Exklusives Verbier kämpft um seine Gäste
Weil sie unter dem starken Franken leiden, sehen sich Schweizer Ferienorte zum Nachdenken gezwungen. Sogar das schicke Verbier – eine der weltweit teuersten Winterdestinationen – sieht sich in einem Preiswettbewerb, um seine Gäste halten zu können.
Vor der Medran-Gondelbahn im Zentrum von Verbier warten an diesem kalten Morgen im Februar Dutzende von Eltern und Kindern geduldig auf ihre Skilehrer, ein buntes Gemisch von Sprachen ertönt. Aus dem wolkenverhangenen Himmel fällt Schnee.
Dies ist normalerweise eine der geschäftigsten Perioden der Wintersaison in diesem weitläufigen, exklusiven Ferienort im Westen der Schweiz. Generell kommt die Hälfte der Touristen in Verbier aus Grossbritannien, Frankreich und den Benelux-Staaten. Aber das bunte Treiben auf dem Platz und in den umliegenden Cafés täuscht über die wirtschaftlichen Sorgen hinweg, die sich offizielle Vertreter Verbiers und lokale Unternehmen machen.
«Der Schnee kam diese Saison spät, doch zum Glück hatten wir im Dezember eine gute Woche. Seit Januar war jedes Wochenende ziemlich schlecht, was das Wetter angeht – und dann kam noch das Desaster mit dem Schweizer Franken dazu» erklärte François Roux, der Besitzer des Sportgeschäfts Evasion Sport.
Nach drei Jahren Sicherheit mit einem Mindestwechselkurs von 1,20 Franken zum Euro hob die Schweizerische Nationalbank (SBN) am 15. Januar diese Grenze auf. Über Nacht wurden damit die bereits teuren Schweizer Feriendestinationen für Gäste aus europäischen Ländern um 15% teurer.
Die Krise ist derart akut, dass die Tourismusindustrie letzten Monat für neue Marketing-Kampagnen zusätzliche 270 Mio. Franken beantragte und die Regierung drängte, mehr in Innovationen zu investieren und die hohen Kosten importierter Güter zu senken.
Koordinierte Ermässigungen
Nach dem anfänglichen Schock und intensivem Nachdenken folgte Verbier, dessen Gäste zur Hälfte aus dem Ausland, zur Hälfte aus der Schweiz kommen, einer Handvoll anderer Schweizer Ferienorte und senkte seine Preise. Zum ersten Mal bietet Verbier eine koordinierte Reihe von Rabatten an, die sich über verschiedene Geschäfte erstreckt.
Auf einem Banner auf der Website des Tourismusbüros steht in grossen roten Buchstaben: «15% Ermässigung auf Ihrem nächsten Aufenthalt in Verbier».
Das Skilift-Unternehmen Téléverbier bietet Reiseunternehmen in der Eurozone, die spezielle Pauschalangebote verkaufen, eine Ermässigung von 15% auf Sechstage-Abonnementen an, sowie 5% Rabatt auf Lift-Abonnementen, die im Voraus online gebucht werden. In einigen Lokalen sollte auch das Après-Ski-Vergnügen den Geldbeutel etwas schonen.
2008, als der Euro und das Pfund gegenüber dem Schweizer Franken am stärksten waren, verbuchte Verbier eine Million Übernachtungen. Nach ein paar schwierigen Jahren stabilisierte sich diese Zahl im letzten Jahr schliesslich bei 830’000. Offizielle Vertreter, die sich für 2015 einen Anstieg erhofft hatten, könnten nun enttäuscht werden.
Vincent Riba, Kommunikationschef des Tourismusbüros in Verbier, erklärte, die Discount-Strategie sei ein wichtiges Unterfangen, um fremde und einheimische Gäste nicht zu verlieren.
«Wir müssen einige positive Nachrichten verbreiten, denn in letzter Zeit waren aus der Schweiz eher negative Botschaften zu hören», sagte Riba. «Wir wollten zeigen, dass wir unsere Preise angepasst haben und einen Mehrwert bieten, auch wenn wir ein exklusiver Ferienort im gehobenen Preissegment sind.»
Allgemeiner Abschwung
Seit Januar kam es im ganzen Land zu einem Rückgang bei den Buchungen sowie zu Annullierungen, wie der Schweizer Tourismus-Verband berichtete. Christophe Sempéré, Präsident des Verbands der Immobilienmakler und –Verwalter in Verbier (AGIV), sagte, es sei noch zu früh, die Auswirkungen auf das Resort zu bewerten, da fast 80% der Reservationen für die Winterferien bereits erfolgt gewesen seien, als die SBN entschied, den Mindestwechselkurs aufzugeben.
«Wir machen uns eher Sorgen um März und April. Wir hatten zwar nur sehr wenige Annullierungen, aber die Nachfrage ist sehr schwach, seit Januar haben wir nur wenige neue Verträge abgeschlossen», erklärte er.
Verbier hat den Ruf, teuer zu sein, zieht Reiche und Berühmte an, darunter Stars wie den Sänger James Blunt. Es gibt aber auch viele Gäste aus der Schweiz und Europa, die zur Mittelklasse zählen.
