«Jesus würde da ziemlich aufräumen»
Angesichts der Welle von Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche muten die jüngsten Aussagen des Beichtvaters des Papstes eigenartig an. Er wollte die Vorwürfe gegen den Papst als blosses "Geschwätz" abtun. Nicht überrascht zeigt sich ein verheirateter Ex-Priester.
Josef Hochstrasser war gerne katholischer Priester. Einen Strich durch seine Berufskarriere gemacht hat ihm dann seine Sexualität. Er verliebte sich, heiratete und wurde mit einem Berufsverbot belegt. Obwohl jetzt protestantischer Pfarrer, bekennt er sich zu seiner «katholischen Seele» und bedauert in einem Gespräch mit swissinfo.ch die Vorfälle und die hierarchischen Strukturen in der katholischen Kirche.
swissinfo.ch: Stimmt es, wie der Beichtvater des Papstes an Ostern behauptet hat, dass Priester und Kirchenbasis voller Solidarität mit dem Kirchenoberhaupt sind?
Josef Hochstrasser: Nein, ich stelle eine grosse Resignation fest. Viele Katholikinnen und Katholiken glauben nicht mehr daran, dass etwas Positives von Rom kommt, Auch ich habe schon lange den Glauben daran aufgegeben.
swissinfo.ch: Wie geht die offizielle katholische Kirche mit den Missbrauchsvorwürfen um?
J. H.: Viel zu defensiv. Es reicht nicht, wenn man sich überlegt, wie man mit jungen Menschen, die von einem abhängig sind, umgehen soll. Ich war auch jahrzehntelang Lehrer. Für mich war es eine absolute Regel, kein Kind anzurühren.
Dass man Regeln aufstellt, ist schon ok, aber die Grundfrage ist eben die Sexualität. Wie geht die katholische Kirche die Sexualität an? Meiner Meinung nach zu miesepetrig. Und das ist schade.
Sie hätte jetzt die grosse Chance, zum Beispiel in der Frage des Zölibats, einen Schritt zu tun. Konkret müsste man nach 800 Jahren Pflichtzölibat dieses Gesetz, das niemandem mehr dient, auflösen.
Das hat zwar direkt nichts mit Pädophilie zu tun. Das ist eine andere Frage.
swissinfo.ch: Weshalb hängt man denn an einem Gesetz, das niemandem mehr nützt?
J. H.: Alle diesbezüglichen theologischen Argumente liegen längst auf dem Tisch. Da gibt es keine neuen Erkenntnisse. Also kann es nur noch eine Machtfrage sein.
Und wenn es nur noch eine Machtfrage ist, müsste man diese Macht sprengen. Und das kann man nur von der Basis her.
swissinfo.ch: Sie haben die Konsequenzen gezogen, als nach ihrer Heirat die Differenzen zu den katholischen Prinzipien unüberbrückbar wurden?
J. H.: Ja, aber eigentlich hätte ich in der katholischen Kirche gerne weitergekämpft – für einen menschlichen Katholizismus. Aber leider wurde ich daran gehindert. Grund war die Macht von Rom, dieses leidige Gesetz des Pflichtzölibates. Das ist sehr schade.
Ich wünsche mir Menschen im Umfeld von Benedikt XVI., die ihm mal offen und ehrlich sagen, wie eigentlich die Basis tickt. Das wäre ein Dienst am Papst selber. Er sollte ins Leben gerissen werden, damit er sähe, was eigentlich zu tun wäre, heute.
Jesus hat sich ja auch nicht in einer Festung aufgehalten. Er ist auf die Plätze gegangen, zu den Menschen.
swissinfo.ch: Gibt es denn einen Unterschied zwischen der Basis und der Führung in Rom?
J. H.: Selbstverständlich, leider. Angesichts von Jesus sollte es den Unterschied zwischen Hierarchie und Laien gar nicht geben.
Die Missbrauchs- und Zölibatfragen müssten von der Basis angegangen werden. Nicht mehr durch gescheites Reden, sondern durch Handeln.
Stellen Sie sich vor, was geschehen würde, wenn der Papst heute Abend das Gesetz des Pflichtzölibats ausser Kraft setzen würde! Das wäre unglaublich. Da würden ihm die Herzen zufliegen.
Aber das macht er leider nicht. Er kommt nicht auf die Idee. Er dient lieber diesem unseligen Gesetz als den Menschen, was er eigentlich sollte.
swissinfo.ch: Der Apparat der katholischen Kirche ist sehr machtbewusst strukturiert. Würde das gehen?
J. H. Wenn die Macht nicht bereit ist, Hand zu bieten, muss man halt auch revolutionäre Züge ins Spiel bringen. Man fragt den Papst nicht mehr. Man handelt und informiert Rom, dass die Kirche Schweiz einen Schritt in den Ungehorsam tut.
swissinfo.ch: Und das wäre noch eine katholische Kirche?
J. H.: Ich weiss, dass das gefährlich ist. Aber Jesus von Nazareth hat auch nicht seine jüdischen Glaubensbrüder gefragt, ob er jetzt einen Schritt weiter gehen dürfe. Der hat es einfach gemacht. Er hat gewisse Gesetze gebrochen.
