Bevölkerung kämpft gegen Küstenerosion und Kohlekraft
Wegen gravierender Probleme mit der Energieversorgung will Senegal fünf Kohlekraftwerke bauen. Eines dieser Kraftwerke soll in Bargny in Betrieb gehen, einem Fischerstädtchen südlich von Dakar. Doch die Bevölkerung ist gegen das Projekt. Befürchtet werden negative Folgen für die Umwelt, da die Gegend bereits unter dem Anstieg des Meeresspiegels leidet. Ein Augenschein.
Ndèye Yacine Dieng ist erbost: «Sehen Sie das Haus dort im Meer. Vor einem halben Jahr haben wir dort noch gewohnt. Bargny hat sich durch die Kostenerosion total verändert.» Die Stimme der Frau ist gebrochen, wenn sie spricht und von «ihrem» Meer erzählt, das nun zu einem unvorhersehbaren Feind geworden ist: «Haben Sie die Wellen gesehen? Manchmal werden sie bis zu 10 Meter hoch – die Sandsäcke können dagegen nichts ausrichten. Als Folge dieser Veränderung müssen wir nun alle unter einem Dach leben: Mütter, Schwiegereltern, Schwiegertöchter, Kinder, Grosseltern. So etwas habe ich hier in Bargny noch nie gesehen.»
Bargny, 40‘000 Einwohner, rund 30 Kilometer südlich von Dakar gelegen, gehört zu den vier Gebieten Senegals, die von der Küstenerosion am stärksten betroffen sind. Das Meer hat in wenigen Jahren Dutzende von Häusern vereinnahmt. Die Erosion scheint unaufhaltbar.
Die Vorhersagen der WeltbankExterner Link (2012) für diese Gegend sind äusserst beunruhigend. Wenn der Meeresspiegel weiter ansteigt, werden bis 2080 zwei Drittel der Küstengebiete verschwinden. Momentan leben rund 60 Prozent der Bevölkerung (7,8 Millionen Einwohner) in den Küstengebieten. Dort werden 68 Prozent des Bruttoinlandprodukts erwirtschaftet.
Die fortschreitende Erosion stellt für die bereits schwache Wirtschaft Senegals eine ernsthafte Bedrohung dar. Fischfang und Tourismus sind momentan die Grundpfeiler der Wirtschaft. Doch wer will dort noch Ferien machen, wenn die Strände verschwunden sind?
Klimawandel und Meeresspiegelanstieg
Senegal gehört zu den Ländern, die weltweit am stärksten von Küstenerosion betroffen sind. Dieses Phänomen hängt in erster Linie mit dem Klimawandel zusammen. In Folge der Erderwärmung nimmt die Meerestemperatur zu. Ein Anstieg des Meeresspiegels ist die Folge.
«Es gibt aber noch weitere, menschengemachte Gründe», sagt Fadel Wade, Mitglied einer Nichtregierungsorganisation, die Bargny gegen den Klimawandelt kämpft. «In Senegal wird Sand aus dem Meer für den Bau von Häusern genutzt. Das hat auch zur Küstenerosion beigetragen. Wir versuchen, die Bevölkerung dazu zu sensibilisieren, Sand aus den Dünen zu benutzen. Doch das ist gar nicht einfach. Denn die Menschen hier sind überzeugt, dass Sand aus dem Meer auf Grund seiner Grobkörnigkeit besser geeignet ist. “
Obwohl die sozio-ökonomischen Folgen dieser Situation bereits spürbar sind, gibt es in Senegal keine nationale Strategie im Kampf gegen die Küstenerosion. «Die Regierung hat uns ein paar Kilo Reis angeboten, aber wir wollen unser Haus zurück. Wo ist der Staat?», empört sich Ndèye Yacine Dieng als Sprecherin der Frauen von Bargny.
Neue Risiken durch Kohlekraft
Die Bewohner von Bargny fühlen sich im Stich gelassen und verraten. Die Gemeinde hatte den von der Küstenerosion betroffenen Familien neue Grundstücke zugesichert. Doch in unmittelbarer Nähe des Baulands soll ein Kohlekraftwerk mit einer Leistung von 125MW entstehen. Es soll 55 Millionen Euro kosten und durch die Afrikanische EntwicklungsbankExterner Link finanziert werden. Beteiligt am Projekt ist auch eine Schweizer Firma.
