Coronavirus: «So erlebe ich mein Bern in dieser Zeit» – Teil 3
"Jetzt gilt Kopf hoch und kreativ sein. Jammern über derzeit Unmögliches bringt nichts", sagt Gaby Ochsenbein. Die frühpensionierte ehemalige Redaktorin von swissinfo.ch schreibt in dieser beispiellosen Zeit über ihre Beobachtungen und Fragen – aus persönlicher Sicht.
Die Bäume stehen noch, die Sonne scheint, die Kirchenglocken läuten, die Aare fliesst wie immer. Und trotzdem ist alles anders, ich fühle mich im falschen Film.
Wie kann ein ultrawinziges, hirnloses Wesen unsere Welt quasi über Nacht aus den Fugen heben und Wirtschaft, Tourismus, öffentliches Leben, Bildung, Sport und Kultur dermassen in die Knie zwingen? Dieser gefährliche, unsichtbare Gegner hat unseren Alltag in kurzer Zeit drastisch verändert.
Dichtgemacht sind Tierpark, Botanischer Garten, Rosengarten sowie die Plattform hinter dem Berner Münster, wo sonst Kinder im Sandkasten Burgen bauen und Boules gespielt wird. Auch Hochzeiten werden verschoben. Beerdigungen finden, wenn überhaupt, in kleinstem Kreis statt. Und auch die Zeitungen sind ausgedünnt, denn über Sport und Kultur gibt es nur wenig zu berichten.
Die grosse Leere
Blank ist auch meine Agenda: Das Konzert ist abgesagt, das Geburtstagsfest eines Freundes und ein Besuch aus dem Ausland fallen ebenfalls ins Wasser. Und meinen Enkel, den ich regelmässig hüte, sehe ich bis auf weiteres nicht. Das ist hart. Ob mich der Knirps noch kennt, wenn ich ihn einst wieder sehe? Und wann wird das sein?
Spazieren geht noch. Am besten alleine oder zu zweit mit dem nötigen Abstand. Ich begegne heute früh nur wenigen Leuten, die meisten sind alleine unterwegs. Man grüsst sich, wie in einem Dorf, – und geht sich aus dem Weg. Jeder hat «Corona» im Kopf. In diesem Albtraum sind wir jetzt Schicksalsgenossen.
Ich spaziere zum Friedhof, wo meine Eltern begraben sind. Wie froh bin ich, dass sie diese Krise nicht mehr erleben müssen! Auf dem Rückweg begegnet mir ein junger Mann mit einer Vogelmaske, wie man sie vom Karneval in Venedig kennt. Soll das ein Gag sein oder gar ein Schutz gegen das aggressive Virus?
Sich nicht unterkriegen lassen
Heute sagte mir meine Tochter am Telefon, die Pandemie habe auch eine gute Seite: Weniger Konsum, weniger Berieselung, dafür Zeit, um Bücher zu lesen, Muffins zu backen oder den Balkon zu bepflanzen. Stimmt. Unsere Welt ist zwar klein und eng geworden, aber so öde auch wieder nicht. Der Mensch ist anpassungsfähig, zum Glück.
Ich könnte endlich das über 1200 Seiten dicke Buch «Das achte Leben» von Nino Haratischwili in Angriff nehmen. Oder den Garten umstechen, Socken stricken, Brot backen (leider waren Frisch- und Trockenhefe ausverkauft) oder einer Freundin eine Rolle WC-Papier statt Blumen vor die Tür stellen. Oder ich könnte Jonglieren lernen, das braucht Konzentration und ein gutes Gleichgewicht. Ich könnte auch die Fenster putzen. Aber das kann warten. Denn ich sollte nicht schon heute mein ganzes Pulver verschiessen. Die Corona-Zeit wird noch eine Weile dauern.
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