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Netz in Berlin, Redaktion in der Schweiz

Peer Teuwsen: "Der ZEIT geht es so gut wie noch nie." Keystone

Innert vier Jahren konnte die deutsche Wochenzeitung DIE ZEIT ihre Verbreitung in der Schweiz verdoppeln. Hauptgrund sind die 2008 lancierten Seiten über die Schweiz. Grund für den Erfolg sind zweifelsohne auch die Dauerthemen Steuerflucht und Bankgeheimnis.

Einfach ist es in der Schweiz nicht, ein Exemplar der ZEIT zu kaufen. An vielen Kiosken stechen neben den Hochglanzmagazinen die Blätter der jeweiligen Region oder auch türkische und italienische Zeitungen viel eher ins Auge.

An einem der grossen Bahnhofkioske der Hauptstadt liegt sie versteckt unter dem grossen deutschen Boulevard-Blatt. Mit einem Preis von 7.30 Franken ist DIE ZEIT eine teure Zeitung. Das überdimensionierte Format ist dazu noch unhandlich.

«Der ZEIT geht es so gut wie noch nie», sagt Peer Teuwsen, der Leiter der Schweizer Redaktion gegenüber swissinfo.ch. Er meint damit die Zeitung als Ganzes, aber auch den vor vier Jahren lancierten, drei Seiten umfassenden Schweizer Teil.

«Vorher hatten wir in der Schweiz eine Auflage von 5000 Exemplaren, jetzt sind es 10’000, manchmal auch 14’000. Die Tendenz ist weiter steigend. Für die ZEIT ist der Schweizer-Teil ein sehr gutes Geschäft und schon seit langem selbsttragend.» Die Zahl der Abonnenten steige kontinuierlich, der Kiosk-Verkauf stagniere: «Wir sind zu 80% eine Abonnements-Zeitung.»

Paywall ist kein Thema

In der Online-Ausgabe können die Artikel gratis gelesen werden. Ein Bezahlsystem ist jedoch kein Thema. «Wir gehen davon aus, dass Online und Print zwei unterschiedliche Publika ansprechen, die sich gut ergänzen. Online hat ein sehr junges Publikum. Viele wechseln mit der Zeit von Online auf Print. Deshalb wäre eine Paywall nicht sinnvoll», begründet Teuwsen den Verzicht.

Die Leserinnen und Lesern seien «gebildete Leute, meistens Akademiker, es sind Leader aus Wirtschaft und Politik» und auch an den Universitäten sei das Blatt gut verankert, so Teuwsen. Dass die Zeitung – im Gegensatz zu andern Qualitätszeitungen in Europa – die Krise «überhaupt nicht spürt», habe auch damit zu tun, «dass sie sehr vorsichtig investiert, also keine sprunghaften Investitionen vornimmt».

Beide Seiten erklären

Inhaltlich konzentriere sich der Schweizer Teil auf die «grossen Fragen, denen sich die Schweiz stellen muss». Also Themen wie Zuwanderung, das Verhältnis zur EU, Krise der Grossbanken und natürlich der Steuerstreit zwischen der Schweiz und Deutschland: die CD-Käufe, die Razzien bei Schweizer Grossbanken in Deutschland und die politische Auseinandersetzung um Steuerflucht und Bankgeheimnis.

«Wir versuchen, beide Seiten zu erklären. Das gehört zum Konzept. So ein Konflikt wie der Steuerstreit kommt uns tatsächlich entgegen, da wir das vielleicht besser erklären und mehr auf die deutsche Seite eingehen können als andere Medien, die in Berlin nicht ein so enges Netz haben wie wir», sagt Teuwsen.

Harte Hunde in Singapur

Statt darüber zu spekulieren, ob die Deutschen ihr Schwarzgeld in Singapur parkieren werden, wenn es in der Schweiz vor dem deutschen Fiskus nicht mehr sicher sein wird, reiste ein Reporter der ZEIT selbst nach Singapur. «Für ein paar Millionen aus Deutschland setzt niemand sein Geschäft aufs Spiel» sagt ein anonym bleiben wollender Banker in Singapur.

Die Erklärung: Die Singapurer Finanzmarktaufsicht hat kürzlich verfügt, dass hart bestraft werde, wer Gelder annehme, die aus Steuerdelikten in den USA oder in Europa stammten. «Die Banker spurten, denn die Singapurer Regulatoren gelten als harte Hunde», schreibt die ZEIT.

Allgemeine Entwicklung am Rande

Mit einer Randregion der Schweiz befasst sich eine andere Reportage. Es ist die Geschichte darüber, die der Aufschwung doch noch in das einstige Armenhaus der Schweiz, die Region um das jurassische Städtchen Pruntrut, gekommen ist.

Zu verdanken hat Pruntrut den Segen nicht der lokalen Wirtschaftsförderung, sondern den beiden französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy und dessen Nachfolger François Hollande. Sarkozy liess 20 Autominuten von Pruntrut entfernt, im französischen Niemandsland, einen TGV-Bahnhof bauen. Und Hollande lässt die reichen Franzosen höher besteuern.

Pruntrut wirbt nun mit dem Slogan «la ville suisse plus proche de Paris», denn die Fahrt im TGV dauert lediglich gut zwei Stunden. Und der sichere Hafen in der Schweiz hat reiche Franzosen dazu animiert, in Pruntrut Immobilen und Land zu kaufen.

«Die Jura-Reportage ist ein gutes Beispiel, wie wir an Themen rangehen. Es ist ein Thema, das am konkreten, kleineren Beispiel eine allgemeine Entwicklung zeigt», sagt Peer Teuwsen.

Die deutsche Presse erlebt nach Einschätzung der Bundes-Agentur für Arbeit derzeit die grösste Entlassungswelle seit Bestehen der Bundesrepublik.

Die vor knapp 13 Jahren lancierte Wirtschaftszeitung Financial TimesDeutschland ist am 7. Dezember zum letzten Mal erschienen.

Die Frankfurter Rundschau musste im November Insolvenz anmelden.

Bereits Ende September war die Abendzeitung Nürnberg nach 93 Jahren eingestellt worden.

Allein die Insolvenz der Frankfurter Rundschau bedroht fast 500 Arbeitsplätze. Bei den Gruner + Jahr-Wirtschafts-Medien, zu denen die Financial Times Deutschland gehört, sind mehr als 300 Mitarbeiter betroffen.

Der Berliner Verlag (Berliner Kurier und Berliner Zeitung) sieht sich nach eigenen Worten gezwungen, mindestens 40 Stellen einzusparen, vielleicht werden es auch doppelt so viele. Bei der Abendzeitung Nürnberg wurden 35 Mitarbeiter arbeitslos.

Deutsche Verlage hatten wegen gesunkener Erlöse auf dem Print-Anzeigenmarkt zuletzt Schliessungen, den Abbau von Arbeitsplätzen oder Umstrukturierungen angekündigt. Insgesamt sind Hunderte Arbeitsplätze betroffen.

Peer Teuwsen ist von den Lesern des Fachmagazins Schweizer Journalist zum «Journalist des Jahres» 2012 für den deutschsprachigen Raum gewählt. Teuwsen erhielt bei der achten Auflage der Auszeichnung die meisten Stimmen.

Teuwsen habe «mit den Schweizer Seiten der ZEIT eine neue Stimme im politischen Diskurs etabliert» und stehe damit «für Qualitäts-Journalismus», hiess es in den Begründungen der Abstimmenden.

Insgesamt hatten sich an der Wahl 1012 Teilnehmer beteiligt.

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