Dem Tourismus mit Innovationen Beine machen
Die schöne Schweizer Landschaft genügt nicht mehr, um Touristen anzuziehen. Jährlich pumpt die Regierung Millionen in Promotion und Belohnung von Innovationen im Tourismus. Ein Projekt in Graubünden soll die Bergbewohner freundlicher werden lassen.
Ein regionaler Verkehrsverein im Bündner Oberengadin hat ein Projekt entwickelt, das zum Ziel hat, den Bewohnern etwas mehr Wärme und Freundlichkeit im Umgang mit Gästen näherzubringen. Dies nachdem ein «Mangel an Freundlichkeit» festgestellt worden war – auch in St. Moritz.
«Zu Beginn mussten wir schon sehr proaktiv auf die Unternehmen und Hotels zugehen mit der Frage, ob wir dies mit den Mitarbeitenden tun können», sagt Eva Reinecke, Verantwortliche des Projekts ‹Herzlichkeit›. «Heute hingegen ist es so, dass die Unternehmen zu uns kommen.» Bis Ende Dezember 2012 dürften rund 1050 Leute das Coaching-Verfahren durchlaufen haben.
«Zu Beginn fanden die Leute, sie seien doch freundlich. Warum sollten wir ihnen also Freundlichkeit beibringen», sagt Fadri Cazin, einer der Projekt-Trainer. «Und am Ende des Seminars fanden sie dann doch, dass es wirklich noch einige Aspekte gebe, die verbessert werden könnten.»
Ob damit die touristischen Umsätze erhöht werden können, bleibt unsicher. «Wir können nicht versprechen, innert zehn Jahren zum Tal der Glücklichen zu avancieren», sagt Reinecke. «Doch wir möchten, dass sich alle, die mitgemacht haben, bewusst werden, wie mit Menschen umgegangen werden sollte.»
Die Engadiner Initiative war eines der über 90 Projekte, die für die bekannteste Schweizer Tourismusauszeichnung, den Milestone, vorgeschlagen wurden, erhielt aber keinen Preis. Diese jährlich verliehene Innovationsauszeichnung wird von der Wochenzeitung htr hotel revue, ihrem Verleger, dem Branchenverband hotelleriesuisse, und dem Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) organisiert.
Dabei umfasst das Kriterium für die Innovation «einen Initiator, der einen Bereich umgestaltet und etwas Neues entwickelt, das dann von anderen übernommen wird», sagt Jürg Stettler, Leiter des Instituts für Tourismuswirtschaft ITW an der Hochschule Luzern und 2012 Milestone-Jurymitglied. Laut Stettler kommen die erfolgreichen Tourismusprojekte aus dem Privatsektor.
2008 bis 2011
Logiernächte in der Schweiz: -4,9%
Logiernächte in der gesamten Schweizer Alpenregion: -9,6%
Logiernächte von Schweizer Touristen: -0,5%
Logiernächte von Touristen aus Europa (Schweiz nicht inbegriffen): -15,6%
Logiernächte von Touristen aus Übersee: -8,2%
(Quelle: Bundesamt für Statistik, BFS)
Unter Druck
Aber auch die Politik spielt eine Rolle im Tourismus, in erster Linie über die Finanzierung. Das Jahresbudget 2012 für die Landespromotions- und Vermarktungs-Institution «Schweiz Tourismus» betrug 99,4 Mio. Franken. Und es gibt Parlamentarier, die den Innovations-Beitrag gerne aufstocken, ja sogar verdoppeln möchten. Zur Zeit beträgt er 5 Millionen jährlich für die Periode 2012 bis 2015.
«Die Fremdenverkehrsbranche in der Schweiz steht heute nicht nur wegen dem starken Franken unter Druck, sondern auch wegen der starken Konkurrenz, die sich aus der Globalisierung ergibt», sagt Richard Kämpf, Tourismuschef im Seco.
Doch ist es nicht zum ersten Mal, dass der Tourismussektor derart herausgefordert ist: Das letzte Mal Mitte der 1990er-Jahre ergab sich eine ähnliche Krise. «Seither hat der Sektor die Notwendigkeit eingesehen, dass in die Qualität des Angebots, in Innovation und das Lancieren neuer Projekte investiert werden muss», sagt Kämpf. Dies führte vor 17 Jahren zum touristischen Förderprogramm InnoTour des Seco und zur Schaffung des Milestone-Preises vor 13 Jahren.
Die Auszeichnung steht für Erneuerung, Promotion von Wissenstransfer, Attraktivität der Schweiz als Tourismusdestination sowie Image-Förderung für das Tourismusgeschäft.
