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Der Mathematiker hinter Alinghi

Die Alinghi 5, ein Boot der Superlative. Keystone

Der America’s Cup ist neben dem sportlichen Wettkampf auch eine Materialschlacht auf höchstem Niveau. Für die optimalen Strömungseigenschaften des Alinghi-Bootes ist die ETH Lausanne als wissenschaftlicher Partner zuständig. Der Mann hinter diesem Projekt: Mathematikprofessor Alfio Quarteroni.

Nun, da alle juristischen Klippen überwunden waren und der Wettkampf zwischen dem Team Alinghi und Herausforderer BMW Oracle am Montag tatsächlich hätte beginnen sollen, wurde das erste Kräftemessen wegen fehlender Winde auf Mittwoch verschoben.

Auch in Lausanne wird man am Mittwoch gebannt nach Valencia schauen, denn die Eidgenössische Technische Hochschule Lausanne (ETHL) ist an vorderster Front am Alinghi-Projekt beteiligt.

Insgesamt arbeiten sechs wissenschaftliche Institute der ETH Lausanne an der Entwicklung des Alinghi-Bootes mit.

Nach zwei noch recht traditionellen Jachten in den Wettkämpfen von 2003 und 2007 kommt in diesem Jahr der vollkommen neuartige Katamaran zum Einsatz, um an der «Formel 1 der Meere» teilzunehmen, wie die ETHL auf ihrer Homepage schreibt.

Die Zusammenarbeit zwischen dem Team Alinghi und der Hochschule begann im Jahr 2001. Alinghi-Patron Ernesto Bertarelli wandte sich höchstpersönlich an die ETHL, um eine wissenschaftliche Beratung in Anspruch zu nehmen.

Der damalige Rektor erkor das Institut für Materialwissenschaften sowie das Institut für numerisches Rechnen zu Partnern.

Herausforderung für Wissenschafter

«Es war ein grossartiger Moment, aber es machte unseren Mitarbeitern auch etwas Angst», erinnert sich Alfio Quarteroni (57), der als Professor für wissenschaftliches Rechnen (Modelling and Scientific Computing) an der ETHL seither das Alinghi-Projekt begleitet. Denn Wissenschafter sind es nicht unbedingt gewohnt, an sportliche Wettkämpfe und deren Fristen gebunden zu sein.

Der Italiener Quarteroni ist spezialisiert auf Computational Fluid Dynamics (CFD), eine Simulationssoftware für die virtuelle Darstellung von strömungstechnischen Vorgängen. Damit vermag er unter anderem, die Wellenerzeugung an der Grenzfläche von Luft und Wasser zu modellieren und die Fluid-Struktur-Wechselwirkung der Segel zu simulieren.

Die Simulationen sind wichtig, weil Forschungen im Windkanal oder im Wasser extrem aufwendig und kostspielig sind. Hingegen kann man mit den Erkenntnissen aus den Berechnungen ein Design optimieren, bevor es schliesslich unter realen Bedingungen eingesetzt wird.

Hunderte von Millionen von Rechenoperationen werden durch Supercomputer ausgeführt, um das Optimum zu erreichen. «Für eine Simulation des Windwiderstands der Segel braucht es mehr Recheneinheiten als für eine dreitägige Wettervorhersage für ganz Italien», so Quarteroni.

Neue Dimension mit Alinghi 5

Kommt Quarteroni auf den neuen Katamaran Alinghi 5 zu sprechen, verrät er wohl nicht alle Details. Doch schon jetzt sagt er: «Dieses Gefährt hat mit den Jachten von 2003 und 2007 nur noch sehr wenig zu tun.»

Allein der Hauptmast ist mit rund 60 Metern praktisch doppelt so hoch wie beim Alinghi-Boot von 2007. Entsprechend grösser sind auch die Segel. Die Segelflächen weisen eine Fläche von bis zu 1000 Quadratmetern auf. «Der Katamaran kann die doppelte Geschwindigkeit der letzten Alinghi-Jacht erreichen», so Quarteroni.

Die Dimensionen dieser neuen Generation an Rennbooten sprengen alle bisherigen Grössenordnungen. Bekanntlich musste für den Transport des gigantischen Katamarans vom Genfersee nach Genua ein russischer Spezialhelikopter gemietet werden.

Sport und Technik

Quarteroni ist nicht nur ein hervorragender Mathematiker, sondern auch ein guter Referent. Häufig hält er Vorträge, um Schulklassen oder ein breites Publikum für die Wechselwirkung zwischen «Mathematik und Alinghi» oder ganz allgemein zwischen «Mathematik und Sport» zu begeistern, wohl wissend, dass Mathematik nicht gerade eine der beliebtesten Disziplinen ist.

Zu einem öffentlichen Vortrag, den er soeben am nationalen Jugendsportzentrum in Tenero im Kanton Tessin hielt, strömten mehr als 300 Personen. Immer wieder wird Quarteroni bei diesen Begegnungen mit der Frage konfrontiert, ob bei Wettkämpfen wie dem America’s Cup am Ende die Sportler oder die Technologie ausschlaggebend seien und ob dieses Aufrüsten beim Material überhaupt noch Sinn mache.

Für Quarteroni ist klar, dass der Hochleistungssport heute ein ideales Experimentierfeld der Forschung ist. Wenn man neue Materialen gleich auf dem Markt einführe, sei ein grosses Risiko gegeben, wenn dieses Material versage. Im Sport sei das Risiko geringer. Aus diesem Grund werde beispielsweise auch in die Forschung bei der Formel1 investiert.

Dass man immer das optimale Material suche und sich verbessern wolle, sei ein Wesensmerkmal menschlicher Entwicklung. Alfio Quarteroni: «Auch die Sprinter laufen heute nicht mehr mit den Schuhen von vor 100 Jahren.»

Gerhard Lob, Tenero, swissinfo.ch

Der italienische Mathematiker wurde am 30. Mai 1952 geboren. Er studierte in Pavia und Paris.

Heute lebt er in Lodi (Italien), ist verheiratet und Vater zweier erwachsener Töchter.

Er war zuerst Professor für Mathematik an der Katholischen Universität von Brescia und später an der Universität von Minnesota in Minneapolis (USA).

Seit Juli 1998 ist er Professor für «Modelling and Scientific Computing» an der ETH Lausanne. Zugleich bekleidet er die Professur für «Modelling and Scientific Computing» am Polytechnikum von Mailand und ist Direktor des dortigen Mathematik-Instituts MOX.

Als Mathematiker und Spezialist für Strömungstechnik an der ETHL hat er aktiv mit seinem Team an der Entwicklung der beiden Alinghi-Boote mitgewirkt, die 2003 und 2007 den America’s Cup gewannen.

Quarteroni ist Autor von rund 20 wissenschaftlichen Büchern und mehreren Hundert Fachartikeln.

Zudem hält er regelmässig Vorträge. Er erhielt einen Ehrendoktor als Ingenieur für Schiffbau von der Universität Triest.

Die Eidgenössische Technische Hochschule Lausanne (ETHL/EPFL) entwickelte die Spitzentechnologie, die es dem Alinghi-Team ermöglichte, den America’s Cup 2003 und 2007 zu gewinnen.

Die Projekte umfassten die Herstellung eines Segelbootrumpfs, die Analyse und die Computersimulation der Segel, die Darstellung der Strömungsdynamik anhand eines Modells, die Entwicklung intelligenter Materialien sowie die Routenplanung.

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