Personen Asyl in der Schweiz, 601 weniger als im Jahr zuvor.
Erstmals stammten die meisten Asylsuchenden aus Nigeria: 1786 Personen fragten nach Asyl, 798 mehr als 2008.
In der Schweiz gilt die gleiche Asylpolitik gegenüber Nigerianern wie in der Europäischen Union.
Nigerianer haben in der Schweiz kam Chancen auf Asyl: von 1808 Fällen wurde ein einziger bewilligt, sechs Personen erhielten eine beschränkte Aufenthaltsbewilligung.
2009 führte die Schweiz 43 Spezialflüge durch und brachte rund 360 Personen zurück in ihre Länder, hauptsächlich in den Balkan und nach Afrika. 2008 waren es 45 Flüge.
80 bis 90% dieser Flüge gehen ab Zürich Kloten. Die Flugzeuge sind speziell ausgerüstet, um auch Menschen zu transportieren, die sich gegen ihre Rückschaffung wehren.
Der letzte solche Flug nach Nigeria war im November 2009. Auch damals gab es Probleme zwischen Polizei und Ausgeschafften.
2009 haben 140 Nigerianer die Rückschaffung akzeptiert und sind freiwillig zurückgekehrt, 70 wurden gewaltsam ausgeschafft und 215 wurden im Flugzeug begleitet.
Der Tod im März war der dritte solche Todesfall in der Schweiz: 1999 erstickte ein 27-jähriger Palästinenser in einem Lift des Flughafens Zürich. Er war begleitet von drei Polizisten. 2001 erstickte ein Nigerianer in seiner Zelle nach dem Einsatz von Polizeigewalt.
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