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Kirchensteuer-Frage spaltet Schweizer Katholiken

Bürgerliche wollen die Kirchensteuer für Unternehmen als "Relikt aus dem Mittelalter" abschaffen Reuters

Kampagnen zur Abschaffung der Kirchensteuer für Unternehmen haben in der Schweiz eine Debatte über die staatliche Unterstützung religiöser Einrichtungen ausgelöst. In der römisch-katholischen Kirche zeichnet sich in der Frage ein Streit zwischen konservativen und liberalen Kräften ab.

In weiten Teilen der Schweiz zahlen Angehörige für Betrieb und Unterhalt der Landeskirchen (vor allem der protestantischen und römisch-katholischen Kirchen) eine direkte Steuer auf ihrem Einkommen. In 20 Kantonen wird diese Kirchensteuer auch bei juristischen Personen, also Gewerbe und Unternehmen, erhoben.

Jugendsektionen der bürgerlichen Freisinnigen Partei und der rechts-konservativen Schweizerischen Volkspartei haben auf kantonaler Ebene Initiativen zur Abschaffung der Kirchensteuerpflicht für Unternehmen lanciert. Sie argumentieren, die Kirchensteuer sei ein «Relikt aus dem Mittelalter», und Kantone, die diese Steuern eintrieben, seien im Bereich Unternehmenssteuer weniger wettbewerbsfähig, vor allem im Vergleich mit anderen Ländern Europas.

Die Abschaffung dieser Steuern, wird weiter argumentiert, wäre für Unternehmen und Gewerbe eine bedeutende finanzielle Entlastung, was mehr Investitionen und neue Arbeitsplätzen nach sich ziehen würde.

Zurzeit werden im Kanton Nidwalden Unterschriften für eine Volksinitiative zur Abschaffung der Kirchensteuer gesammelt. In den Kantonen Graubünden und Zürich kommt es im nächsten Jahr zu Abstimmungen über entsprechende Initiativen.

Das Bundesgericht – das oberste Gericht der Schweiz – hat schon mehrmals erklärt, dass diese Art von Steuern verfassungskonform ist, wie René Pahud de Mortanges, Rechtsprofessor an der Universität Freiburg, gegenüber swissinfo.ch sagt. Der Professor ist Co-Autor einer Studie über die Kirchensteuern für Unternehmen in den verschiedenen Kantonen der Schweiz.

Er räumt aber ein, dass Urnengänge Veränderung einläuten könnten.

«Das Gericht hat auch gesagt, wenn aus politischen Gründen die Steuer nicht mehr als opportun betrachtet würde, eine entsprechende Änderung von den politischen Behörden der Kantone ausgehen müsste. Die kantonalen Abschaffungsinitiativen sind in diesem Kontext zu sehen: Sie wollen mit politischen Mitteln die Rechtslage in den Kantonen ändern.»

In weiten Teilen der Schweiz müssen registrierte Mitglieder der anerkannten Kirchen (Landeskirchen) durch eine Steuer auf ihrem Einkommen zum Unterhalt des Betriebs der Kirchen beitragen. Das Geld geht dabei an die Kirche, welcher der jeweilige Steuerzahler angehört.

In den meisten Kantonen müssen auch Unternehmen Kirchensteuer zahlen; das Geld wird proportional zur Anzahl der Kirchenmitglieder im Kanton verteilt. Die Steuersätze sind von Kanton zu Kanton verschieden. 

Das Geld wird von der Regierung eingetrieben und von den lokalen Gremien der Kirchgemeinden verwaltet, die von lokalen Pfarreimitgliedern gewählt werden. Diese Einrichtungen sind unabhängig und bestehen aus Laien, die Geistlichen gehören den Gremien von Amtes wegen an.

Auf kantonaler Ebene werden die Versammlungen gewählter Abgeordneter (Kirchenparlamente), die normalerweise mehrmals pro Jahr zu öffentlichen Sitzungen zusammentreten, meist als Synoden bezeichnet, sie entscheiden unter anderem auch über Budgetfragen. Die Exekutive wird meist als Synodalrat bezeichnet.

