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«Für Fleiss und Gehorsam gibt es Maschinen»

Ein Kind sammelt Goldkonfetti auf der Strasse ein.
Soll der Staat Gold regnen lassen? Die Anhänger eines bedingungslosen Grundeinkommens machen sich neue Hoffnungen. © Keystone / Alexandra Wey

Können Sie sich eine Gesellschaft vorstellen, welche die Existenz jedes Menschen ohne Wenn und Aber sichert? Daniel Häni kann das, und wie. Sein halbes Leben lang legt sich der Basler Unternehmer für ein bedingungsloses Grundeinkommen ins Zeug. Die Corona-Krise gibt neuen Schub.

Derzeit taucht der Begriff des bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) in den politischen Debatten wieder häufiger auf. Und Häni fragt sich, ob die Zeit für eine neue Abstimmung gekommen sei. Er hofft, dass sich aus einem Gespräch mit Parlamentariern von Ende April eine «parteiübergreifende Plattform zum Grundeinkommen» entwickelt.

Soziale Sicherheit in der Schweiz

Die Schweiz lässt niemanden verelenden. Hierzulande kommt die Allgemeinheit für alle auf, die nicht selbst für sich sorgen können. Aber umsonst, gibt es nichts. Die Arbeitslosenkasse (ALV) ist eine Versicherung. Anspruch auf Entschädigung bei Stellenverlust haben deshalb nur Personen, welche die Bedingungen erfüllen. Wer keinen Anspruch auf ALV-Leistungen hat und auf Sozialhilfe angewiesen ist, muss beweisen, wie schlecht es um seine finanzielle Lage steht. Für manche Bittsteller kommt der Behördengang einem Spiessrutenlauf gleich, weshalb sie lieber weiterhin einer ungeliebten Arbeit nachgehen.

Die Menschen vom Arbeitszwang zu befreien, das war das Ziel der Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE), die Häni gemeinsam mit Gleichgesinnten lanciert hatte. 2016 scheiterte das Volksbegehren vor dem Souverän deutlich. Fast 77% der Stimmenden wollten sich – oder andere – nicht «befreien lassen».

Aber totgesagte (Ideen) leben länger. Hier und dort werden Unterschriften für ein anderes Wirtschaftssystem gesammelt. In der Schweiz fordern die Jungen Grünen mit einer PetitionExterner Link den Bundesrat auf, in der Corona-Krise «ein bedingungsloses Grundeinkommen für die gesamte Schweizer Bevölkerung einzuführen». Und in Deutschland fordern der Gründer der Drogeriemarktkette dm und ein Steuerexperte ein «garantiertes GrundeinkommenExterner Link«.

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Die Initianten wollen nichts weniger als eine neue Gesellschaftsordnung; auch Daniel Häni: «Das geltende System macht abhängig», sagt er. Heute sollten die Menschen nicht mehr fleissig und gehorsam sein – dafür gebe es Maschinen –, sondern kreativ und selbstbestimmt.

«Existenzangst macht manipulierbar»

swissinfo.ch: Bei der Abstimmung 2016 – Herr Häni – fragten sich wohl viele Stimmende, wer trotz bedingungslosem Grundeinkommen noch Toiletten reinigen würde?

Daniel Häni: Diese Frage lässt tief blicken. Sie impliziert folgende Haltung: Wenn wir wollen, dass die Toiletten gereinigt werden, müssen wir die Menschen existenziell davon abhängig halten, damit sie diese Arbeit ausführen. «Drecksarbeit» nennen wir sie nicht nur, weil sie den Dreck weg macht. Existenzangst macht manipulierbar, gefügig. Wer kein Geld hat, über den können andere – die Geld haben – verfügen. Aber das funktioniert nur, wenn die Existenz nicht gesichert ist. Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen könnte niemand mehr über Existenzangst zu etwas gedrängt werden.

Daniel Häni und Enno Schmidt, 2016 auf einer Bank sitzend am Abstimmungsfest der Initianten der Grundeinkommensinitiative.
Daniel Häni (links), und Enno Schmidt, 2016 am Abstimmungsfest der Initianten der Grundeinkommensinitiative. © Keystone / Alexandra Wey

swissinfo.ch: Mag sein, aber trotzdem: Wer reinigt die Toiletten, wenn dank BGE niemand mehr muss?

D.H.: Man müsste diese Arbeit attraktiver machen. Mit besseren Arbeitsbedingungen bekäme die Arbeit auch einen besseren Ruf.

Wer soll das bezahlen?

Laut Umfragen im Nachgang zur Abstimmung 2016 war für viele Nein-Sager unklar, wie die rund 200 Milliarden Franken – ein Drittel des BIP – aufzutreiben wären, die ein nationales Leben ohne Existenzangst kosten würden. Für Häni handelt es sich dabei um ein Missverständnis. Um verständlich zu machen, dass das BGE nicht mehr kosten würde, will er nun eine Grundsatzdebatte über Steuern und einen Steuerfreibetrag anzetteln. Im deutschen Bundestag hat er die PetitionExterner Link «Neuer Steuergrundsatz für das 21. Jahrhundert – Fussabdruck besteuern» eingereicht. Auch die Schweiz brauche einen neuen Grundsatz für die Steuererhebung, sagt er.

swissinfo.ch: Was stört Sie denn am geltenden Steuergrundsatz?

D.H.: Dass er vorschreibt, die Leistungsfähigkeit, also die Arbeit, zu besteuern.Es müsste nur ein Wort geändert werden. Anstelle von Leistungsfähigkeit würde Leistungsverbrauch stehen. Ein Paradigmenwechsel:

Nicht wer viel leistet soll viel Steuern zahlen, sondern wer viel Leistung für sich in Anspruch nimmt. Eine neue Grundhaltung für die kommenden Generationen. Den sozialen Aspekt der Wirtschaft zu besteuern, ist falsch.

