«Die verschleierte Frau besitzt eine übernatürliche Kraft»
Als Grenzgängerin zwischen Ost und West hat die jemenitische Fotografin Bushra Al-Mutawakel die westlichen Wertvorstellungen über den Körper der Frau studiert, sie adaptiert und dagegen revoltiert.
Mit ihrer Kunst versucht Bushra Al-Mutawakel nichts weniger als das Spannungsfeld zwischen weiblicher Selbstbestimmung und sexueller Diskriminierung zu reflektieren. Sie tut es, indem sie die Vorurteile über den Hidschab und den Nikab im Westen dekonstruiert, aber auch die autoritären Tendenzen im Osten aufgreift, die den Körper der Frau von aussen definieren wollen.
Ihre Arbeit ist der Versuch, normative Ideen herauszufordern und einen alternativen Diskurs zu etablieren. Entsprechend sind ihre Fotografien voller Gegensätze. Sie vermischen Tradition und Moderne, vertauschen als männlich und als weiblich verstandene Attribute.
Al-Mutawakel sagt, das Streben danach, Frauen mit dem Hidschab oder Nikab zu bedecken, werde in ihrer Kunst als Autoritätsgeste einer Stammesgemeinschaf entlarvt. Gleichzeitig stellt sie die Schönheitsstandards kapitalistischer Gesellschaften als ein Instrument dar, mit dem eine modernistische Kontraautorität festgeschrieben wird.
Man fühlt sich unsichtbar
Al-Matawakel selbst trug den Hidschab und manchmal den Nikab im Jemen jeweils bei gesellschaftlichen Anlässen. Der Jemen sei eine konservative, ungemischte Gesellschaft, sagt sie. Und fügt hinzu: «Mit dem Hidschab fühle ich mich freier und weniger auffällig, aber im Niqab habe ich das Gefühl, eine übernatürliche Kraft zu haben, die mich unsichtbar macht, während ich alles und jede Person sehen kann. In dieser Situation wird man zur Zensur, und nicht selbst zensiert.»
Der Nikab, sagt Al-Mutawakel, gebe den jemenitischen Frauen eine Möglichkeit, die versteinerten Bräuche zu umgehen. Er sei ein Mittel zur Befreiung, das die Bewegung im öffentlichen Raum ohne Aufsicht und ohne Angst möglich macht.
Ein Studienaufenthalt in den USA erweiterte einst ihren Blick auf das Thema der Verhüllung. «Ich war damals stolz darauf, den Hidschab als Teil meiner islamischen und jemenitischen Identität zu tragen. Ich nahm ihn aber ab, nachdem ich die Überzeugung gewonnen hatte, dass das nicht logisch ist.» Auf dem Universitätscampus hatte sie ihre arabischen Kolleginnen und Kollegen beobachtet. «Sie trugen eine westliche Kleidung, die ihre Identität nicht repräsentierte. Ich fragte mich, warum ich mich dann verschleiern sollte und wie es wohl wäre, wenn ihnen dasselbe auferlegt würde.»
Die Befreiung von der Emanzipation
Die Verschleierung, so die Botschaft der Fotografin, ist komplexer als ihre Wahrnehmung im Westen – aber auch im Osten, wo der Schleier den geopolitischen Konflikt zwischen Iran und Saudi-Arabien reflektiert. In diesem Kontext zeige der Nikab, wie sich der Wahhabismus im Jemen verbreite. Sie sagt erklärend: «Als ich in der Schule war, besuchte ich ein jemenitisches Dorf. Ich war ganz fasziniert von der farbenfrohen Kleidung der Frauen. Als ich nach zwanzig Jahren zurückkam, fand ich alle Frauen im schwarzen Tschador und Nikab vor.» Sie bedaure, dass ein Teil der jemenitischen Folklore dem kulturellen Einfluss der Golfregion zum Opfer gefallen sei.
Auf der anderen Seite mache die Besessenheit von Schönheitsstandards und die Instrumentalisierung des Frauenkörpers zur Vermarktung von Produkten die Frauen auch nicht frei. In einem Satz: «Der kapitalistische Individualismus und der fieberhafte Wettlauf um die Befreiung von jeder normativen Kultur sind zu Instrumenten der Unterdrückung des Körpers der Frau geworden.»
Hier knüpfen ihre Bilder an. Sie wollen provozieren und die Frage aufwerfen: Wie wäre es, wenn?
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