Mit den Geldern der Kirchensteuer werden normalerweise die Gehälter der Geistlichen, der Unterhalt der Kirchengebäude und soziale Dienste bezahlt.

Im Zusammenhang mit der Kirchensteuer anerkannt werden in den meisten Kantonen römisch-katholische und protestantische (reformierte) Kirchen, in einigen auch christ-katholische (altkatholische) Kirchen und jüdischen Synagogen. Andere Konfessionen und Religionen müssen ihre Finanzmittel selbst beschaffen.

Leute, die keine Kirchensteuern zahlen, weil sie ihren Austritt aus der Kirche erklärt haben, haben normalerweise kein Anrecht auf kirchliche Dienstleistungen wie Taufe, Heirat oder Beisetzung. Immer mehr Menschen in der Schweiz erklären ihren Austritt aus den Landeskirchen. Diese Entwicklung führt schon heute zu mehr Druck auf die Einnahmen der Kirchen.

Antworten der Kirchen 

Die Reaktion der Kirchen fällt unterschiedlich aus. Nicht überraschend sind viele Leute in römisch-katholischen und protestantischen Kirchen dagegen, dass die Steuerbasis ausgehöhlt wird. Ohne die Beiträge der Unternehmen würden die Kirchen einen grossen Teil ihrer Einnahmen verlieren.

«Wir könnten zahlreiche Aufgaben nicht mehr wahrnehmen», erklärte Klaus Odermatt, der Präsident der Katholischen Landeskirche Nidwalden, gegenüber der Neuen Nidwaldner Zeitung.

 

«Das Geld würde auch einigen Kirchgemeinden fehlen, denn die juristischen Steuereinnahmen speisen den Hauptteil des Finanzausgleichs. Sie hätten Mühe, die laufenden Kosten zu decken sowie den Unterhalt von Kirchen, Kapellen, Pfarreizentren und Begegnungsorten zu finanzieren. Zahlreiche soziale und kirchliche Angebote müssten wir streichen, kürzen oder der Staat müsste sie übernehmen.»

Doch nicht alle in der römisch-katholischen Kirche machen sich solche Sorgen, was die Einnahmen angeht.

Vitus Huonder, der konservative Bischof von Chur, zu dessen Diözese Nidwalden, Zürich und Graubünden gehören, argumentiert, dass die Kirche Solidarität von den Gläubigen selbst erwarten könne, nicht aber unbedingt von Firmen, da diese in der Natur der Dinge keinen Glauben oder keine Seele hätten, die es zu retten gelte.

«Wir werden uns deshalb in den anstehenden Abstimmungskämpfen neutral verhalten», schrieb Giuseppe Gracia, Medienbeauftragter des Bistums Chur, in einer Presseerklärung. 

Vollständige Abschaffung? 

Könnte die Abschaffung der Kirchensteuer für juristische Personen allenfalls erst der Anfang sein? Könnte die Kirchensteuer für natürliche Personen, für individuelle Steuerzahler, das nächste Ziel im Visier sein?

«Es gibt einen wichtigen Unterschied zwischen diesen beiden Steuerarten», erklärt Pahud de Mortanges. «Juristische Personen sind zwangsweise verpflichtet, diese Steuer zu bezahlen, solange sie ihren Sitz im entsprechenden Kanton haben. Natürliche Personen können sich hingegen von der Kirchensteuerpflicht befreien, indem sie aus der entsprechenden Kirche austreten.»

«Das ergibt sich aufgrund der verfassungsrechtlich geschützten Religionsfreiheit. Wenn Individuen Kirchensteuern bezahlen, tun sie dies also letztlich freiwillig. Ein solches System wird seitens der Politik oder Wirtschaft wohl kaum auf Kritik stossen.»    