Doch in der Bevölkerung ist niemand von dem Projekt überzeugt. Grund: Mit den Folgen der Kohlekraft für Umwelt und Gesundheit hat man bereits Bekanntschaft gemacht. In dem Städtchen steht bereits das grösste Zementwerk Westakfrikas. Und diese wird durch ein Kohlekraftwerk mit elektrischer Energie versorgt. Die Region liegt häufig unter einer dichten Staubwolke.
In Bargny will man daher von einem weiteren Kohlekraftwerk nichts wissen und hat eine Anzeige bei der Orgnisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) eingereicht. Ibrahima Diagne gehört zu den Wörtführern in diesem Kampf gegen das neue Kohlekraftwerk. Er hat sich intensiv mit den Folgen einer solchen Anlage für die Region beschäftigt, insbesondere mit den Auswirkungen für Umwelt und Gesundheit der Menschen. Denn das Kraftwerk soll nur wenige Hundert Meter neben den Siedlungsgebieten entstehen.
Unter den fossilen Brennstoffen produziert Kohle anteilmässig am meisten CO2, ein Treibhausgas, das einen entscheidenden Anteil am Klimawandel hat. Das Meer erfüllt zudem eine Pufferfunktion für das Kraftwerk: Fünf Pumpen werden pro Stunde 15‘000 Kubikmeter Wasser ansaugen, um es dann wieder ins Meer zurückzuleiten – allerdings 10 Grad wärmer. Was bedeutet das für das Ökosystem Meer?», fragt Ibrahima Diagne.
Es ist zudem nicht klar, wo die Rückstände deponiert werden sollen, die nach der Verbrennung von 400‘000 Tonnen Kohle pro Jahr entstehen werden. «Uns wird erzählt, dass die jungen Leute dank des neuen Kohlekraftwerks Arbeit haben werden. Doch um diesen Job zu machen, muss man vor allem gesund sein und wissen, dass Kohle das Risiko von Krebs und Atemwegserkrankungen erhöht», sagt Ndèye Yacine Dieng.
40 Prozent Senegals im Dunkeln
Kohlekraft mit Schweizer Beteiligung
Das Projekt für ein Kohlekraftwerk in Bargny war 2009 vom damaligen Präsidenten Abdulaye Wade lanciert worden. Die Bauarbeiten begannen 2013, wurden aber ein Jahr später auf Grund der Proteste der Bevölkerung gestoppt.
In der Zwischenzeit hat das schwedische Unternehmen Nykomb Synergetics Development, das die Auschreibung gewonnen hatte, einen Rückzieher gemacht. Eingesprungen ist das indische Unternehmen Promac, das auch schon eigene Arbeiter nach Bargny geschickt hat. Dies löste eine gewisse Nervosität bei der Bevölkerung aus.
An dem Projekt ist auch eine Schweizer Firma beteiligt (Comptoire Balland Brugneaux). Diese erhielt den Auftrag für den Transport der Kohle von Südafrika nach Senegal. swissinfo.ch hat das Schweizer Unternehmen mit Sitz in Genf kontaktiert, um mehr Details zu erhalten. Doch die Firma beantwortete die Fragen nicht.
Allerdings muss auch erwähnt werden, warum der Staat Senegal in ein solch ehrgeiziges Energieprojekt mit fünf Kohlekraftwerken investiert. Grund sind gravierende Lücken bei der Energieversorgung. In Dakar und vielen anderen Orten fällt der Strom oft mehrmals täglich aus. Das hat Folgen für die Bevölkerung und die Wirtschafts des Landes.
«Senegal steht vor den dauerhaften Problemen, die dringendsten Bedürfnisse der Bevölkerung stillen zu müssen und eine langfristige Energiestrategie zu entwickeln», meint Moussa Diop, Mitarbeiter der nationalen Energiegesellschaft, welche die Kohlekraftwerke plant, und Vizepräsident des nationalen Komitees gegen den Klimawandel. Momentan werde der Energiebedarf in den Städten nur zu 60 Prozent gedeckt, auf dem Land nur zu 26 Prozent.
