Fifa-Präsidentenwahl als Schmierentheater?
Die Wahl um das Fifa-Präsidium ist von Korruptions-Vorwürfen begleitet, der Ruf nach interner Transparenz wird immer lauter. Der Schweizer Anti-Korruptionsexperte Mark Pieth rät der Fifa zu einem Compliance-System, wie es Grosskonzerne kennen.
Joseph Blatter gegen Mohamed Bin Hammam: Vor der Wahl um das Präsidium des internationalen Fussballverbandes von nächstem Mittwoch in Zürich deckten sich der Schweizer Amtsinhaber und sein Herausforderer aus Katar gegenseitig mit Korruptionsvorwürfen ein. Beide müssen sich der internen Ethik-Kommission erklären.
Der reichste Sportverband der Welt – das Vermögen beträgt laut Blatter mehr als eine Mrd. Franken – gilt gemäss Schweizer Recht als gemeinnütziger Verein. Das macht die Fifa praktisch unangreifbar.
Mark Pieth, ein Experte im Kampf gegen Korruption, spricht von einer «praktischen Immunität». Er schlägt eine einfache Gesetzesänderung vor, um den als stossend empfundenen Status zu korrigieren. Zudem rät er dem Weltverband zu internen Ethik-Regeln (Compliance), wie sie auch Industriekonzerne kennen.
swissinfo.ch: Sitz der Fifa ist Zürich. Schaden die wiederkehrenden Schlagzeilen wegen Korruption und Schmiergeldzahlungen dem Image der Schweiz im Ausland?
Mark Pieth: Die Schweiz wollte ganz bewusst Sitzstaat von internationalen Sportdachverbänden werden. Heute residieren rund 60 Sportdachverbände im Land.
Wir wissen nicht, ob die Korruptionsvorwürfe gegen die Fifa berechtigt sind. Dass sie aber derart hartnäckig immer wieder vorgetragen werden, kann tatsächlich den Eindruck erwecken, die Schweiz würde bewusst dubiosen Organisationen Unterschlupf gewähren.
swissinfo.ch: Wie ist es erklärbar, dass ein Milliardenunternehmen wie die Fifa in der Schweiz als nicht gewinnorientierter Verein operieren kann, der sich punkto Transparenz an keinerlei Vorgaben zu halten hat?
M.P.: Es gibt Unternehmen, die sich als Verein konstituiert haben. Das ist aber atypisch und tatsächlich problematisch, weil die Bücherprüfung nicht auf demselben Niveau durchgeführt wird.
Bei den Sportdachverbänden ging es darum, ihnen sozusagen diplomatischen Status zu verleihen. Dieser sieht zwar etwas anders aus als derjenige von internationalen Organisationen. Mit der Figur des Vereins aber erreicht man ein ganz ähnliches Ziel.
swissinfo.ch: Insbesondere ist die Fifa von der Antikorruptionsgesetzgebung ausgenommen. Ist eine Unterstellung unter diese Gesetzgebung in der Schweiz überhaupt realistisch?
M.P.: Zunächst einmal ist es umstritten, ob die Fifa allenfalls unter die Normen der Privatkorruption im Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) fällt. Dessen Artikel 4a könnte tatsächlich anwendbar sein, auch wenn das in der Botschaft des Bundesrates verneint wurde.
Zusammen mit Anita Thanei, die das Thema im Nationalrat eingebracht hat, bin ich daran, eine explizite Lösung zu finden, nach der im Strafgesetzbuch internationale Sportdachverbände internationalen Organisationen gleichgestellt wären.
Dazu würde es genügen, dem Artikel 322septies des Strafgesetzbuches, der die Bestechung von ausländischen Amtsträgern und Vertretern internationaler Organisationen regelt, einen neuen Absatz 3 anzufügen.
swissinfo.ch: Könnten so auch Funktionäre belangt werden, die ihre Stimmen ausserhalb der Schweiz verkaufen?
M.P.: Von einer solchen Erweiterung darf man sich nicht zu viel erhoffen. Es geht lediglich darum, eine Lücke zu schliessen, die stossend und schwer zu erklären ist.
Die Wirkung der Neuerung hängt von den normalen Anknüpfungspunkten des Strafrechts ab. Dazu muss die Territorialität gegeben sein, was bedeutet, dass zumindest ein Teil der Handlung in der Schweiz vollzogen wurde. Erfolgt beispielsweise eine Wahl oder eine Abstimmung in der Schweiz, bei der ein Funktionär zuvor seine Stimme im Ausland ‹verkauft› hatte, liegt eine Tathandlung in der Schweiz vor.
swissinfo.ch: Der Bundesrat hat bis Ende Jahr einen Bericht in Aussicht gestellt, der zeigen soll, was die internationalen Sportverbände gegen Korruption vorkehren können oder müssen. Sendet er damit ein Signal aus, nichts ändern zu wollen?
M.P.: Nein. Ich bin ziemlich optimistisch, dass sich der Bundesrat letztlich auf eine der erwähnten Optionen verpflichten lassen wird. Dies insbesondere nach den letzten Äusserungen von Sportminister Ueli Maurer.
