Dem Wolf geht’s an den Kragen
Die Regierung des Kantons Wallis hat im Gebiet Montana-Varneralp einen Wolf zum Abschuss freigegeben, der Schafe und Rinder gerissen hat. Tierschützer sind über diese Entscheidung empört.
Schafe reissende Wölfe sind im Wallis nichts Neues. Im Juli griff ein Wolf aber auf der Varneralp ein rund 200 Kilogramm schweres Rind von hinten an und frass es bis zur Hälfte auf.
Dies war das erste Mal, dass in der Schweiz ein Wolf ein Rind tötete. Kälber wurden dagegen schon öfter Opfer des in der Schweiz geschützten Raubtiers.
Ein paar Tage danach griff der Wolf erneut ein Rind an. Das Tier konnte schwer verletzt fliehen. «Die festgestellten Rissmuster lassen auf den Wolf als Verursacher dieser Angriffe schliessen», schreibt die Walliser Regierung. Die bisherige Bilanz: zwei Tote und ein schwer verletztes Rind.
Eine interkantonale Kommission hat eine Schadensbilanz zu diesen Ereignissen erstellt. An einer Sitzung vom 29. Juli zwischen Bund und Kanton sei festgestellt worden, dass es keine angemessenen Massnahmen gebe, um Rinder vor Wolfsangriffen zu schützen, heisst es.
Aufgrund dieser Erkenntnis kamen die Verantwortlichen des Kantons und des Bundes zum Schluss, «dass eine Abschussbewilligung zur Verhinderung weiteren Schadens in Betracht gezogen werden kann».
Darauf ordnete der zuständige Staatsrat Jacques Melly den Abschuss eines Wolfes im Gebiet Montana-Varneralp an.
Die Anordnung der Wolfsabschussbewilligung wird im nächsten Amtsblatt publiziert. Die Bewilligung gilt für 60 Tage und wird von der Dienststelle für Jagd, Fischerei und Wildtiere (DJFW) überwacht.
Eingeschränkte Gebiete
Laut der Walliser Regierung konzentrieren sich die zu ergreifenden Massnahmen vorerst auf die Gebiete der bisherigen Wolfsangriffe. «Im Bedarfsfall können diese jedoch auf den gesamten, durch die Abschussbewilligung definierten Perimeter, ausgeweitet werden.».
In den letzten zehn Jahren wurde im Wallis praktisch jedes Jahr mindestens ein Wolf zum Abschuss freigeben. 1999 war ein Wolf angeblich bei Schneeräumungsarbeiten überfahren und getötet worden.
Entschädigungen
Jährlich töten Wölfe in der Schweiz ungefähr 200 Schafe, allerdings mit grossen Unterschieden: Die Zahl variiert seit 1999 zwischen weniger als 20 und bis zu 350. Deutlich mehr der insgesamt 250’000 Schafe auf Schweizer Alpen sterben an Krankheiten, Unfällen oder Abstürzen: Es dürften 50 Mal mehr sein, nämlich rund 10’000.
Schäden durch Wölfe werden gemeinsam vom Bund und von den Kantonen entschädigt. Der Bund engagiert sich aber auch für den Schutz der Herden. Dafür gibt er im laufenden Jahr 830’000 Franken aus. Der Kauf eines Schutzhundes wird mit 500 Franken unterstützt ,und für seinen Unterhalt gibt es jährlich noch einmal 1000 Franken.
Eine zentrale Stelle (agridea) koordiniert den Herdenschutz. Sie empfiehlt nebst Schutzhunden und Hirten auch Zäune oder Esel, seit neuestem können auch Zivildienstler die Hirten unterstützen. Zur Umsetzung ist der Bund aber auf die Zusammenarbeit mit den Kantonen angewiesen.
Empörte Tierschützer
Der Entscheid der Walliser Regierung wird vom WWF Schweiz heftig kritisiert. Er bemängelt, dass derzeit noch nicht einmal das Resultat einer DNA-Analyse vorliege. Das Vorgehen sei also übereilt.
«Mit der Flinte lassen sich keine Probleme lösen», sagt Kurt Eichenberger, Grossraubtierexperte des WWF Schweiz. Die Tierschutz-Organisation ist der Ansicht, das Wallis verfolge punkto Wolf vor allem eine Abschuss-Politik, doch die führe in eine Sackgasse. Dem Kanton wird vorgeworfen, die Rinder und Schafe in den Alpen in den letzten Jahren zu wenig geschützt zu haben.
«Das Wallis sollte sich besser um einen ausreichenden Herdenschutz kümmern. Andere Kantone wie Waadt und Bern zeigen, dass das sehr gut funktioniert», sagt Eichenberger.
Auch der Verein Wildtierschutz Schweiz äussert sich entsetzt. «Gemäss geltendem Recht ist der Wolf eine streng geschützte Tierart. Abschüsse sind per Gesetz nur in Ausnahmefällen, bei besonders Schaden stiftenden Tieren erlaubt.»
Aber leider sei die Ausnahme in der Schweiz längst die Regel. Die Schweiz habe eine der höchsten Wolfsabschussquoten Europas, höher als in den meisten Ländern, in denen der Wolf jagdbar sei.
Eine Abschussbewilligung für Wölfe wird laut Gesetz dann erteilt, wenn er in einem Monat mindestens 25 Schafe reisst oder innert vier Monaten 35.
«Deshalb wurden im Wallis bereits mehrere Tiere gejagt und getötet – dies, obwohl der Wolf seit 1988 nach nationalem Gesetz und internationalen Abkommen (Berner Konvention) zu den streng geschützten Tieren zählt», schreibt der Verein Wildschutz.
Noch keine Rudel
Das Bundesamt für Umwelt (Bafu) schätzt den gegenwärtigen Wolfsbestand in der Schweiz auf 15 bis 20 Tiere, die sich vor allem im Alpenraum bewegen, vornehmlich in den Kantonen Bern, Freiburg Waadt, in Ob- und Nidwalden, Luzern, Wallis, Tessin und Graubünden.
Man weiss, dass vor allem junge Männchen in die Schweiz eingewandert sind. Beim Bafu ist man überzeugt, dass eine Rudelbildung unmittelbar bevorstehen könnte. Es müsse sich bloss ein Paar finden.
swissinfo.ch und Agenturen
Im September 1995 wird in der Schweiz das erste Mal die Anwesenheit von Wölfen nachgewiesen. Die zwei männlichen Tiere stammten aus Italien und hatten im Juli etwa 70 Schafe getötet.
Seit 1998 tritt der Wolf regelmässig in der Schweiz auf. Er wandert aus Italien ein ins Wallis, Tessin und den Kanton Graubünden.
November 2008 wurde ein Wolf im Münstertal im Kanton Graubünden entdeckt. In jenem Jahr identifizierten die Behörden in der Schweiz rund 15 Tiere.
In einer Umfrage vom Dezember 2008 sprechen sich 80% der Bevölkerung in der Schweiz für eine Rückkehr des Wolfes aus.
2009: Wölfe haben in der Schweiz mehr als 100 Schafe und zwei Ziegen angegriffen.
Juli 2010: Drei Rinder werden in Crans-Montana (Wallis) angegriffen.
6. August 2010: der Walliser Staatsrat stellt eine auf 60 Tage befristete Genehmigung für den Abschuss dieses Wolfes aus.
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