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Lieber Hausarzt im Tessin als Chirurg in Rom

Il medico Massimiliano La Fauci nel suo studio, seduto davanti alla scrivania.
Die Arbeitstage eines Hausarztes sind sehr lang. Nach der Betreuung der Patienten während 8 bis 9 Stunden verbringt Massimiliano La Fauci noch einige Stunden mit Analyseergebnissen und administrativen Arbeiten. swissinfo.ch

Von Rom nach Bellinzona: Massimiliano La Fauci hat seine Tätigkeit als Chirurg in der italienischen Hauptstadt aufgegeben und führt heute eine Praxis für Allgemeinmedizin im Tessin. Die Aktivität als Hausarzt findet er ausgesprochen attraktiv.

Dieser Artikel ist Teil einer Serie über «Probleme im Schweizer Gesundheitswesen».

Doktor La Fauci empfängt uns persönlich am Eingang seiner Praxis. Den weissen Kittel trägt er nicht. Dank seiner offenen Art fühlt man sich gleich wohl. Und so dürfte es wohl auch seinen Patientinnen und Patienten gehen.

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Im Gespräch wollen wir herausfinden, was den 45-Jährigen bewogen hat, Hausarzt in der Schweiz zu werden, in einem Land, das unter einem Hausarztmangel leidet, weil die Mehrheit der Studienabgänger Facharzt werden will.

Keine stringente Planung

Der Berufsweg von Massimiliano La Fauci ist durch eine Vielzahl von Zufällen gekennzeichnet. Als Medizinstudent in Rom hatte er sich seine Laufbahn ganz anders vorgestellt. Er wollte seine gesamte Spezialisierung als Chirurg im Ausland machen, doch nach Erfahrungen in England und Deutschland musste er nach Rom zurückkehren.

Er traf dann einen ehemaligen Studienkollegen, der bereits in Bellinzona tätig war. Dieser legte ihm nahe, denselben Schritt zu tun. «Ich habe es versucht und bin geblieben», sagt er lachend.

Im Jahr 2009 kam der iChirurg in die italienische Schweiz. Nach einer kurzen Phase in einem Spital von Locarno fand er eine Anstellung in einer bekannten Klinik von Lugano. 2015 ergab sich dann in Folge Pensionierung des Praxisinhabers die Gelegenheit, eine grosse Praxis in Bellinzona zu übernehmen. «Ich packte die Gelegenheit beim Schopf – und voilà: hier bin ich», so La Fauci.

Mittlerweile verwendet Massimiliano La Fauci sein OP-Besteck nur noch äusserst selten – gelegentlich für einen ambulanten Eingriff in seiner Praxis. Obwohl er auf Chirurgie spezialisiert ist, hat er auch Ausbildungseinheiten in Allgemein- und Notfallmedizin absolviert. Auch in den sechs Jahren in Lugano hat er allgemeinmedizinische Erfahrungen gesammelt.

Edificio in cui si traova l ambulatorio medico La Fauci.
Massimiliano La Fauci übernahm die Hausarztpraxis in Bellinzona von einem Kollegen, der sich pensionieren liess. swissinfo.ch

Psychologe und Pfarrer

Doktor La Fauci erweckt den Eindruck, die richtige Wahl getroffen zu haben. Wenn er über seinen Beruf spricht, flammt Leidenschaft auf. «Ein Hausarzt muss ein wenig wie ein Psychologe und Pfarrer zugleich sein, der einen Patienten über Jahre begleitet, physisch und psychisch kennt, und ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis aufbaut», so La Fauci, «und wenn dies gelingt, bin ich sehr zufrieden.»

Für den italienischen Arzt machen gerade die zwischenmenschlichen Beziehungen die Faszination seines Berufes aus. «Das geht über eine einfache berufliche Tätigkeit hinaus», hält er fest. Und es sporne ihn stets an, das Maximum zu geben.

Honorierung als wunder Punkt

Massimilano La Fauci spricht mit grossem Engagement über seinen Beruf. Auf die Feststellung, dass heute viele junge Mediziner lieber Fachärzte werden, weil sich dort mehr Geld verdienen lässt, rollt er die Augen.