Wenn man sich an ihm orientiert, hat man die Legitimation dazu. Es ist entscheidender, sich an Jerusalem zu orientieren als an Rom.
Man hat feierlich Palmsonntag gefeiert, den Einzug von Jesus in Jerusalem. Wenn Sie sich vorstellen, dass Jesus jetzt in die Kirche einziehen würde, da wäre in der katholischen Kirche einiges los.
Gemäss meinem Jesusbild würde er da wohl ziemlich aufräumen. Vor allem dort, wo sich die Menschlichkeit nicht mehr zeigt. Und das ist zum Beispiel in der Frage des Pflichtzölibates der Fall. Es ist eine fratzenhafte Ideologie.
Die Situation in der katholischen Kirche lässt sich mit jener des Islam vergleichen. Die vielen liberalen Moslems sollten ihre Stimme viel stärker erheben gegen die marginalen Fundamentalisten und Islamisten und diese an den Rand drängen.
Ähnlich ist es in der katholischen Kirche, wo die orthodoxeren Kräfte jetzt klar Oberhand haben.
Also gibt es Kreise, die von der aktuellen Kirchenpolitik profitieren?
J. H.: Na klar, die sägen doch nicht am eigenen Stuhl. Das ist auch verständlich. Aber man muss tiefer gehen und diese Stühle niedersägen.
Es tut mir auch leid um die katholische Kirche. Ich war ja 40 Jahre lang selber in ihr zu Hause. Sie hätte so gute Möglichkeiten, den Menschen Halt und Stütze zu geben. Aber sie müsste menschlicher werden. Viel, viel menschlicher.
Was ist denn dran am Katholizismus, dass ihm so viele Menschen trotz aller Probleme die Stange halten?
J. H.: Auch ich habe nach wie vor, auch wenn ich reformierter Pfarrer bin, eine katholische Seele. Die nährt sich von etwas, was sich die katholische Kirche wunderbar bewahrt hat, nämlich von den Ritualen, den Festen rund ums Jahr. Und das hat sie gegenüber der reformierten Kirche voraus.
Diese Feste sind nicht einfach hohle Veranstaltungen. Sie treffen immer auch einen Lebensnerv. Was heisst Ostern? Ostern ist wirklich mit dem Leben verbunden oder Pfingsten mit einem guten Geist. All das verbindet mich noch mit der katholischen Kirche. Da trägt sie einen grossen Schatz in sich.
Etienne Strebel, swissinfo.ch
Die römisch-katholische Kirche steckt in einer ihrer schwersten Krisen. In zahlreichen Ländern wurden immer mehr Vorwürfe der Misshandlung und des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger durch Kirchenvertreter sowie der Vertuschung dieser Taten laut. Auch Papst Benedikt XVI. wurde wegen seines Umgangs mit der Affäre kritisiert.
Bekannt sind Fälle aus der Schweiz, Deutschland, USA, Irland, Australien, Kanada, Österreich.
Während sich die Schweizer Bischöfe inzwischen für die Verfehlungen ihrer Kirchenmänner entschuldigt haben, tut sich die römische Kurie schwerer, die Vorwürfe zu akzeptieren.
So hat an Ostern der persönliche Beichtvater des Papstes und Vorsitzender des Kardinalskollegiums, Kardinal Angelo Sodano, dem Papst die Loyalität und Solidarität der Gläubigen und der Priesterschaft zugesichert. Kritik an der Kirche tat er als «Geschwätz» ab:
«Heiliger Vater, das Volk Gottes ist mit Dir und wird sich nicht von dem unbedeutenden Geschwätz dieser Tage beeinflussen lassen.»
Beobachter interpretierten dies als Versuch der Klarstellung, dass lediglich eine kleine Minderheit der Kirchenmänner Kinder missbraucht habe.
Die Leiterin eines US-Opferverbands bezeichnete Sodanos Rede als beleidigend. Den Opfern gehe es um Trost und Heilung. Ihre Aussagen sollten nicht als «unbedeutendes Geschwätz» abgetan werden.
Geboren 1947 in Luzern.
Kantonsschule und Matura in Luzern.
Studium der Theologie und Philospohie in Innsbruck bei den Jesuiten.
1973: Priesterweihe. Erste Pfarrstelle in Bern. Dort begegnet er seiner heutigen Frau. Darauf Kampf mit der Hierarchie um den Zölibat.
1977 Heirat.
1985 Amtsenthebung, Berufsverbot.
Arbeit als Hilfsarbeiter in einer Fabrik.
Nach Theologiestudium in Bern: 1989 reformierter Pfarrer.
1991 bis 2008 Religionslehrer an der Kantonsschule Zug.
Veröffentlichung einiger Bücher:
– Ottmar Hitzfeld: Die Biografie
– Religion ist heilbar
– Der Kopfstand auf der Kirchturmspitze
Biograf von Fussballnationaltrainer Ottmar Hitzfeld. «So wie mich die Kirche gepackt hat, hat mich auch die Religion Fussball fasziniert.»
Hochstrasser hat sich mit den Jahren zum Agnostiker entwickelt, zu einem Zweifler, ob es Gott überhaupt gibt.
Trotzdem predigt er in protestantischen Kirchen.
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