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Schweiz: Nur milde Massnahmen trotz Corona-Hotspot

Des personnes avec et sans masque à Berne.
Die Maskenpflicht in Lauben ist in der Schweiz gerade erst in Kraft getreten. Keystone / Anthony Anex

Corona-Infektionen steigen rapid, die Schweiz hat eine der höchsten Neuerkrankungsraten. Um die zweite Welle einzudämmen, kündigte die Regierung am Mittwoch neue Massnahmen an, die aber im internationalen Vergleich eher mild sind.

Plötzlich ging es schnell: In der vergangenen Woche hat sich die Zahl der täglichen Neuinfektionen mit Coronaviren in der Schweiz fast verdoppelt. Die Hälfte der 145’000 Infektionen in der Schweiz seit Beginn der Pandemie sind seit dem 15. Oktober bestätigt worden.

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Am Donnerstag überschritt die Zahl der neuen bestätigten Fälle innerhalb von 24 Stunden zum ersten Mal die 9000er-Marke. Es wird mehr getestet als während der ersten Welle, was die höhere Zahl der Fälle teilweise erklärt. Aber auch die Positivitätsrate nimmt stetig zu.

Die Zahl der hospitalisierten Covid-19-Patienten und Patientinnen nimmt stetig und rapid zu. Am Freitag wurden 2230 Personen gemeldet, die wegen Covid-19 in einem Spital behandelt werden. Das ist vergleichbar mit den Spitzenwerten während der ersten Welle. In der vergangenen Woche wurden mehr als 1100 Menschen ins Spital eingeliefert (gegenüber 560 in der Vorwoche) und 160 Menschen starben (gegenüber 54). Neue Infektionen, Hospitalisationen und Todesfälle nehmen im gleichen Masse zu wie zu Beginn der Krise.

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Zahlen innert drei Wochen explodiert

Zu Beginn des Monats lag die durchschnittliche 14-tägige Inzidenz in der Schweiz immer noch unter 60 neuen Fällen pro 100’000 Einwohner. Das war weit unter dem Wert anderer Länder. Tatsächlich nutzte die Schweiz diese Schwelle noch bis Mittwoch, um andere Länder als «Risikogebiete» einzustufen, aus denen man nur nach 10-tägiger Quarantäne zurückkehren durfte.

Die Situation in der Schweiz geriet ab Ende der ersten Oktoberwoche ausser Kontrolle. Die Inzidenzkurve von Covid-19 in der Schweiz hebt ab und wird fast vertikal.

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Matthias Egger, Mitglied der Covid-Taskforce des Bundes, kommentiert die Entwicklung auf Twitter: Am 14. Oktober überholte die Schweiz die USA, am 20. Oktober Spanien und Grossbritannien, am 22. Oktober Frankreich und am 27. Oktober die Niederlande. «Welche Infektionskraft die Schweiz hat», stellt der Experte, der schon im Sommer vor einer zweiten Welle gewarnt hatte, ironisch fest.

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Seit dem 1. Oktober ist die Inzidenz in der Schweiz um rund 700% angestiegen, wie die Website «Our World in DataExterner Link» zeigt. Dies ist eine der höchsten Steigerungen nach Belgien, der Tschechischen Republik und Slowenien.

Mit durchschnittlich mehr als 900 Fällen pro 100’000 Einwohner während 14 Tagen gehört die Inzidenzrate in der Schweiz zu den höchsten der Welt. Ein Vergleich zu den Nachbarländern: Die Zahlen in der Schweiz sind fast fünfmal höher als in Deutschland, doppelt so hoch wie in Österreich und Italien. In Frankreich gibt es 681 Fälle pro 100’000 Einwohner, so die jüngsten Zahlen des Europäischen Zentrums für Prävention und Kontrolle von KrankheitenExterner Link.

