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Statistik: Schweiz immer noch hinter den westeuropäischen Ländern bei LGBTIQ-Rechten

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Obwohl die Schweiz im Jahr 2021 die gleichgeschlechtliche Ehe legalisiert hat, hinkt sie beim Schutz der Rechte von LGBTIQ-Personen dem Gros der westlichen Länder immer noch hinterher. Eine Bilanz.

Bei den LGBTIQ-Rechten schafft es die Schweiz auf Rang 20 von 49. Zu diesem Ergebnis kommt die Untersuchung «Rainbow Map & Index 2023», die in den 49 europäischen Ländern das Ausmass der Gleichstellungsgesetze sowie -politik verglichen hat.

Die Schweiz kommt im Index auf einen Wert von 47%, sie liegt damit noch knapp unter dem EU-Durchschnitt (48%). Sie reiht sich ein zwischen Österreich (49,08%) und Slowenien (45,88%).

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Im Index belegt Malta mit 89,29 % den ersten Platz. Der kleine Inselstaat erreichte 100% bei den Gleichstellungsrechten, dem Recht auf Familiengründung und dem Schutz von LGBTIQ-Flüchtlingen.

Es folgen Belgien, Dänemark, Spanien und Island. Es gibt in der Rangliste eine geographische Tendenz. So finden sich an der Spitze der Rangliste keine osteuropäischen Länder.

IGLA Europe, ein nichtstaatlicher Dachverband, der LGBTIQ-Organisationen in europäischen und zentralasiatischen Ländern vereint, hat 49 europäische Länder zu ihren Gesetzen und Strategien befragt.

Dies in sieben Kategorien: Gleichstellung und Nichtdiskriminierung, Familie, Hassreden und Hassverbrechen, rechtliche Anerkennung des Geschlechts, körperliche Unversehrtheit von Intersexuellen, zivilgesellschaftliche Räume und Asyl.

Sie bewertete den Grad der Umsetzung auf einer Skala von 0-100%.

In diesem Index, der jährlich veröffentlicht wird, hat die Schweiz ihren prozentualen Anteil zuletzt schrittweise erhöht,. Ihr Rang blieb jedoch gegenüber dem Mittelwert weitgehend unverändert.

Wo hat die Schweiz gut abgeschnitten?

Die Schweiz schneidet in allen Kategorien ähnlich gut ab wie die EU. Der grösste Unterschied besteht jedoch bei der rechtlichen Anerkennung des Geschlechts. Der Bericht lobt insbesondere die Umsetzung des revidierten Zivilgesetzbuchs im Januar 2022.

Dadurch ist es für queere Menschen viel einfacher geworden, ihr administratives Geschlecht und ihren Vornamen zu ändern (Minderjährige benötigen dafür die Zustimmung eines Elternteils oder Erziehungsberechtigten).

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Allerdings können nur die Geschlechter «männlich» und «weiblich» ausgewählt werden, und es gibt keine Option für ein so genanntes drittes Geschlecht, z.B. «Nicht-Binär”.

Der Bundesrat hält in einer MitteilungExterner Link aus dem Jahr 2022 fest, dass es aktuell keine gesellschaftlichen Voraussetzungen für ein offizielles drittes Geschlecht gibt. Auch würde die Einführung eines solchen weitreichende rechtliche Anpassungen nach sich ziehen.

Auch der Schutz von Rechten in zivilgesellschaftlichem Rahmen, dazu gehört etwa die Versammlungsfreiheit, wurde mit 100% bewertet.

Die Pride-Parade, die der Bericht als «auch in Zukunft zentral” für die LGBTIQ-Bewegung bezeichnet, wurde für ihre landesweite Verbreitung gelobt, nicht nur in Zürich und Lausanne, sondern auch in kleineren Städten wie Chur und Bulle.

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«Prides de nuit» fand erstmals 2022 in Lausanne statt. © Keystone / Gabriel Monnet

Der Bericht stellt fest, dass in einigen Ländern wie Belarus LGBTIQ-Aktivist:innen verhaftet und die Büros von LGBTIQ-Organisationen angegriffen wurden.

Demgegenüber bewertet der Bericht die Situation in der Schweiz positiv. Aktivist:innen würden nicht wegen ihrer Menschenrechtsarbeit eingeschüchtert und kriminalisiert, und es gebe keine Gesetze, wie etwa das Anti-Homosexualitätsgesetz, welche die Meinungsfreiheit beeinträchtigen.

Woran mangelt es der Schweiz?

Ein Bereich, in dem die Schweiz hingegen weit hinterherhinkt, ist die Bekämpfung von Hassreden und Hassverbrechen. Zwar wurde die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung 2020 unter Strafe gestellt, die Strafnorm schliesst aber andere Konzepte wie insbesondere die Geschlechtsidentität nicht ein.

Der Bericht stellt fest, dass Hassverbrechen in der Schweiz zunehmen und es keinen Aktionsplan der Regierung zur Bekämpfung dieser Diskriminierung gibt.

Daher schlägt er vor, dass die Schweiz «Gesetze gegen Hassreden und Hassverbrechen einführen sollte, die ausdrücklich alle durch Vorurteile motivierten Verbrechen auf der Grundlage von SOGIESC (sexuelle Ausrichtung, Geschlechtsidentität, Geschlechtsausdruck und Geschlechtsmerkmale) abdecken». Ausserdem solle sie Massnahmen zur Bekämpfung von Hassverbrechen umsetzen.

Die «Unverletzlichkeit des Körpers» von intersexuellen Menschen wurde ebenfalls zu null Prozent erfüllt. So stellt der Bericht fest, dass medizinische Eingriffe an Minderjährigen ohne informierte Einwilligung der Patientin oder des Patienten nicht gesetzlich verboten sind und dass es kein System gibt, um zu überprüfen, ob solche Eingriffe vorgenommen werden.

Griechenland, das in diesem Bereich 100% erreicht hat, hat im vergangenen Jahr die nicht einvernehmliche Operationen an intersexuellen Kindern verboten. Ärzten, die intersexuelle Menschen unter 15 Jahren operieren, drohen Geld- und sogar Gefängnisstrafen.

Im Flüchtlingswesen bemängelt der Bericht, dass das schweizerische Gesetz die sexuelle Orientierung nicht als Kriterium für das Recht auf Asyl vorsieht.

Das Staatssekretariat für Migration (SEM) stellt festExterner Link, dass die «Opfer sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität» in eine der sieben «sozialen Gruppen» im Sinne des AsylgesetztesExterner Link fallen.

Allerdings müssen die Antragstellenden in ihrem Heimatland aufgrund ihrer sexuellen Ausrichtung oder Geschlechtsidentität ernsthaft gefährdet sein, um anerkannt zu werden, hält die Menschenrechtsorganisation Humanrights.chExterner Link fest.

Demnach reicht es nach der Praxis des SEM nicht aus, dass zum Beispiel homosexuelle Handlungen unter Strafe stehen.

Editiert von Marc Leutenegger

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