Die Verteidigerin des brasilianischen Waldes
Die Schweizer Biologin Anita Studer hat mit ihrer Organisation in ihrer Wahlheimat Brasilien 8 Millionen Bäume gepflanzt. Ein ganz besonderer Vogel hat sie dazugebracht, den Kampf für den Wald aufzunehmen.
Angefangen hat alles vor 35 Jahren mit einem Vogel namens Forbes-Amsel. Zusammengefasst geht die Geschichte so: Um die Forbes-Amsel, das Thema ihrer Doktorarbeit, zu schützen, rettete Anita Studer einen Wald in Brasilien – das heutige Naturreservat Pedra Talhada, einen 200 Kilometer südwestlich von Recife gelegenen Teil des Atlantikwaldes.
Heute sind 8 Millionen Bäume gepflanzt, Schulen und Gesundheitsposten gebaut worden, hauptsächlich im Norden und Nordosten Brasiliens. Hinter all dem steht die Schweizer Biologin Anita Studer, die die NGO Nordesta Reforestation & EducationExterner Link leitet. Wir trafen sie am Genfer Hauptsitz der Organisation.
Als sie auf der Suche nach einem Thema für ihre Dissertation gewesen sei, habe ihr Professor geraten, die Forbes-Amsel in Betracht zu ziehen, da dieser Vogel noch nie zuvor untersucht worden sei. «Aber er warnte mich auch, dass ich mich beeilen müsse, denn in zehn Jahren werde es keinen Wald mehr geben», erinnert sich Studer.
Als Ökologie noch ein Schimpfwort war
«Als ich begann, den Vogel zu studieren, wollte ich sicher sein, dass er auch eine Zukunft hat. Also nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und sagte: ‹Ich werde den Vogel untersuchen, aber zuerst werde ich den Wald schützen.'» Von da an habe sie vor allem ein Wort immer und immer wieder gehört, sagt Studer: «unmöglich».
Aber Studer ist einer dieser Menschen, die sich von einem «unmöglich» nicht aufhalten lassen. Und so begann sie, in den 1980er Jahren – als das Wort Ökologie noch ein Schimpfwort war -, Bäume zu pflanzen. Während ihres Doktorats entdeckte sie, dass das Waldgebiet sieben Gemeinden und etwa 300’000 Menschen mit Wasser versorgt.
Damals, sagt sie, gab es viele arme Menschen und wenige Landbesitzer. «Es war schwierig, einer armen, hungrigen Person zu erklären, dass der Wald geschützt werden müsse. Die Bewohner wollten Bäume fällen, um sie zu verkaufen und Kartoffeln zu kaufen. Auch der Hirte wollte sie fällen, um mehr Platz für das Vieh zu schaffen. Für sie alle war der Wald wertlos; es war sehr schwierig», sagt sie.
Aber die Schweizer Biologin hat es geschafft, ihre Sache voranzutreiben, indem sie die Aufmerksamkeit auf das Wasser lenkte, das aus dem Wald kommt. Nach so vielen Jahren der Arbeit ist die Idee des Projekts immer noch die gleiche: «Wir helfen den Menschen vor Ort und im Gegenzug helfen sie der Natur», erklärt Studer. So liess Studer beispielsweise Schulen bauen und hat Wirtschaftsprojekte auf die Beine gestellt, wie Bienenzucht im Amazonasgebiet und Nähwerkstätten.
Nach langen Verhandlungen schuf die brasilianische Regierung 1989 schliesslich das Naturreservat Pedra Talhada. Es wird von Anita Studers NGO Nordesta in Zusammenarbeit mit dem Chico Mendes Institute for Biodiversity Conservation verwaltet. Für ihren Einsatz verlieh die französische Regierung Anita Studer 2009 den Verdienstorden der Ehrenlegion.
Eine intensive Arbeit
Die im Berner Oberland geborene Studer lebt teils in der Schweiz, teils in Brasilien. Wenn sie in Brasilien ist, beginnen ihre Tage um 4 Uhr mit Vogelbeobachtungen. «Ich beobachte sie von einer kleinen getarnten Hütte aus. Ich schreibe wissenschaftliche Publikationen, das sind 30 Jahre Forschung», sagt sie.
Hinzu kommt die ganze Fundraising-Arbeit, die sehr viel Aufwand benötigt. Mit 76 Jahren hat Anita Studer wenig Zeit zum Ausruhen, sie arbeitet acht bis zehn Stunden am Tag, auch am Wochenende. Doch nichts scheint sie aufhalten zu können, nicht einmal eine Infektion mit dem Coronavirus, die sie überwunden hat.
Schwierige Überzeugungsarbeit
Es sei schwierig, in Brasilien Land zu bekommen, um Bäume zu pflanzen, so Anita Studer. Oft brauche es lange Diskussionen, um die Landbesitzer zu überzeugen. Sie seien bemüht, die Bäume dort zu pflanzen, wo sie nicht störten, oder sogar hilfreich seien. Sie könne nicht einfach Weideland aufforsten und müsse sich stattdessen mit Waldkorridoren begnügen. «Fleisch und Weide sind die Könige Brasiliens», sagt die Schweizerin, die die Abläufe in ihrer Wahlheimat gut kennt.
«Man kann aber Bäume zum Beipiel entlang des Flusses pflanzen, um das Wasser zu schützen», sagt sie und zeigt ein Foto. Sie hätten dem Landbesitzer erklärt, dass der Fluss schrumpft und stirbt, aber dass die Situation durch Wiederaufforstung verbessert werden könne. Er stimmte zu. «Wenn Sie zwei, drei Besitzer in einem Gebiet überzeugen können, folgen die anderen. Aber das ist eine Menge Arbeit.»
Immerhin: Wer einen Baum pflanze, denke zweimal nach, bevor er ihn fälle, sagt Studer. «Menschen, die einen Baum pflanzen, wissen, dass es ein langer und schwieriger Prozess ist. Zuerst müssen Sie die Samen sammeln und lagern. Um einen Baum von guter Grösse zu bekommen, müssen Sie 20 Jahre warten. Wer einen Baum pflanzt, wird sich um ihn kümmern und ihn verteidigen.»
Doch unter dem Strich geht das Abholzen in Brasilien weiter. Satellitenbilder des Nationalen Weltraumforschungsinstituts zeigen: Im vergangenen Oktober wurde im Amazonasgebiet 50 % mehr gerodet als im gleichen Monat im Jahr davor. «Die Lage ist ernst: Die Abholzung der Wälder hat sich in den letzten Jahren beschleunigt», warnt Anita Studer. Und ab einem bestimmten Punkt seien so viele Bäume gefällt, dass der Wald seine Rolle als Träger der Biodiversität nicht mehr übernehmen könne.
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