«Verbier hatte immer eine Mischung aus reichen Leuten und solchen, die Spass haben wollen. Das ist seine Stärke. Verbier ist nicht Courchevel oder Gstaad», sagte Sempéré.
Einheimische erklären, die Auswirkungen des starken Frankens auf die Restaurants, Cafés und Bars in Verbier seien sehr unterschiedlich. Auf den ersten Blick hin scheinen sie nicht allzu ernsthaft zu sein. Philippe Bernard, Besitzer des Restaurants Le Carrefour, das direkt neben den Pisten liegt, sagte, er habe keinen grossen Unterschied gesehen, und die Leute sprächen nicht wirklich über Geld, aber allgemein herrsche ein Trend zur «Verlangsamung».
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Obwohl 80% des Umsatzes in Verbier wie in den meisten Schweizer Ferienorten im Wintergeschäft gemacht werden, sagte Bernard, er mache sich mehr Sorgen über den kommenden Sommer, wenn die Gäste meist «verschwenderischer» seien.
In zahlreichen Geschäften überall im Dorf sind in den Schaufenstern Plakate mit dem Wort «Ausverkauf» zu sehen. Vor dem Geschäftslokal von Evasion Sport steht ein Gestell voller Skis der Spitzenklasse, die mit hohen Rabatten feil geboten werden.
Als «letzte Glieder in der Dienstleistungskette» litten Restaurants und vor allem Sportgeschäfte mehr als andere Unternehmen, erklärte Roux, der auch Präsident der Vereinigung der Händler und Handwerker Verbiers (SCAV) ist.
«Es gibt einen grossen Unterschied zum Markt in der Eurozone», sagte er weiter. «Wir hatten gewisse Artikel, die in Chamonix [Frankreich] billiger waren als bei unseren Händlern in der Schweiz. Wir waren mehr als 50% teurer als die Eurozone. Wir haben grosse Bestände, es ist schwierig, wettbewerbsfähig zu bleiben. Wir haben keine andere Wahl, als uns anzupassen.»
«Mehr Pasta»
Die Discount-Strategie Verbiers blieb allerdings nicht ohne Kritik. Roux sagte, gewisse Leute seien der Ansicht, dieses Vorgehen reflektiere ein Gefühl der Panik, komme einem Ausverkauf des Resorts gleich. Wallis Tourismus ermutigt die lokalen Ferienorte, an ihrem Fokus auf Qualität festzuhalten, sich weiterhin auf Schweizer Touristen auszurichten, die 52% der Besucherinnen und Besucher im Wallis ausmachen.
Riba gab zu, dass Rabatte an einem Ort wie Verbier, der sein exklusives Image bewahren wolle, ein schwieriges Kommunikationsunterfangen seien. «Wir haben diese gehobene Marke – vielleicht nicht wie St. Moritz, aber ähnlich wie Zermatt – und viele Leute denken sofort ‹Verbier – das ist zu teuer'», fügte er hinzu.
Die Wechselkurse des Frankens mögen sich gegenüber dem Euro und dem Pfund seit dem 15. Januar zwar leicht stabilisiert haben, aber viele Touristen haben die Auswirkungen auf ihren Geldbeutel dennoch gespürt.
«Wir haben viel mehr Pasta gegessen als während unseren früheren Ferien», erklärte etwa eine Französin mittleren Alters.
«Verbier lässt sich mit französischen Ferienresorts wie Val d’Isère und Les Trois Vallées vergleichen, aber früher war es hier etwa 20% teurer, jetzt sind es 40%», sagte eine andere Französin, die vor dem Restaurant Le Carrefour stand.
Kommen Sie wieder?
Einige Feriengäste erklärten, die Preisunterschiede könnten ihre künftige Auswahl beeinflussen.
«Wir hatten gebucht, bevor sich die Preise veränderten und erlitten so beim Buchen unseres Hotels und unserer Flüge keine Verluste. Es sind die Abendessen und Getränke, die uns am härtesten treffen. Hätte ich nicht bereits gebucht gehabt, wäre ich wo anders hin gereist, irgendwo in der Eurozone», erklärte ein junger britischer Skifahrer.
In ähnlichem Sinne äusserte sich Thijs Elias, ein Niederländer mittleren Alters, der in London lebt: «Man überlegt es sich zweimal, wenn man in Betracht zieht, ob man in die Schweiz in die Ferien fahren will. Aber ich habe meine Frau hier kennengelernt, und es ist etwas Besonderes. Doch wenn ich in Zukunft mit der ganzen Familie Skiferien machen will, werde ich Österreich in Betracht ziehen, wenn wir eine ganze Woche in einem Hotel sein werden.»
Davon abgesehen, nicht alle spüren die Auswirkungen des starken Frankens. «Geld spielt bei meinen Gästen keine Rolle. Es kümmert sie nicht. Sie sind die Art von Leuten, die 9000 Franken am Tag für Kaviar ausgeben. Es ist ihnen egal», sagte Max Mepham, der als Koch in einem Luxus-Chalet arbeitet, wo die Bedürfnisse reicher russischer, arabischer, französischer, italienischer und schweizerischer Gäste gestillt werden.
(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)
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