Acht Schweizer Kantone gehören zu den am stärksten betroffenen Regionen in Europa

Eine Vergleichstabelle unserer Kollegen und Kolleginnen von RTS (dem französischsprachigen Sender der SRG, zu der auch SWI swissinfo.ch gehört) zeigt, dass acht Schweizer Kantone zu den 30 europäischen Regionen mit der höchsten Inzidenz neuer Covid-19-Fälle gehören. Die belgische Region Wallonien, die an der Spitze dieser europäischen Rangliste steht, wird direkt gefolgt vom Schweizer Kanton Wallis. Der Kanton Genf liegt auf Platz 6.

Gegenwärtig hält der Anstieg der Sterbefälle nicht Schritt und verläuft in der Schweiz etwas langsamer als in den anderen oben erwähnten Ländern. In einem Monat stiegen die neuen täglichen Todesfälle pro 100’000 Einwohner um 1,4%, was weniger als der europäische Anstieg (1,6%) ist. Das stärkste Wachstum verzeichneten erneut die Tschechische Republik (11%), Armenien und Belgien (6%).

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Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Warum wir bis auf Weiteres keine wöchentlichen Meldungen mehr zu den Infektionen mit dem Coronavirus publizieren.

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Reichen die neuen Massnahmen?

Seit dem Ausstieg aus dem Lockdown im Frühjahr hat sich die Schweizer Regierung im Vergleich zu den oben genannten Ländern für eher milde Massnahmen entschieden, wie der «Stringency IndexExterner Link» zeigt, der zu Beginn der Pandemie von der Universität Oxford entwickelt wurde und die «Strenge» von Massnahmen zur Bekämpfung von Covid-19 misst.

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Die Massnahmen des Bundes gelten für die ganze Schweiz. Die Kantone dürfen aber strengere Massnahmen ergreifen, was einige auch getan haben. Der Bund kündigte zwar am 18. Oktober eine erste Reihe restriktiverer Massnahmen zur Eindämmung des Virus an, aber die Situation verschlechterte sich in den darauffolgenden zehn Tagen.

Der Bundesrat kündigte daher an diesem Mittwoch eine Verstärkung seiner Strategie an: Ausweitung des Maskentragens vor allem im Freien, Einschränkungen für Versammlungen, geschlossene Discos und Nachtclubs, Schliessung der Restaurants und Bars um 23.00 Uhr, usw. Die Regierung hat ausserdem beschlossen, ab Montag Schnell-Screeningtests einzuführen, um positive Fälle schneller isolieren zu können. Bisher gehörte die Schweiz zu den Ländern mit den wenigsten Tests pro Einwohner.

Für einen Grossteil der Presse war es am Donnerstag «an der Zeit», dass der Bundesrat eingriff. Die ersten Auswirkungen dieser Massnahmen dürften jedoch erst in zwei Wochen spürbar werden. Und da mehrere europäische Länder in den letzten Tagen drastische Massnahmen ergriffen haben (Verbote, Ausgangssperren, totale Schliessung von öffentlich zugänglichen Einrichtungen usw.), erscheint der Schweizer Ansatz im internationalen Vergleich immer noch moderat.

«Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es mit diesen Massnahmen gelingen wird, das gegenwärtige exponentielle Wachstum zu stoppen, das für unser Gesundheitssystem sehr besorgniserregend ist», sagte der Epidemiologe Antoine Flahault, Direktor des Institute of Global Health an der Universität Genf, am Donnerstag gegenüber RTS.

Er räumte zwar ein, dass die derzeitige Reproduktionsrate niedriger ist als im März und dass die Massnahmen sicherlich nicht so stark sein müssten wie im Frühjahr. Aber er findet: «Was es jetzt braucht, sind Lockdown-Massnahmen wie Schliessung von Bars und Restaurants.» Und er weist auf Beispiele wie Irland und Wales, wo erneute Lockdowns wirksam gewesen seien.

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Der für Gesundheit zuständige Bundesrat Alain Berset verteidigt jedenfalls vorerst seine Strategie des regional differenzierten Vorgehens und weist den Vorwurf zurück, der Bundesrat habe zu spät reagiert. In einem am Freitag veröffentlichten Interview mit der NZZ sagte Berset: «Die Wissenschafter regieren nicht die Schweiz».

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