«Ich kann mich über meinen Verdienst nicht beklagen. Ich werde nicht besonders reich, aber ich kann finanziell problemlos das Leben meistern», hält er fest.

Gleichwohl tut auch er sich mit der Honorar-Entschädigungspraxis und den Kontrollen von Seiten der Krankenkassen schwer. «Es braucht Kontrollen, aber wenn ich 40 Minuten für einen Patienten brauche, ich es nicht richtig, dass ich nur 20 oder maximal 30 Minuten abrechnen kann.»

Hohe Belastung

Doktor La Fauci weist zudem darauf hin, dass dieser Beruf eine hohe physische und psychische Belastung mit sich bringt. Im Laufe eines Tages sieht er etliche unterschiedliche Patienten und Pathologien; ist mit einer Vielzahl von Problemen konfrontiert. Und als Hausarzt muss er damit allein fertig werden – «im Rahmen der eigenen Fähigkeiten und Grenzen.»

Die Arbeitstage können zudem sehr lang sein. 8 bis 9 Stunden an Untersuchungen und Gesprächen sind durchaus normal. Dazu noch mehrere Stunden, in denen Berichte zu lesen und Testergebnisse zu analysieren sind. Und natürlich gibt es auch noch die obligatorischen Pikett-Dienste.

Im vergangenen Jahr betreute La Fauci zwischen 1200 und 1300 Patienten. «Es gibt nicht sehr viele Hausärzte, daher haben wir eine sehr hohe Zahl an Patienten», sagt er. Es handelt sich folglich um harte Bedingungen.

Ungeduldige Patienten

Der Stress kann noch zunehmen, wenn bestimmte Patienten ungeduldig sind. «Einige Personen sind nicht mehr in der Lage zu warten; sie denken nur an sich selbst. Sie denken nicht daran, dass ein Arzt für viele Patienten da ist», erzählt er.

So komme es vor, dass Patienten wegen eines Schnupfens lieber zu einem anderen Arzt gingen als bei ihm warten zu müssen. «Das ist schon ein wenig frustrierend», hält er fest.

La Fauci ist verheiratet und Vater von drei kleinen Kindern. Wegen der hohen Arbeitsbelastung komme die eigene Familie aber zu kurz, klagt er. Seine Frau habe ihre Tätigkeit als Krankenschwester aufgegeben, «um sich mit Leib und Seele um unsere Kinder zu kümmern. Zwei Mal pro Woche hilft sie mir zudem in der Praxis.»

Mangel an Hauausärzten

Trotz dieser Nachteile liebt La Fauci seinen Beruf: «Es ist mehr eine Berufung und eine Mission als ein Beruf. Auch wenn es hart ist, bin ich sehr zufrieden.»

Dieses Feuer für den Hausarztberuf scheinen indes immer wenige Jungärzte in der Schweiz zu spüren. Laut einer Mitteilung des Verbandes der Haus- und Kinderärzte Schweiz (mfe) www.hausaerzteschweiz.ch aus dem Jahr 2017 fehlen im ganzen Land rund 2000 Hausärzte.

Befragungen an den medizinischen Fakultäten der Universitäten ergaben zudem, dass nur 10% der Medizinstudenten beabsichtigt, Hausarzt zu werden. «Auch wenn in einigen Jahren dieser Anteil auf 20% steigen sollte, werden 2025 sogar 5000 Hausärzte fehlen», moniert der Verband, der fordert, dass der Bund schnell Massnahmen ergreifen müsse, um diesen Trend zu stoppen. 

Fast 37‘000 Ärzte in der Schweiz

Gemäss Erhebungen des Berufsverbandes der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH www.fmh.chExterner Link) praktizierten Ende 2017 in der Schweiz rund 36‘900 Ärzte. Das sind 2% mehr als im Vorjahr. 51,1% waren in Arztpraxen tätig, 47,3% in Spitälern, 1,6% in anderen Branchen (Verwaltung, Versicherungen). 22,5% aller Ärzte sind Allgemeinmediziner. Bei den Zulassungen 2017 machten Allgemeinmediziner 37,9% aus. 


(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

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