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In Genf steht die Zukunft der Weltgesundheit auf dem Spiel

People in white protective clothing passing boxes up the ramp of an airplane.
Arbeiter entladen in Venezuela im März 2020 ein Flugzeug mit medizinischen Hilfsgütern aus China. Keystone

Weichenstellung für eine international besser koordiniertes Management künftiger Pandemien: Dies ist eine der grossen Erwartungen an die WHO-Jahreskonferenz, die ab dem 24. Mai in Genf stattfindet – online.

Ganz der Pandemie geschuldet, findet auch die diesjährige, einwöchige Jahresversammlung der Weltgesundheits-Organisation (WHO) virtuell statt.

Daran teilnehmen werden hochrangige Delegationen aus den 194 Mitgliedstaaten. Sie legen die Eckwerte der WHO-Politik fest, fällen Personalentscheide und überprüfen das Budget.

Was unspektakulär tönt, könnte aber zur meistbeachteten WHO-Jahreskonferenz aller Zeiten werden. Denn im jüngsten Streit um den Zugang zu Impfstoffen haben sich einerseits die Entwicklungsländer gegen die Industriestaaten aufgestellt, andererseits sind sich auch die westlichen Staaten untereinander in die Haare geraten.

Wenige Wochen vor Beginn der Versammlung liess die US-Handelsbeauftragte Katherine Tai eine Bombe platzen: Sie kündigte an, dass Washington einen vorübergehenden Verzicht auf den Patentschutz für Covid-19-Impfstoffe unterstützen würde.

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Diese Kehrtwende traf Europa unvorbereitet. Das gilt speziell für die Schweiz, die über einen sehr starken Pharmasektor verfügt. Wie SWI swissinfo.ch berichtete, ist die Schweiz keineswegs bereit, den Patentschutz so einfach aufzugeben. Diese Haltung hat auch Bundespräsident Guy Parmelin bekräftigt.

Der endgültige Entscheid der WHO-Staaten über ein allfälliges Fallenlassen des Patentschutzes wird aber nicht in Genf, sondern wohl erst später in diesem Jahr fallen. Die Jahreskonferenz dreht sich vielmehr um einen verbesserten Zugang zu Medikamenten und anderen Gesundheitsangeboten für alle.

Der Teufel steckt aber bekanntlich im Detail, wie unsere Genfer Korrespondentin Imogen Foulkes in der neusten Folge ihres Podcasts «Inside Geneva» von Gesundheitsexperten erfuhr. Die Serie von swissinfo.ch aus dem internationalen Genf liegt nur auf Englisch vor.

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Erste Reaktion auf Ausbruch in Wuhan

Sowohl die WHO als auch China gerieten unter massive Kritik, sie hätten nicht schnell und entschlossen genug gehandelt, um Covid-19 einzudämmen, als die Infektionskrankheit Ende 2019 erstmals in der chinesischen Stadt Wuhan auftrat.

Zwar liess China Anfang dieses Jahres eine internationale Delegation von Wissenschaftlerinnen und Forschern nach Wuhan einreisen. Ziel der Mission war die Identifizierung des Ursprungs der Pandemie. Doch steht Peking weiter im Verdacht, dass es dem Team wichtige Informationen vorenthalten habe, die es den Forschenden erlaubt hätten, zur Quelle des Ausbruchs vorzustossen.

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«Staaten gaben der WHO nicht die notwendigen Mittel»

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Trump & Co. dreschen auf die WHO ein. Doch es sind die Mitgliedsländer, welche die Organisation bewusst an der kurzen Leine halten, sagt ein Schweizer Experte.

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In der Tat ist die WHO ohne Mitgliedstaaten und regionale Zusammenarbeit ein Papiertiger. SWI swissinfo.ch ist der Frage nachgegangen, wie die Organisation ihre Reaktion auf gesundheitliche Notfälle effektiver koordinieren sollte.

In vielen Fällen gelingt dies der WHO auch. Denn in ihren Regionalbüros leisten die WHO-Mitarbeitenden hervorragende Arbeit: Sie sorgen für einen Ausbau der Laborkapazitäten, damit Viren überhaupt erst entdeckt werden können, und sie optimieren die lokalen Gesundheitseinrichtungen. Aus diesen Anstrengungen resultieren schnellere und präzisere Informationen über Viren-Ausbrüche.

Die schwache internationale Reaktion auf die Covid-19-Pandemie liegt auch im Versagen der Regierungen, ihren Verpflichtungen gegenüber den Internationalen Gesundheitsvorschriften (IHR) nachzukommen.

Diese waren 2005 mit dem expliziten Ziel aufgestellt worden, die globale Zusammenarbeit im Kampf gegen Krankheiten und Gesundheitskrisen zu verbessern. Es wird nun erwartet, dass die Delegierten an der Konferenz genau prüfen werden, warum sich dieses Regelwerk ausgerechnet in der Covid-19-Pandemie der letzten zwölf Monate als derart ineffizient erwiesen hat.

Keiji Fukuda, der ehemalige stellvertretende WHO-Generaldirektor, brachte es in einem Interview auf den folgenden Punkt: «Die grundlegende Frage ist, ob die Länder glauben, dass ein multilateraler, kooperativer Ansatz wünschenswert ist und ob dieser in der gegenwärtigen Ära umsetzbar ist.»

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Die Ebene, auf der Länder zusammenarbeiten und Prioritäten festlegen, wird aber nicht allein von den Regierungen bestimmt. Private Geber spielen bei der Ausrichtung der WHO eine immer wichtigere Rolle. Die Stiftung von Bill und Melinda Gates ist zweitgrösste Beitragzahlerin und steuert alleine fast zehn Prozent zum WHO-Budget bei.

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Niemand bestreitet, dass das Werk des Philanthropen, der immer noch zu den reichsten Menschen der Welt zählt, enorm viel Gutes tut. Doch es gibt Bedenken, dass Einzelpersonen über ihre Donationen die Macht erhalten, um die Prioritäten der globalen Gesundheit zu beeinflussen. «Die WHO ist einem privaten Akteur verpflichtet, der seinerseits praktisch zu keinerlei Rechenschaft verpflichtet ist», sagte etwa Lawrence Gostin von der US-Universität Georgetown.

Linsey McGoey, Soziologieprofessorin an der britischen Universität Essex, glaubt, dass Gates ein ideologisches Interesse daran habe, schnell messbare Ergebnisse zu sehen. So könne er zeigen, dass die «milliardenschwere Philanthropie» funktioniere, so McGoey.

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WHO explainer

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Covid-19: Hat die WHO wirklich das Sagen?

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Wie viel wissen wir wirklich über die Weltgesundheits-Organisation – die Behörde, die durch Covid-19 ins Rampenlicht rückte?

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Die WHO findet sich heute also in folgender delikater Lage: Als Organisation, die geschaffen wurde, um die Gesundheit als öffentliches Gut sicherzustellen, die aber gleichzeitig Privatpersonen gegenüber verpflichtet ist.

Zudem wird ihre genuine Aufgabe, die Massnahmen in gesundheitlichen Notsituationen zu koordinieren, von ihren eigenen Mitgliedern torpediert. Im folgenden Video werfen wir einen Blick zurück auf die Errungenschaften der WHO in ihrer 73-jährigen Geschichte, aber auch auf die grossen Herausforderungen, denen sich die Organisation heute stellen muss.

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