Man kann sich aber schon fragen, ob sich die Regierung nicht ein bisschen viel Zeit lässt. Ich rechne mit mindestens zwei bis zweieinhalb Jahren, bis die Neuerung vom Parlament beschlossen sein wird.
swissinfo.ch: Schon Vorgänger João Havelange war im Ruch der Korruption gestanden. Heute kann Blatter aber noch viel mehr Geld verteilen. Ist die Fifa dadurch anfälliger geworden?
M.P.: Man muss sehr aufpassen. Es ist nicht nachgewiesen, dass Fifa-Funktionäre Geld genommen haben. Ausnahme sind die Aussagen britischer Journalisten, wonach zwei Funktionäre bereit waren, auf eine verdeckte Ermittlung einer britischen Zeitung einzugehen (siehe Kasten rechts, die Red.). Aber es besteht kein gerichtskundiger Nachweis, dass effektiv Bestechung stattgefunden hat.
Generell gilt, dass die Fifa mit der Welt lebt, wie diese ist. Sie erbt viele Probleme, die in den Ländern auftreten, aus denen die Funktionäre stammen und in denen die Fifa tätig ist.
Es ist aber eine ganz heikle Frage, ob die Fifa selbst Teil des Problems ist, indem sie mit ihrem System aktiv dazu beiträgt.
swissinfo.ch: Brächte eine Wahl Bin Hammams Besserung?
M.P.: Man darf nicht zu stark personalisieren. Auch wenn Blatters Widersacher gewählt würde, sind dessen Ideen im Kampf gegen Korruption nicht unbedingt zielführend.
Bin Hammam möchte die Regionen stärken, aber Compliance und Regionalisierung vertragen sich oft nicht gut. Auch bei ihm geht es nicht so sehr darum, etwas über die Person zu sagen, sondern über sein Programm.
Wer auch immer gewählt wird, wird die in Aussicht gestellte Kommission gründen. Die Frage ist, wie konsequent vorgegangen wird. Konkret, ob ein hausinternes Compliance-System (Einhaltung ethischer Grundsätze, die Red.) durchgesetzt wird, wie es Industriekonzerne aufweisen.
Sepp Blatter, seit 1998 Fifa-Präsident, visiert seine vierte Amtszeit an.
In der Wahl vom 1. Juni in Zürich, an der Delegierte von 208 Landesverbänden teilnehmen, wird der 75-jährige Schweizer von Mohamed Bin Hammam herausgefordert.
Blatter-treue Delegierte aus der Karibik werfen dem Katarer versuchten Stimmenkauf vor. Deshalb muss Mohamed Bin Hammam am Sonntag vor der Fifa-Ethikkommission aussagen.
Ihm wird ferner vorgeworfen, bei der Vergabe der WM 2022 nach Katar Stimmen gekauft zu haben.
Doch auch Blatter muss sich dem internen Gremium erklären.
Die erbitterten Widersacher waren lange Zeit Freunde, noch bei der letzten Wiederwahl Blatters als Fifa-Boss fungierte Bin Hammam als treuer Helfer.
Bereits der ehemalige Fifa-Boss João Havelange (Brasilien) war in Zusammengang mit Korruption gebracht worden.
Auch Blatters Wahl an die Fifa-Spitze 1998 war von Anschuldigungen des Stimmenkaufs begleitet gewesen.
In seiner Amtszeit haben sich weitere Fälle von Korruption und Schmiergeldzahlungen ereignet.
Im Prozess gegen die 2001 Konkurs gegangene Vermarktungs-Agentur ISL wurde publik, dass die ehemalige Zuger Firma knapp 140 Mio. Franken Bestechungsgelder u.a. an Fifa-Funktionäre überwiesen hatte.
Der Prozess wurde im Juni 2010 eingestellt, nachdem zwei angeschuldigte Fifa-Amsträger je 5,5 Mio. Franken «Wiedergutmachung» bezahlt hatten.
Ebenfalls im letzten Jahr flogen zwei Mitglieder des Fifa-Exekutivkomitees auf: Gegenüber verdeckt arbeitenden britischen Journalisten signalisierten Amos Adamu aus Nigeria und Reynald Temarii (Tahiti), dass sie ihre Stimmen bei der Vergabe der WM-Austragungsorte 2018/2022 verkaufen würden. Die Gespräche wurden gefilmt.
Die Fifa liess die Sachverhalte von ihrer internen Ethik-Kommission untersuchen und suspendierte die Beiden in ihrer Funktion.
Nach der Vergabe der WM-Endrunden an Russland (2018) und Qatar (2022) beschuldigten britische Medien vier weitere Mitglieder des leitenden Fifa-Gremiums der Bestechlichkeit.
Weil Beweise fehlten, werde die Fifa nicht aktiv, sagte Blatter.
Der 57-jährige Schweizer ist Professor für Strafrecht an der Universität Basel.
Pieth leitet zudem eine Arbeitsgruppe der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zur Bekämpfung von internationaler Korruption.
Davor hatte er sich bei der OECD mit dem Kampf gegen Geldwäsche befasst.
Für die UNO hatte er Korruption beim Oil-for-Food-Programm aufgedeckt. Dieses hatte dem Irak den Verkauf von Öl und den Einsatz der Einnahmen für humanitäre Zwecke erlaubt.
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