Daniel Koch, Mr. Coronavirus der Schweiz
Von den Deutschschweizern gelobt, im Tessin und der Westschweiz kritisiert. Daniel Koch ist das Gesicht der Schweiz im Kampf gegen das Coronavirus. Unermüdlich gestaltet und erklärt er die Strategie der Regierung. Ein Portrait.
Eine Krise kann eine der Öffentlichkeit bisher unbekannte Figur ins Rampenlicht rücken. In der Schweiz ist dies der Fall von Daniel Koch, unserem «Herrn Coronavirus», Leiter der Abteilung übertragbare Krankheiten des Bundesamtes für Gesundheit (BAG).
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Coronavirus: Die Situation in der Schweiz
Sein Gesicht ist nun in den Stuben aller Schweizer Bürger und Bürgerinnen, die ihre Augen auf den Fernseher richten, um die Entwicklung der Pandemie zu verfolgen. Koch ist die Brücke zwischen den eigenen vier Wänden und der Aussenwelt, er ist Gesprächspartner der Journalisten und die Stimme mit der schweren Aufgabe, den rasanten Anstieg der Zahl der Covid-19-Infektionen täglich zu verkünden.
Er ist es, der an der Front steht, um die Linie der Regierung zu verteidigen: keine totale Ausgangssperre, sondern Eigenverantwortung und Schweizer Bürgersinn, um der Pandemie Herr zu werden. Eine Strategie, die sich von derjenigen Italiens und Spaniens, wo sich das Virus ebenfalls besonders schnell ausbreitet, oder von derjenigen der Nachbarländer wie Frankreich und Österreich unterscheidet. Diese Staaten beschlossen – unter Androhung harter Strafen – strikte Ausgangssperren für ihre Bürgerinnen und Bürger.
>> Daniel Koch im «Rundschau talk» von SRF (18.03.2020)
An jeder Medienkonferenz beantwortet Koch unermüdlich stundenlang die Fragen der Journalisten und Journalistinnen – immer in demselben ruhigen Ton, auch wenn er sagen muss, dass «die Situation dramatisch ist». Eine Gelassenheit, die ihm das Lob der deutschsprachigen Medien eingebracht hat.
«Einem asketischen Meditations-Guru gleich scheint es ihm zu gelingen, den kollektiven Puls der Schweizer Bevölkerung um ein paar Schläge pro Minute auf ein erträgliches, gesünderes Mass zu senken», schreibt etwa die Berner Zeitung. «Blut, Schweiss und Tränen, das liegt ihm bei aller Dramatik der Ereignisse nicht. Nie würde er das Virus mit einem Krieg vergleichen, wie es der französische Präsident getan hat», stellte die Luzerner Zeitung fest.
Kochs Karriere lehrte ihn, wie er in turbulenten Zeiten einen kühlen Kopf bewahren kann. «Ich habe sehr viel Schlimmes gesehen», sagte der 64-jährige Arzt. Nach dem Medizinstudium in Bern arbeitete der Oberwalliser 15 Jahre lang für das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK).
Er arbeitete als medizinischer Koordinator und wurde insbesondere während des zehnjährigen Bürgerkriegs in Sierra Leone zwischen 1991 und 2002 mit menschlicher Grausamkeit konfrontiert.
«Es war ein besonders brutaler Krieg mit ganz üblen Taten. Hände wurden abgehackt, Kindersoldaten instrumentalisiert», sagte er der Tageszeitung Blick. Er kümmerte sich auch um die Opfer des Krieges in Uganda, und 1994 erlebte er von Südafrika aus den Völkermord in Ruanda.
Bevor er zu einer der exponiertesten Persönlichkeiten der Schweiz an der Spitze des Kampfes gegen Covid-19 wurde, machte sich Koch im Kampf des BAG gegen die SARS-Epidemie 2002/2003 und die Vogelgrippe H5N1 einen Namen – von der Öffentlichkeit kaum bemerkt. «Krisenerfahrungen helfen in dieser Situation sicherlich, ruhig zu bleiben», sagte er kürzlich in einem Interview.
In den kommenden Wochen, vielleicht Monaten, wird Koch seine Erfahrungen und Ressourcen mobilisieren müssen, um eine beispiellose Krise zu bewältigen, welche die Funktionsweise des Landes beeinträchtigt. Im Kampf gegen die Pandemie arbeiten er und sein siebenköpfiges Team Tag und Nacht, sieben Tage die Woche.
