Google kennt die Frau, «die ohne Hidschab» ist
Safa Karman will nur als der Mensch gesehen werden, der sie ist. Das gestaltet sich für sie mit und ohne Schleier schwierig.
Safa Karman ist die erste jemenitische Frau, die an der rechtwissenschaftlichen Fakultät der Harvard University studiert hat. Und nicht nur das: Sie besitzt sogar gleich zwei Master-Abschlüsse von internationalen Spitzenuniversitäten: Nebst jenem in Rechtswissenschaften aus Harvard auch einen in Politikwissenschaften von der Oxford University.
Diese akademische Biografie allerdings scheint weit weniger zu bewegen, als die Tatsache, dass sie eine Jemenitin ist, die den Hidschab abgelegt hat. Wer bei Google auf Arabisch nach ihrem Namen sucht, findet «Safa Karman ohne Hidschab» unter den obersten automatischen Ergänzungen.
Der Entscheid der Politik-Analystin wird in den sozialen Medien kontrovers diskutiert. Die Kommentare zielen auch dann noch auf ihr Erscheinungsbild, wenn sie zum Beispiel eine Analyse zum nahen Osten veröffentlicht. Wie viele weiblichen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ist sie mit dem Selbstverständnis konfrontiert, dass es ein Recht gebe, ihr Erscheinungsbild zu bewerten.
Aber im Gegensatz zu jenen Frauen, die es vorziehen, Konfrontationen zu vermeiden, hat die junge Jemenitin beschlossen, die Geschichte ihrer eigenen Identitätssuche offensiv auf YouTube zu teilen. Die «Wahrheit meiner Bekleidung» ist das Video überschrieben, die Kommentarfunktion wurde blockiert.
Unsere Gedanken sind unsere Identität
Wer Karman zuhört, erkennt, dass ihr die Entscheidung, den Hidschab oder den Nikab abzulegen, nicht leichtgefallen ist. Sie hatte den Nikab nach dem Schulabschluss getragen, wie es die Gesellschaft im Jemen erwartet. Doch sie konzentrierte sich nicht auf ihr Erscheinungsbild, sondern auf ihre Gedanken, überzeugt dass es «die Gedanken und unsere Stimmen sind, die unsere Identität ausmachen».
Doch das Gefühl festigte sich, dass das nicht genügte, um ihre Identität sichtbar zu machen. «Ich wollte, dass mich die Leute sehen, meine Gedanken und meine Stimme wahrnehmen. Daher nahm ich den Nikab ab.»
Ein zweiter Wendepunkt in Safa Karmans Leben war der Umzug in die USA, wo sie Filmproduktion studierte. Dort entdeckte sie, dass ihr Hidschab kontraproduktiv war. «Er brachte die Menschen gerade dazu, sich meinem Körper zuzuwenden. Ich hatte das Gefühl, eine Flagge zu tragen, auf der steht: ‹Seht her, ich bin eine Muslimin.'»
Sie habe unter dieser Festschreibung gelitten, erzählt sie. Auch Rassismus habe sie erlebt – und viele Vorurteile. «Manchen musste ich erklären, dass ich nicht unterdrückt werde», sagt sie. Schliesslich wurde es ihr zu viel – und sie entschloss sich, den Hidschab abzulegen.
«Der Westen ist nicht besser»
Aus ihren Erfahrungen schloss die junge Jemenitin, dass der Westen nicht besser sei als ihre Herkunftsgesellschaft. Überall auf der Welt würden Frauen nach ihrer Erscheinung und Kleidung beurteilt. Sie fragt sich deshalb, ob Frauen überhaupt irgendwo Entscheidungsfreiheit haben. Sei es religiöser Extremismus oder ein politischer männlicher Autoritarismus, irgendein Geflecht von Faktoren wirke immer auf den Körper und das Erscheinungsbild von Frauen ein.
«Die Konflikte sind das Ergebnis unserer unvollkommenen Menschlichkeit, unserer Furcht vor dem Andersdenkenden, vor Veränderung», ist Karman überzeugt und bilanziert: «Wir werden als Menschen nicht vollkommen sein, bis wir uns an die Stelle des anderen setzen. Erst dann werden wir Brücken bauen.»
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