Der Schwingerkönig ist auch Sponsoring-König
Am Unspunnen-Schwingen in Interlaken vom Sonntag ist Schwingerkönig Kilian Wenger Mit-Favorit. Sein Sieg am "Eidgenössischen" 2010 machte den 21-jährige Berner auch zum König punkto Werbeeinnahmen, und vergrösserte den Hype um die urschweizerische Sportart.
Das Unspunnen-Schwingen im Berner Oberland, der älteste Sportanlass der Schweiz, ist der diesjährige Saisonhöhepunkt der starken Männer im Sägemehlring.
Vor den 15’000 Zuschauern brennt Kilian Wenger aus dem Weiler Horboden im Diemtigtal darauf, seine im letzten Jahr errungene Krone des Schwingerkönigs zu bestätigen.
Ein Sieg im Berner Oberland gilt fast noch mehr als jener am Eidgenössischen Schwingfest: Während der Schwingerkönig alle drei Jahre gekürt wird, findet der Unspunnen-Schwinget nur alle sechs Jahre statt.
An beiden Festen winkt dem Sieger ein Stier, der traditionelle «Sieger-Muni» – ein Fleischberg, der sich beim Metzger in klingende Münze umwandeln lässt.
Neue Sponsoring-Dimensionen
Gewinnt Kilian Wenger, wäre für ihn der Ertrag aus dem Koloss namens «Helveticus» aber kaum mehr als willkommenes Zugeld. Als erster seiner Zunft kann er seine Königswürde richtig versilbern.
Die Migros fungiert bis 2013 als persönlicher Hauptsponsor Wengers. Die Nummer 1 des Schweizer Detailhandels konzentriert sich aber nicht nur auf die Nummer 1 im Sägemehlring, sondern tritt seit 2007 grossflächig als Hauptsponsor im Schwingen auf, an den «Eidgenössischen» wie auch an regionalen Festen.
Ohne geht nichts mehr
«Dies schafft eine Win-win-Situation», sagt Christoph Wyss, zusammen mit Rudolf Gallati Autor des Buches «Das Unspunnen: die Geschichte der Alphirtenfeste» (Interlaken 1993, Neuauflage 2005). Auf der einen Seite könnten Grossanlässe wie der Unspunnen-Schwinget mit einem Budget von zwei Millionen Franken ohne Grosssponsor gar nicht mehr durchgeführt werden, sagt Wyss.
Auf der anderen Seite biete das Schwingen Unternehmen wie der Migros eine geeignete Plattform, um Werte wie Swissness, Regionalität und Nachhaltigkeit zu transportieren.
Notwendig für diesen Imagetransport sind die Medien. Sie, insbesondere das Schweizer Fernsehen, tragen wesentlich zum Boom des Schwingens bei. Wie schon bei den letzten «Eidgenössischen» können Schwingfans den Unspunnen-Schwinget in einer mehrstündigen Live-Übertragung am Bildschirm verfolgen.
Dauerpräsenz
Kilian Wenger repräsentiert weiter Opel, die Region Jungfrau und John Deere. Sechs weitere Unternehmen und Organisationen unterstützen den Modellathleten als Partner. Exakte Zahlen bleiben Geschäftsgeheimnis. Insider aber haben seinen «Karrierewert» schon mal auf eine Million Franken geschätzt.
Doch was die Präsenz in der heimischen Öffentlichkeit betrifft, hat der Schwingerkönig mit «King Roger» Federer mindestens gleichgezogen. In TV-Spots liefern sich Wenger und sein von ihm entthronter Vorgänger Jörg Abderhalden Duelle mit Grillgut aus dem Kühlregal des Grossverteilers. Von der Plakatwand preist Wenger mit breitem Lächeln die Jungfrau-Region. Die Etablierung der Marke Wenger gelang innert Jahresfrist.
Professionell wie die Ski-Stars
Das Schweizer Fernsehen, das Wenger über mehrere Monate begleitet hat, zeigt ihn ausgiebig in seiner Trainerjacke, von der die Aufschriften und Logos seiner Sponsoren prangen, wie wir es von den Ski-Assen Didier Cuche, Carlo Janka und Lara Gut gewohnt sind.
Schwingerkönig Wenger steht für die Wandlung des Schwingens vom rauen Kräftemessen der Älpler zum hochkomplexen Leistungssport. Dessen Grundlagen sind Kraft, Explosivität, aber auch Ausdauer und Koordination. Beherrscht wird der Sägemehlring heute vom Typ «Zehnkämpfer», wie ihn Wenger idealerweise verkörpert.
Dazu kommt die eigentümliche Charakteristik des Schwingens: Im Ring geht es hart und kompromisslos zur Sache. Sieger ist, wer den Gegner auf den Rücken wirft.