Italien und Spanien hatten traditionell Kirchensteuern und es gibt sie immer noch, heute hat man aber die Wahl, die Abgaben stattdessen den Sozialwerken zukommen zu lassen.

In Skandinavien sind die evangelisch-lutherischen Kirchen Staatskirchen, in Dänemark und Schweden werden Kirchensteuern erhoben, nicht aber in Norwegen. Kirchensteuern werden auch in Finnland erhoben.

Im übrigen Europa gibt es keine eigentlichen Kirchensteuern, Landeskirchen oder andere Religionen werden aber teilweise vom Staat mit Geldern aus den allgemeinen Steuerabgaben unterstützt.

Historisch hat die Kirchensteuer in Europa das System des «Zehnten» abgelöst. Der «Zehnte» entsprach 10% des Einkommens und war im Auftrag der vom jeweiligen Monarchen anerkannten Kirche eingetrieben worden.

Grossbritannien hat zwei Staatskirchen (Schottland: presbyterianische, reformierte Kirche; England: anglikanische Kirche), Kirchensteuer wird keine erhoben.

In den USA wurde nie eine Kirchensteuer erhoben. Die Verfassung schreibt eine strikte Trennung von Staat und Kirche vor.

Leben nach der Steuer?

Konservative Kräfte in der römisch-katholischen Kirche möchten jedoch das ganze System abgeschafft sehen. Huonders Stellvertreter, Generalvikar Martin Grichting, ist ein ausgesprochener Verfechter der Abschaffung der Kirchensteuer.

Der Experte für Kirchenrecht argumentiert, die Kirchensteuer sollte durch Spenden oder eine freiwillige Steuer ersetzt werden. Seiner Ansicht nach ist die heutige Beziehung zwischen Kirche und Staat schlicht unvereinbar mit dem Kirchenrecht, denn das Wesen der Kirche sei hierarchisch und nicht-demokratisch.

«Nur in der Schweiz, in Österreich und in Deutschland kennt man die aktuelle Kirchensteuer», erklärte Grichting im Schweizer Fernsehen SRF. «97% der Katholiken auf der Welt finanzieren ihre Kirchen auf andere Weise.»

Aber könnten die Kirchen in der Schweiz ganz ohne Steuereinnahmen überleben? «Je nach Kanton machen die Einnahmen aus den Kirchensteuern juristischer Personen mehr oder weniger aus», sagt Pahud de Mortanges unter Verweis auf die Studie, die er mitverfasst hat.

«Entsprechend wären die Kirchen vom Wegfall dieser Steuer in unterschiedlichem Ausmass betroffen. Der Wegfall der Kirchensteuer natürlicher Personen wäre indessen in jedem Fall mit dramatischen Folgen für die Kirchen verbunden. Das zeigt die Situation in den Kantonen Genf und Neuenburg, wo es keine Kirchensteuern gibt und die Kirchen entsprechend – im Vergleich zur restlichen Schweiz – sehr wenig Geld zur Verfügung haben. Das hat natürlich eine dramatische Reduktion ihrer Dienste und Leistungen zur Folge.»

Die Kirchensteuer ist eine Besonderheit der deutschsprachigen Länder, aber mit nationalen Unterschieden. In Deutschland werden natürliche Personen besteuert, nicht aber Unternehmen. Und in Österreich wird die Kirchensteuer nicht durch den Staat erhoben, sondern von den Kirchen selbst.

Auch in Deutschland und Österreich gebe es föderale Unterschiede, sagt Pahud de Mortanges. «Was in der Schweiz hingegen einzigartig ist, ist die Möglichkeit der Kirchenmitglieder, über die Verwendung der Steuereinnahmen mitzubestimmen (mehr dazu siehe Faktenbox). Gerade für die katholische Kirche ist das bemerkenswert. Das garantiert eine ‹basisnahe› Verwendung der finanziellen Mittel in der Kirche.»   

(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)

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