Die Energieversorgung Senegals beruht zurzeit vor allem auf Erdöl. «Als der Preis für Rohöl anstieg, bekamen unsere Politiker Angst. Sie entschieden sich daher, auf Kohlekraft zu setzen. Auch Europa, so sagten sie sich wohl, konnte sich dank Kohle und fossiler Energieträger entwickeln. Erneuerbare Energien können erst in einem zweiten Schritt kommen. Zumal diese Alternativen in Senegal kaum vorhanden und sehr teuer sind. Es gibt gut ausgebildete Ingenieure, die sich in der Verarbeitung fossiler Energieträger ausgebildet haben, nicht aber im Bereich erneuerbarer Energien», hält Moussa Diop fest.
Gemäss dem Energieexperten Diop ist es ein grosses Problem, dass noch keines der fünf Kohlekraftwerke in Betrieb ist. Denn bevor Senegal in grüne Technologien invetiert, will es in der Energieversorung dank Kohlekraft einen höheren Selbstversorgungsgrad erreichen. «Diese ganzen Verzögerungen könnten dazu führen, dass Senegal sein gesetztes Ziel, bis 2017/18 rund 20 bis 30 Prozent seiner elektrischen Energie aus erneuerbaren Energiequellen zu generieren, nicht erreicht», so Moussa Diop.
Reiche und arme Länder
Die Kosten für erneuerbare Energien und die damit verbunden Lasten für die armen Länder gehören zu den heissen Themen an der Klimakonferenz in Paris (COP21). Der ehemalige Exekutivdirektor der Schweiz bei der Weltbank, Pietro Veglio, ist fest davon überzeugt, dass Europa und die internationalen Finanzorganisationen mehr tun müssen, um die Entwicklungsländer bei Investitionen in saubere Energie zu unterstützen. Dies sagte er in einem Interview mit dem Schweizer Fernsehen SRF.
In einem Land wie Senegal könnte laut Veglio die Stromgewinnung aus photovoltaischen Anlagen vor allem in ländlichen Gebieten nützlich sein, während Kohlekraftwerke nützlich sein könnten, um den Energiebedarf der Städte zu decken. «Die Einbindung und Beteiligung der Bevölkerung an diesen Prozessen erscheint mir fundamental. Im Fall von Bargny kann ich nicht verstehen, dass die Afrikanische Entwicklungsbank keine Strategie entwickelt hat, um soziale und umweltgerechere Lösungen zu finden», hält Veglio fest.
Die Afrikanische Entwicklungsbank hält auf Anfrage fest, dass sich das Kohlekraftwerk ausserhalb der gesetztich festgelegten Sicherheitszone befände. Moussa Diop anerkennt hingegen, dass der Ort Bargny schon mit vielen Umweltproblemen zu kämpfen hat: «Das Kohlekraftwerk könnte tatsächlich delokalisiert werden.»
Von Worten zu Taten
Senegals Präsident Macky Sall erklärte an der Klimakonferenz von Paris, dass er bereit sei, den Einsatz von Kohle zur Energiegewinnung einzuschränken, wenn die reichen Länder Überangslösungen für Schwellen- und Entwicklungsländer im Energiesektor finanzieren würden. Das ist ein zentraler Punkt für die Debatten in Paris anlässlich der Klimakonferenz COP21.
In Bargny mit seinen 40‘000 Einwohnern setzt man grosse Hoffnungen auf den Klimagipfel, vor allem aber hofft man, dass den Worten auch Taten folgen. «Wir wissen, dass Senegal grosse Probleme mit der Energieversorgung hat, doch deshalb gibt es kein Recht, Bargny zu zerstören“, sagt eine entschlossene Ndèye Yacine Dieng. «Wir sind sehr müde… aber wir werden weitermachen, denn unsere Leben sind nicht verhandelbar.»
Rund 40 Prozent der weltweiten Energie wird durch Kohle erzeugt. Dieser fossile Energieträger wird zugleich für rund einen Drittel des Ausstosses von Treibhausgasen verantwortlich gemacht. Die grössen Produzenten sind China, USA, Indien und die Europäische Union.
Der Kohleverbrauch ist weltweit zwischen 1990 und 2012 um 55 Prozent angestiegen, auch dank der relativ tiefen Kosten. Beim Klimagipfel COP21 in Paris verlangt eine Koalition von Nichtregierungsorganisationen eine «Dekarbonisierung» der Weltwirtschaft. Der Ausstoss an CO2 müsse auf Null zurückgefahren werden und Energie zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energiequellen erzeugt werden.
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
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