Wertekanon unangetastet
Mindestens ebenso wichtig sind aber die ungeschriebenen Gesetze: Anstand, Kameradschaft, Fairness, Respekt. Was für die Schwinger gilt, gilt uneingeschränkt auch für die Zuschauer. Pöbeleien oder Schlägereien unter den meist Zehntausenden Festbesuchern gibt es nicht, trotz oft reichlichem Alkoholgenuss. Von solcher Atmosphäre können Fussball- und Eishockeyclubs nur träumen.
In der Person Kilian Wengers vereinen sich individuelle Eigenschaften mit den Werten der Sportart. Multipliziert mit einer extra Portion Swissness, resultiert daraus das Potenzial Wengers als Werbeträger und eigene Marke.
Befürchtungen, der Wertekanon der Schwingfeste werde durch die Sponsorengelder ausgehöhlt, sind – bis jetzt – fehl am Platz. Die Regeln des Eidgenössischen Schwingerverbandes (ESV) sind strikt: Werbung hat auf dem Schwingplatz nichts zu suchen. Dies gilt für das Tenue der Schwinger wie für das der Kampfrichter. Banner sind ebenso verbannt wie Durchsagen via Lautsprecher.
Werbung ausserhalb der Arena ist erlaubt, aber genauestens reglementiert. Verstösse werden mit Bussen oder gar Sperre geahndet. «So bleiben die Zuschauer auf das Wesentliche konzentriert, das Schwingen», lobt der Schwing-Historiker Christoph Wyss die Praxis des Verbands.
Ein guter Sponsoring-Partner präsentiere ein zurückhaltendes Konzept, weil er wisse, dass übertriebene Werbepräsenz auch kontraproduktiv sein könne, betont Wyss.
Verlierer des Erfolgs
Der Boom macht alle zu Gewinnern – Schwinger, Jungschwinger, Veranstalter, Sponsoren und Medien. Dennoch gibt es auch Opfer des Erfolgs: Interessierte von ausserhalb der Szene haben kaum eine Chance, sich je selbst von der sprichwörtlichen Bombenstimmung in einer Schwingarena anstecken zu lassen.
Da die Tickets fix den regionalen Verbänden zugeteilt werden, kommt nur der treue Anhang dieser Teilverbände zum Handkuss.
Das Schwingfest findet am Sonntag, den 4. September statt.
Um den Sieger-Muni, den Stier «Helveticus», kämpfen in Interlaken die 120 besten Schwinger der Schweiz.
Das Fest bildet zusammen mit dem Eidgenössischen Schwingfest und dem Kilchberger Schwingen (Kanton Zürich) den «Grand Slam» des Schwingens.
Alle 15’000 Plätze in der Arena sind seit langer Zeit ausverkauft, 5000 Personen können das Geschehen vor Ort im Public Viewing verfolgen.
Mit der ersten Austragung 1805 ist das Unspunnenfest der älteste Sport-Grossanlass der Schweiz.
Insgesamt gab es bisher erst sieben weitere Unspunnenfeste (1808, 1905, 1955, 1968, 1981, 1993 und 2006).
Die mehrtägigen Unspunnenfeste mit Schwingern, Steinstössern sowie Trachtenleuten, Alphornbläsern und Jodlern finden im Turnus von rund 12 Jahren und vor jeweils über 60’000 Zuschauern statt.
Dazwischen gibt es als kleineres, eintägiges Format den Unspunnen-Schwinget (Ausgabe 2011), an dem neben den Schwingern nur noch die Steinstösser im Einsatz sind.
Der Anlass war von Stadtberner Patriziern gegründet worden, um die Oberländer Bevölkerung nach dem Einmarsch Napoleons und der Helvetik wieder näher an sich zu binden.
Von Anfang an waren aber auch wirtschaftliche Interessen im Spiel, gilt doch das Fest 1805 als Startschuss für den Tourismus im Berner Oberland. Zielpublikum war auch eine vornehme Klientel aus Europa.
Der Stein, der 1805 beim ersten Fest gestossen wurde, ist nicht mehr auffindbar.
Der heutige Unspunnenstein, mit dem sich die stärksten Männer im Weitwurf messen, ist 83,5 Kilogramm schwer.
Der Rekord von Markus Maire aus dem Kanton Freiburg liegt bei 4,11 Metern.
Der Originalstein, der 1808 zum Einsatz kam, wurde 1984 von jurassischen Separatisten gestohlen.
2001 tauchte der Stein im Kanton Jura wieder auf, wurde aber 2005 erneut gestohlen, vermutlich wiederum von jurassischen Aktivisten.
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