Der passionierte Canicrossler hat keine Minute mehr, um sich seinem Hobby zu widmen. Er musste seine beiden Hunde einer Pension anvertrauen, bis sich die Situation beruhigt hat, wie der Blick berichtete.
Der Vater von zwei Töchtern und seit kurzem auch Grossvater beruhigte in einem Interview mit dem Schweizer Fernsehen SRF die Zuschauer und Zuschauerinnen, die sich Sorgen machten, weil er blass und müde aussah: «Ich schlafe genug. Ich esse genug. Ich war immer schon mager.»
«Eine dramatische Inkonsequenz»
Der Druck auf den Schultern von Herrn Coronavirus ist gross: Zwar erhält er von den deutschsprachigen Medien viel Lob. Doch in den französischsprachigen Kantonen und im italienischsprachigen Tessin wird der Aktionsplan des BAG und der Regierung stark kritisiert. In der Westschweiz verlangen zahlreiche Stimmen eine totale Ausgangssperre. Bürger und Bürgerinnen haben gar eine Petition mit dieser Forderung lanciert.
Im Tessin, dem am stärksten von Covid-19 betroffenen Kanton, wurden Forderungen laut, wonach die Schweiz dem Beispiel Italiens folgen solle. Die Exekutive der Gemeinde Ascona sandte einen Brief an Daniel Koch.
Sie bemängelt, dass die Botschaft Kochs nicht klar sei, insbesondere wenn er erkläre, dass Abendessen mit Freunden in Gruppen von weniger als fünf Personen immer noch möglich seien. «Wir bitten Sie dringend, Ihre Aussagen zu überdenken und alle Schweizerinnen und Schweizer einzuladen, in ihren eigenen vier Wänden zu bleiben», so die Behörden des Dorfes.
Der Gesundheits-Aktionsplan der Schweiz stösst auch im Ausland auf Kritik. In Frankreich forderte das Departement Haute-Savoie den französischen Aussenminister auf, in dieser Angelegenheit dringend an die Schweizer Behörden zu gelangen. Die Schweiz gefährde die Departemente Aine und Haute-Savoie, in denen viele Grenzgänger leben.
Alle Anstrengungen seitens Frankreichs seien nutzlos, «wenn die Gesundheitspolitik auf der anderen Seite der Grenze absichtlich lax ist», sagte Loïc Hervé, ein Parlamentarier aus dem Wahlkreis des Departements Haute-Savoie in einem lokalen Radio. «Das ist eine dramatische Inkonsequenz.»
«Wir sind nicht in China»
Die von den Behörden ergriffenen Massnahmen offenbaren eine kulturelle Kluft: Während die lateinische Schweiz dazu neigt, eine strikte Ausgangssperre zu fordern, scheinen die Massnahmen den Deutschschweizern ausreichend zu sein.
«In der germanischen Kultur geht man davon aus, dass individuelle Verantwortung zu kollektiver Verantwortung führt. Das ist der Kultur des Südens, wo die Ordnung von oben kommen soll, fremd», analysiert der Historiker Olivier Meuwly in der Westschweizer Zeitung Le Temps.
Koch wird angesichts der Kritik nicht müde, die Strategie des Bundesrats zu erläutern. «Vielleicht werden wir die Massnahmen noch etwas verschärfen. Aber es ist nicht das Ziel, bis zur Ausgangssperre zu gehen», sagte er in der SRF-Sendung Rundschau.
Er vertraut auf die Disziplin der Schweizer und Schweizerinnen: «Die Massnahmen, die wir ergreifen, müssen im Einklang mit unserer Kultur, unserer Gesellschaft und unserer Demokratie stehen. Wir sind nicht China, und wir wollen kein totalitäres Regime werden».
Für den Moment scheint Herr Coronavirus zu überzeugen. Darauf lassen die Ergebnisse der am Dienstag vom Sotomo Institut veröffentlichten Umfrage schliessen. Sie zeigt, dass 63% der Schweizerinnen und Schweizer ihrer Regierung in diesen Krisenzeiten vertrauen. Wird Koch die letzte Mission seiner Karriere beenden? Der Mann, der am 13. April 65 Jahre alt wird, wollte eigentlich in Pension gehen. Doch die Ruhe wird wohl noch etwas warten müssen.
(Übertragung aus dem Französischen: Kathrin Ammann)
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