Abenteuerliches Klosterleben
Sie wollte ein abwechslungsreiches und spannendes Leben und fand dies ausgerechnet in einem deutschen Kloster. Ruth Meili lebt seit bald einem halben Jahrhundert als Benediktiner-Schwester.
«Ein einziger Mann hätte mir nicht gereicht. Wenn schon, dann hätte ich mehrere haben müssen. Nur einer ist doch langweilig», witzelt Ruth Meili (78), wenn man sie fragt, weshalb sie ins Kloster ging. Seit fast fünfzig Jahren lebt die Schweizerin im deutschen Evangelischen Benediktinerinnen-Kloster SchwanbergExterner Link, unweit von Nürnberg.
Dass sie eines Tages in ein Kloster ziehen wollte, zeichnete sich schon früh ab. Mit ihren Freundinnen fantasierte die damals kleine Ruth von einem gemeinsamen Haus, quasi einer Frauen-WG mit dazugehöriger Schule.
Auslandschweizer-Community
Die Journalistin Joëlle Weil lebt als Auslandschweizerin in Israel. Sie porträtiert in loser Folge interessante Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer, denen sie in Facebook-Gruppen der Auslandschweizer-Community begegnet ist.
Die Mädchen malten sich eine gemeinsame Zukunft in dieser fiktiven Gemeinschaft aus. Ehepartner oder Kinder hatten in diesem kindlichen Spiel keinen Platz. Eine der Freundinnen zog später tatsächlich in ein Kloster, Ruth tat es ihr nach.
Keine Lust auf Familie
Schwester Ruth beobachtete vor ihrem Entscheid in ihren Zwanzigern das Leben, das um sie herum geschah: Ihre grosse Schwester heiratete und wurde Mutter. Meili fehlte es bei dieser Lebensweise an Action und Abwechslung. Dieses Leben mit Mann und Kind war nichts für sie, da war sie sich sicher.
Die Eltern bedauerten damals den Entscheid der Tochter, in ein Kloster zu gehen. Sie hätten gerne noch mehr Enkelkinder gehabt. Ruth jedoch trotzte und entschied sich mit 30 Jahren definitiv und zog auf den Schwanberg. «Zusammen leben, zusammen eine Aufgabe übernehmen und Gutes bewirken… Das sind Gedanken, die mir schon immer sehr gefallen haben.»
Schwester Ruth hat in ihrer Zeit im Kloster viel erlebt, hat viele Projekte geleitet, nahm diverse Führungspositionen wahr. Als Theologin und Biologin war sie sowohl Lehrerin als auch als evangelische Pfarrerin tätig. Innerhalb des Klosters hat sie teilweise das dazugehörige Internat geleitet.
Das Chefsein hat ihr jedoch nicht so gut gefallen, wie angenommen: «In der Schweiz begegnen wir uns alle auf Augenhöhe. In Deutschland hingegen gibt es eine grosse emotionale Distanz zum Chef. An diese strenge Hierarchie kann ich mich nicht gewöhnen», sagt sie. Deshalb habe sie damals die Führung abgegeben. Sie wollte wieder auf Augenhöhe mit ihren Schwestern arbeiten und leben.
Abenteuer Deutschland
Deutschland war damals für Ruth ein viel exotischeres Ziel, als man es sich heute vorstellen kann. Sie verfolgte als Mädchen die Nachrichten von der Schweiz aus. Die DDR war ein naher Ort, der sich so weit weg und anders anfühlte.
Auch wenn sie nicht dort gelebt hat, fühlte sie die Spannung zwischen dem Osten und Westen. Ruth erlebte den Mauerfall 1989 und den sozialen Umbruch, war Zeugin eines historischen Ereignisses und fand darin ein kleines Abenteuer.
Ihre wohl spannendste Zeit verbrachte sie nach dem Fall der Mauer in München. Auf Anfrage eines dort ansässigen Pfarrers eröffnete sie damals zusammen mit drei weiteren Ordensschwestern eine Teestube für Wohnsitzlose und Alkoholabhängige. Eine Art Kaffee in betreuter Umgebung für Menschen, die ein offenes Ohr suchten oder nicht wussten, wohin sie gehen sollten.
Acht Jahre führte sie das kleine Kaffee. «Die Tür zwischen der Teestube und der Kapelle war immer offen», erinnert sich Schwester Ruth. «Der Rauch der Zigaretten zog in die Kapelle und der Rauch des Heiligen Geistes in die Stube. Damals konnte man ja noch überall rauchen», scherzt sie.
«Lebendiges Leben mit Tiefsinn»
Es war eine lebendige Zeit. Zwischen den Randständigen und den Benediktinerinnen-Schwestern entstand eine entspannte und familiäre Atmosphäre, an die sich Ruth mit viel Freude zurückerinnert: «Wir hatten oft lange offen und haben einander gegenseitig belustigt und Spässe zusammen gemacht. Wir hatten Kunstaufführungen und gelacht, bis wir fast von den Stühlen fielen.»
Nach Unstimmigkeiten mit dem neuen Pfarrer zog es Schwester Ruth zurück auf den Schwanberg. Heute lebt sie dort mit 31 anderen Schwestern. Ihre Entscheidung habe sie nie hinterfragt. «Es ist ein lebendiges Leben im Kloster. Zwar ein Leben mit konsequenter Struktur, aber auch mit viel Abwechslung und Tiefsinn.»
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