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Opposition gegen Facelifting in Schweizer Alpen

Computersimulation des "Stockhorn-Nasenrings". stockhornbahn

Umweltorganisationen kämpfen gegen spektakuläre Bauprojekte auf Schweizer Gipfeln. Die jüngsten Projekte zeigten einmal mehr, wie die Bergwelt in gewinnbringende Spielplätze verwandelt würde, sagt der Leiter der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz.

Der Schweizer Alpen-Club (SAC) hat erneut eine Beschwerde eingereicht. Er wehrt sich damit gegen die Umzonung des Klein Matterhorns in eine Skisportzone.

Der SAC befürchtet, dass damit der Weg für den bereits seit 2006 von den Bergbahnen Zermatt geplante Hotelbau mit einer metallenen Pyramide von 117 Metern Höhe auf dem Klein Matterhorn geebnet würde.

Mit diesem Turm würde das Klein Matterhorn in die Riege der 4000er-Berge aufsteigen.

Der SAC und Umweltorganisationen wie WWF, Pro Natura, Stiftung Landschaftsschutz Schweiz, wehren sich auch gegen die geplante Aussichtsplattform auf dem markanten Stockhorn (2190 m) im Berner Oberland, die wie ein Nasenring den Gipfel durchstechen soll.

Wettkampf

Die Organisationen kritisieren, dass Tourismusfirmen im Wettkampf um immer spektakulärere Gipfelbauten keine Rücksicht auf die Berglandschaft nehmen.

In der Schweiz gibt es über 500 Seiltransportunternehmungen, die insgesamt rund 1800 Drahtseilbahnen, Skilifte, Seil- und Zahnradbahnen betreiben.

Um längerfristig im Geschäft zu bleiben, müsse heute Touristen mehr als Aussicht geboten werden, erklärt Alfred Schwarz, Geschäftsführer der Stockhornbahn, gegenüber swissinfo.ch.

Dank der einmaligen Stahlkonstruktion auf dem Stockhorn könnten die Besucher für einmal die Perspektive eines Bergkletterers einnehmen. Die geplanten Kosten für den Bau belaufen sich auf eine halbe Million Franken.

Scheinheilig

Er habe Einwände seitens der Umweltorganisationen erwartet, sagt Schwarz. Die Haltung des SAC, die selbst eine grosse Anzahl von Berghütten betreibt, findet er indes etwas scheinheilig.

«Der SAC betreibt teilweise enorm grosse Berghäuser, nehmen Sie zum Beispiel die kürzlich eröffnete Monte Rosa Hütte, die in Bezug auf die Nutzung erneuerbarer Energien katastrophal ist», sagt Schwarz. So müssten etwa Propangas oder Rapsöl für den Betrieb der Hightech-Küche mit dem Helikopter hochgeflogen werden.

Für Schwarz wird die ringförmige Plattform, die 8 Meter weit weg vom Fels angebracht werden soll, das Bild des Stockhorns nicht beeinträchtigen. Schwarz hofft, dass das Baugesuch bewilligt wird und die Plattform während der Wintersaison 2011/2012 fertiggestellt werden kann.

In der Schweiz können Umweltorganisationen gegen solche Projekte rekurrieren, die geschützte Zonen beeinträchtigen könnten oder eine Umzonung erfordern.

Während das Turmprojekt auf dem Klein Matterhorn eine Umzonung erfordert, sehen die Umweltschützer beim «Piercing» auf dem Stockhorn den Landschaftsschutz in Gefahr.

Von Fall zu Fall

Gerichte entscheiden von Fall zu Fall, sagt Lukas Bühlmann von der Schweizerischen Vereinigung für Landesplanung VLP-ASPAN. Würden in einem Gebiet bereits eine Seilbahn oder andere Infrastrukturen bestehen, dann sei die Ausgangslage anders als wenn ein Berg unberührt sei oder in einer geschützten Zone liege.

Komme ein Fall vor Bundesgericht, würden namentlich die Grösse des Baus und die Beeinträchtigung auf die Landschaft in Betracht gezogen.

Die jüngsten Bauprojekte zeigten einmal mehr, wie die Bergwelt in gewinnbringende Spielplätze verwandelt würde, sagt Raimund Rodewald, Leiter der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz.

«Die Erschliessung der Berge über die Seilbahn ist bereits eine negativer Aspekt in der Geschichte des Schweizer Tourismus. Wir glauben, dass es eine ethische Diskussion geben wird», so Rodewald.

«Es wird nicht nur die Natur in der Bergwelt zerstört, sondern auch unsere Haltung gegenüber der Natur allgemein ist angeschlagen.»

Die ersten Hotels auf Berggipfeln entstanden in den 1830er-Jahren. Der erste Bauboom erreichte während der Belle Epoque Ende 19., anfangs 20. Jahrhundert seinen Höhepunkt.

Die ersten Hotels waren nur zu Fuss oder per Maultier erreichbar, doch die Wege wurden nach und nach durch Bergbahnen ersetzt, mit Zahnrad- oder Drahtseilbahnen.

Die spektakulärste Strecke ist jene der Jungfraubahnen, fertiggestellt 1912: Diese Züge bringen Touristen in Tunnels durch die Berge Eiger und Mönch auf das Jungfraujoch auf 3454 Meter über Meer.

Der zweite Bauboom begann in den 1960er-Jahren, als der Tourismus dank der erstarkten europäischen Nachkriegs-Wirtschaft in Schwung kam: Seilbahnen, Gondeln und Sessellifte wurden zum Standard der Beförderung in den Alpen.

Laut Seilbahnen Schweiz, dem Verband, der die Interessen eines Grossteils der über 500 Seilbahnunternehmungen in der Schweiz wahrnimmt, gibt es 1796 Drahtseilbahnen, Skilifte, Seil- und Zahnradbahnen in den Schweizer Bergen.

Die höchste Bahn bringt Touristen auf 3820 Meter über Meer, knapp unter den Gipfel des Klein Matterhorns.

Die Schweiz bietet Touristen auch eine Drehgondelbahn (Titlis), die weltweit erste Doppeldecker-Seilbahn (Samnaun-Ravaisch) und plant eine Seilbahn mit offenem Oberdeck (Stanserhorn).

(Übertragen aus dem Englischen: Corinne Buchser)

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