Materialtransport-Seilbahnen: eine ständige Versuchung
Ein Seilbahn-Unfall, bei dem ein Ehepaar getötet und dessen Kleinkind schwer verletzt wurde, sorgt in der Schweiz für Schlagzeilen. Weil die Verunfallten mit einer Materialtransportseilbahn befördert wurden, die für Personen nicht zugelassen ist, stellen sich auch Fragen nach der Kontrolle.
In der Schweiz gibt es nicht nur hunderte Seilbahnen, die Touristen und Einheimische über Gletscher, Felswände und Schluchten in die Berge hinauf- und hinabführen, sondern auch tausende Materialtransportseilbahnen in mehr oder weniger unwegsamem Gelände. Zum Beispiel Baustellen für Lawinenverbauungen, Staudämme oder touristische Anlagen, aber auch Gaststätten und Alpwirtschaften können dank solcher Bahnen zu jeder Jahreszeit versorgt werden.
Weshalb die verunglückte Familie mit der Materialtransportseilbahn von einer abgelegen Alp im Kanton Schwyz zu Tal gelassen wurde, obwohl solche Bahnen nicht für Personentransporte zugelassen sind, wurde bisher nicht bekannt. In verschiedenen Medienberichten hiess es, dass ein ausländischer Alpmitarbeiter die Bahn bedient habe, der erst seit wenigen Tagen auf der Alp arbeite.
«Der Maschinist hatte wahrscheinlich keine Ahnung», mutmasst Seilbahnbauer Anton Pfyl, der die Bahn vor dreizehn Jahren teilerneuert hatte. Bei der Teilrevision sei auch das Trag- und Zugseil ersetzt worden. An der Seilwinde habe er damals keine Arbeiten verrichtet. «Diese Bahn kann man nicht einfach mit einem Knopfdruck bedienen, sondern man muss die Bremse lösen, den Gang einschalten und die Fahrt mit einem Hebel steuern», sagt Pfyl gegenüber swissinfo.ch.
2012 gab es in der Schweiz 1749 Personentransportbahnen. Rund die Hälfte davon waren Skilifte (Schlepplifte), 75 Prozent davon liegen in den Gebirgsregionen, Graubünden, Bern und Zentralschweiz.
Materialseilbahnen werden von den Behörden nicht geprüft. Die genaue Anzahl ist nicht bekannt. Das Bundesamt für Luftfahrt (Bazl) erfasst nur jene, die eine Gefahr für den Flugverkehr sein könnten (Bahnen, die auf bebautem Gebiet eine Höhe von mindestens 60 Metern, und auf unbebautem Gebiet von mindestens 25 Metern haben). Von diesen hat das Bazl 1800 erfasst.
(Quelle: Verband Seilbahnen Schweiz, Bundesamt für Zivilluftfahrt)
«Nur Mitglieder der Familie»
Auch ein Profi hätte die Familie nicht befördern dürfen, weil Materialseilbahnen grundsätzlich nicht für Personentransporte zugelassen sind, sagt Urs Braschler, Präsident des Interkantonalen Konkordats für Seilbahnen und Skilifte (IKSS).
Trotzdem werden diese Seilbahnen – vor allem von den Besitzern selbst – nicht nur im Notfall für Personentransporte benutzt. Sogar eine ehemalige Kantonsratspräsidentin, die in Engelberg eine Transportseilbahn für ihre Alp besitzt, hat gegenüber einer Zeitung bestätigt, dass Mitglieder der Familie die Bahn ab und zu benutzten.
«Das ist menschliches Verhalten. Wenn Sie oder ich zum Beispiel nach einer langen Wanderung die Wahl hätten, die letzten steilen hundert Meter zu Fuss oder allenfalls halt doch mit der Seilbahn zu bewältigen, würden wir vielleicht auch abwägen. Da ist die Versuchung vorhanden», sagt Braschler.
Für die Bewirtschafter von Alpen, die nur zu Fuss oder eben mit einer Materialseilbahn erreichbar sind, gehört dieses Abwägen zum Alltag.
«Aber, man setzt sich einem Risiko aus. Und wenn man diese Bahnen anschaut, muss man stutzig werden: Bei vielen handelt es sich um sehr einfache Konstruktionen mit keinen oder minimalen Sicherheitsvorkehrungen. Und Laien können nicht beurteilen, ob die Bahn regelmässig gewartet wurde, und in welchem Zustand sie ist.»
«Welten liegen dazwischen»
Dass eine idyllische Alp nicht mit einer Strasse, sondern einer Seilbahn erschlossen wird, hat manchmal nicht nur ökologische, sondern auch geländetechnische Gründe. Aber weshalb werden dort nicht generell Seilbahnen errichtet, die auch für die Beförderung von Personen zugelassen sind?
«Punkto Sicherheit liegen Welten dazwischen», sagen Konstrukteure von Materialseilbahnen, aber auch punkto Kosten. Eine Personenseilbahn ist um ein Mehrfaches teurer als eine einfache Materialseilbahn. Anstatt um wenige zehntausend, geht es um mehrere hunderttausend Franken.
«Personenseilbahnen werden sehr genau geprüft», erklärt der Präsident des IKSS, das im Auftrag von 21 Kantonen für die sicherheitstechnische Aufsicht von kleineren Personenseilbahnen (bis 8 Personen) zuständig ist. Grössere Personenseilbahnen genehmigt und kontrolliert der Bund.
Für eine Betriebsbewilligung brauchen die Betreiber u.a. eine Baubewilligung, den Nachweis des Versicherungsschutzes, sowie einen positiven Abnahme-Inspektionsbericht des IKSS. «Vor der Abnahmeinspektion prüfen wir die Projekteingaben sowie umfangreiche sicherheitstechnische Pläne», erläutert Urs Braschler. «Ausserdem ist der Betreiber einer Personenseilbahn dem Bundesgesetz über Seilbahnen unterstellt. Seine Freiheit ist viel eingeschränkter».
Die Betreiber von Materialseilbahnen hingegen sind selber für die Sicherheit und Wartung ihrer Anlagen verantwortlich. Sie benötigen lediglich eine kantonale oder kommunale Baubewilligung.
«Wenn die Bahn nicht über öffentliche Plätze oder Infrastrukturanlagen führt, kann sie der Betreiber nach eigenen Massstäben bauen und betreiben. Materialseilbahnen gehören zum privaten Raum und werden von keiner Behörde kontrolliert. Der Gesetzgeber hat dies so gewollt und die Materialseilbahnen dem Seilbahngesetz nicht unterstellt. Deshalb wird es auch in Zukunft hin und wieder solche Unfälle geben», befürchtet der IKSS-Präsident.
Warnschilder anbringen!
Er empfiehlt den Betreibern, Schilder anzubringen, die deutlich darauf hinweisen, dass die Bahn nicht für die Beförderung von Personen zugelassen ist. «Damit könnten sie gegenüber Drittpersonen wie Wanderern auch leichter verständlich machen, weshalb sie diese nicht transportieren dürfen.»
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