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swissinfo.ch: Und was ist richtig?

D.H.: Wir müssen mit der Steuer das Bewusstsein darauf lenken, was und wieviel wir verbrauchen. Stichwort Digitalisierung. Stichwort Klimawandel.

swissinfo.ch: Eine Verbrauchssteuer hätte zur Folge, dass Dienstleistungen und Produkte – auch lebensnotwendige – massiv teurer würden. Und das sei asozial, sagen insbesondere die Linken?

D.H.: Das mit den höheren Preisen ist der gleiche Irrtum, wie beim Grundeinkommen. Ob wir die Steuer am Einkommen erheben oder als Verbrauchsteuer, verändert den Preis nicht. Das, was an Steuern und Abgaben im Produktionsvorgang anfällt, ist heute ebenso Preisbestandteil, wie es dann auch eine diese ersetzende Verbrauchsteuer wäre.

Aber, was der Verbrauchsteuer heute tatsächlich fehlt, ist eine soziale Komponente, die progressiv wirkt. Damit sie progressiv wirkt, braucht sie einen Steuerfreibetrag. Da dieser schlecht an der Kasse beim Einkauf ausbezahlt werden kann, könnten wir den Steuerfreibetrag monatlich an alle Bürgerinnen und Bürger in gleicher Höhe und logischerweise ohne Bedingungen überweisen…

swissinfo.ch: … eben als bedingungsloses Grundeinkommen?

D.H.: Ja, wie ein reifer Apfel am Baum.

Wie sich Häni und der deutsche Philosoph Philip Kovce eine Gesellschaft mit bedingungslosem Grundeinkommen vorstellen, erklären die beiden Autoren im 2017 erschienen «Manifest zum GrundeinkommenExterner Link«. Der 54-jährige Häni ist Mitgründer und Gesellschafter der GmbH unternehmen mitteExterner Link in Basel, die mit Unterstützung der Stiftung Edith MaryonExterner Link aus der Taufe gehoben wurde. 1998 konnte die Stiftung für 10 Millionen Franken das Gebäude des ehemaligen Hauptsitzes der Schweizerischen Volksbank im Basler Stadtzentrum kaufen. Seither vermietet sie es an die GmbH, die dort das inzwischen grösste Kaffeehaus der Schweiz betreibt.

swissinfo.ch: Sie sind selbst Unternehmer. Arbeiten die 60 Mitarbeitenden Ihrer GmbHExterner Link ohne Existenzangst?

D.H.: Die Mitarbeitenden wissen, dass das, was sie erwirtschaften [rund vier Millionen Franken, N.d.R.] nicht in den Taschen der Chefs landet. Die Gewinne werden für Verbesserungen und neue Produkte ins Unternehmen investiert. Anstatt mit dem Machtmittel Geld, versuchen wir, engagierte Mitarbeitende mit Ideen und guten Arbeitsbedingungen zu überzeugen.

«Wer nicht muss, der kann!»

In Hänis Grundeinkommens-Gesellschaft würde der Mensch selbst zum Zweck. Die Wirtschaft diente den Menschen und nicht umgekehrt. Dass manche Zeitgenossen nur noch auf der faulen Haut liegen würden, wenn der Grundbedarf gedeckt wäre, hält er für unwahrscheinlich. Kritiker bezeichnen Hänis Menschenbild deshalb als weltfremd.

swissinfo.ch: Fördert des BGE nicht «Müssiggang und aller Laster Anfang»?

D.H. Es führt zu mehr Freiwilligkeit in der Arbeit und fördert die Selbstbestimmung sowie den Gestaltungswillen. Wer nicht muss, der kann!

swissinfo.ch: Das Schweizer Stimmvolk ist skeptisch gegenüber grossen, heilsversprechenden Umwälzungen. Es bevorzugt kleine Schritte und ist damit bisher nicht schlecht gefahren?

D.H.: Manchmal kann es sehr schnell gehen. Denken Sie nur an den Fall der Berliner Mauer, oder jetzt an die Corona-Krise.

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Finnisches Experiment mit «Grundeinkommen»

In Finnland fand in den Jahren 2017 und 2018 ein Experiment statt, das der Idee eines Grundeinkommens nahekam. 2000 per Los ausgesuchte Langzeit-Arbeitslose erhielten über einen Zeitraum von zwei Jahren ihre Sozialversicherungszahlungen von 560 Euro bedingungslos. Ihnen wurden Zuverdienste nicht wie sonst üblich abgezogen. Finnland sorgte damit weltweit für Schlagzeilen.

Die Bilanz ist gemäss Befragungen am Ende des Experiments durchzogen: Drei Viertel der Befragten waren vor und nach dem Versuch eher skeptisch. Und die Sozialversicherungsbehörden sagen, dass es zu kaum spürbaren Veränderungen führte.

Immerhin: Teilnehmende mit Grundeinkommen fanden in geringem Masse besser, aber nicht schlechter Arbeit als Nichtteilnehmende. Sie fühlten sich insgesamt wohler, waren seltener depressiv und ängstlich. Sie empfanden mehr Autonomie, weil sie länger finanziell vorausplanen konnten. Sie hatten stärker das Gefühl, ihre Zukunft in der Hand zu haben und Dinge von Bedeutung tun zu können.

Das Experiment konnte aber die Probleme von denjenigen, die schon zuvor schwierige Lebensumstände hatten, nicht lösen.

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