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Fussball-Projekt
Auf eine ganz andere Art von Innovation als die Engadiner Freundlichkeits-Initiative fokussierte ein Projekt im Zentralschweizer Weggis, das 2006 von Milestone ausgezeichnet wurde. Die Weggiser gaben sich alle erdenkliche Mühe, die bekannte brasilianische Fussball-Crew für das Weltmeisterschafts-Trainingscamp zu sich zu holen.
Die Bemühungen waren von Erfolg gekrönt: Es resultierten 35’000 Logiernächte, eine geschätzte Erhöhung des Bekanntheitsgrades im Wert von 100 Mio. Franken sowie Live-Übertragungen durch mehr als 900 Journalisten aus der ganzen Welt, wie Eventmanager Markus Wolfisberg erzählt.
Er führt den Erfolg «auf die Leute zurück, die bereit waren, etwas innert kürzester Zeit auf die Beine zu stellen». So hätten sie in wenigen Stunden Geld aufbringen müssen, damit das Team untergebracht werden konnte. «Innerhalb von zehn Minuten sassen der Bürgermeister und der Präsident des Fussballclubs bei uns am Sitzungstisch.»
Das Weggiser Familienunternehmen Thermoplan war bereit, das Hauptsponsoring zu übernehmen. Innerhalb von vier bis fünf Monaten wurde ein Stadion gebaut. «Es ging nicht mehr schweizerisch zu und her», so Wolfisberg.
Das Stadion wird seither für weitere Fussball-Wettkämpfe und fürs Fernsehen genutzt, und die Gästezahlen aus Südamerika, speziell aus Brasilien, haben zugenommen. «Dort haben wir den Fuss in der Tür.» Hätte Brasilien die Weltmeisterschaft gewonnen, wäre Weggis heute ein Pilgerort, so Wolfisberg. «Das ist es leider nicht geworden.»
2011 kamen 44,4% der Touristen aus der Schweiz
39,8% aus Europa (Schweiz nicht inbegriffen)
8,3% aus Asien
6% aus Nordamerika
0,8% aus Afrika
0,8% aus Australien und Neuseeland
Innovationsfaktoren
Schnell reagieren zu können, ist ein Innovationsaspekt. Laut Kämpf ist es für einen kleinen Familienbetrieb «einfacher, rasch zu handeln und nahe bei den Bedürfnissen der Kunden zu sein». Aber es sind nicht nur Kleinbetriebe oder ländliche Betriebe, die innovativ sind. «Die Städte sind hier sehr wichtig betreffend Innovationen», sagt Kämpf.
«Denn wenn die Hotelketten, die sich fast ausschliesslich in den grossen Städten befinden, neue Ideen oder Geschäftsmodelle im Tourismus einführen, beginnen die Hotels in eher ländlichen, alpinen Regionen, diese nachzuahmen. Sie profitieren von den neuen Ideen, die in den eher städtischen Gebieten entwickelt werden.“
Langfristige Auswirkungen
Die Bereitschaft zu Innovationen nimmt zu. «Wahrscheinlich ist es nicht möglich, die Auswirkungen der Innovationen zu quantifizieren», sagt Jürg Stettler. «Um wettbewerbsfähig zu bleiben ist meiner Meinung nach der Innovationsfaktor heute sehr wichtig und wird es auch in Zukunft bleiben. Und je härter die Zeiten werden, desto wichtiger sind wahrscheinlich Innovationen.»
Kämpf ist auch der Ansicht, dass Innovationen langfristig ein wichtiger Faktor im Schweizer Tourismusarsenal bleiben werden. «Innovationsförderung und neue Projekte beanspruchen viel Zeit», sagt er. «Auf der anderen Seite ist das die einzige Chance, auf lange Sicht zu reagieren. Man muss entweder in die Qualität oder in die besten Verkaufsargumente oder in neue Märkte investieren. Man kann nicht einfach warten und hoffen, dass der starke Schweizer Franken eines Tages wieder schwächer wird.»
Am 10. Dezember 2012 lehnte der Ständerat, die kleine Kammer des Schweizer Parlamentes, eine Motion mit 22 zu 18 Stimmen ab, in der zusätzliche 12 Millionen Franken zugunsten der nationalen Tourismus-Marketing-Organisation Schweiz Tourismus gefordert wurden, um in neue Märkte zu expandieren. Der Nationalrat, die grosse Parlamentskammer, hatte der Motion vorher zugestimmt.
(Übertragung aus dem Englischen: Alexander Künzle)
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