Schweinegrippe: Das Gesundheitspersonal ist gefordert
Die Impfkampagne gegen die Schweinegrippe läuft Mitte November in der Schweiz an. Neben Risikogruppen sollen sich zuerst Personen impfen lassen, die im Gesundheitswesen arbeiten. Die Impfung ist zwar freiwillig, doch ein gewisser Druck auf das Personal ist da.
Einen gesetzlichen Impfzwang für das Personal in Spitälern gibt es nach Aussagen von Roswitha Koch, Leiterin Fachbereich Berufsentwicklung beim Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK), und Beat Ringger, Sekretär des Verbandes des Personals öffentlicher Dienste (VPOD) für Gesundheitspolitik, nicht. Empfehlungen hingegen schon, wie sie gegenüber swissinfo.ch sagen.
«Impfen kann im Interesse der Betroffenen sein, und es kommt sicher vor, dass Spitäler ihrem Personal nahelegen, sich impfen zu lassen», sagt Koch. Die Situation sei vergleichbar mit jener der saisonalen Grippe, wo das Personal auch angehalten werde, sich zu impfen. «Es impfen sich aber jeweils lediglich zwischen 20 und 30% des Pflegepersonals gegen die saisonale Grippe.»
Impfung bei Arbeit mit Risikogruppen
Es bestehe ein Druck beim Gesundheitspersonal, sich seriös mit der Impffrage auseinanderzusetzen, sagt Ringger. «Der VPOD gibt keine Empfehlung an das Gesundheitspersonal, das soll jede Person für sich und nach ihrem Gewissen entscheiden.» Für die meisten Leute sei es wichtig, die Patienten zu schützen. «Deshalb ist die Bereitschaft, sich zu impfen, natürlich hoch.»
Der SBK lade das Gesundheitspersonal ein, die Faktenlage zu prüfen, speziell jene Angestellte, die eng mit Personen zusammenarbeiten, die Risikogruppen angehören. Hier sei es naheliegend, sich impfen zu lassen, so Koch.
Für Jacques de Haller, Präsident der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH), geht es hier nicht um Freiwilligkeit, sondern um persönliche Verantwortlichkeit von Ärzten und Pflegepersonal. «Die Schweinegrippe ist zwar keine schlimme Grippe, sie ist es nur für Risikogruppen, und diese müssen geschützt werden, durch Impfung natürlich. Aber auch das Pflegepersonal, das mit dieser Gruppe arbeitet, muss geimpft werden», sagt er gegenüber swissinfo.ch.
Noch wenig Erfahrungen mit den Impfstoffen
Der Direktor des Bundesamtes für Gesundheit (BAG), Thomas Zeltner, ist von der Sicherheit und dem Nutzen der zwei Impfstoffe von Novartis und GlaxoSmithKline überzeugt. «Wir verfügen heute über sichere und getestete Impfstoffe», sagte er am Freitag vor den Medien.
Was BAG-Direktor Zeltner sagte, könne sie nicht unterschreiben, räumt SBK-Vertreterin Roswitha Koch ein. Dazu fehlten die Grundlagen. Sie wisse lediglich, dass die Impfstoffe vom Schweizerischen Heilmitteinstitut Swissmedic bewilligt wurden. «Deshalb gehe ich davon aus, dass doch etwas dran ist an der Aussage von Herrn Zeltner.»
Beat Ringger findet dagegen die Aussage des BAG-Direktors gewagt und ein Bisschen problematisch. «Gerade weil diese Impfstoffe noch nicht lange in Gebrauch sind, ist es verfrüht, solche Lobeshymnen zu äussern. Man muss genau zuschauen, ob sich Nebenwirkungen zeigen.»
FMH-Präsident de Haller seinerseits betont, die Impfstoffe seien getestet und geprüft worden. «Sie sind sicher, da gibt es kein Problem.»
Pandemie-Hysterie?
Das BAG spricht von einer ersten Pandemiewelle, welche die Schweiz erfasst hat, und kündigt für 2010 bereits eine zweite an. Dies, obwohl es in der Schweiz bisher keine Todesfälle und lediglich etwa 30 Hospitalisierungen gegeben hat.
Hysterie wäre für Koch fehl am Platz, da die Schweinegrippe-Welle bisher sehr milde verlaufen sei. Der weitere Verlauf sei aber schwierig vorauszusehen.»Wir haben bis jetzt einfach Glück gehabt, dass diese Krankheit nicht schlimmer verläuft.»
Für den VPOD-Vertreter ist es wichtig, sich mit der Krankheit auseinanderzusetzen, um einer allfällig wirklich bedrohlichen Pandemie entgegen zu wirken. «Das andere ist die aktuelle Schweinegrippe. Da wird teilweise eine Hysterie erzeugt, die nicht mit der Schwere der Erkrankung übereinstimmt. Bisher ist der Verlauf der Schweinegrippe harmloser als der Verlauf mancher Grippeepidemien, die wir in den letzten Jahren gekannt haben.»
Von einer Pandemie-Hysterie könne nicht die Rede sein, sagt der FMH-Präsident. In der Schweiz sei die Schweinegrippe-Welle mild verlaufen, aber in England habe es bereits über 200 Todesopfer gegeben, in den USA mehr als 1000. «Wir haben die Pflicht, alles gut vorzubereiten. Es geht nicht um Hysterie, sondern um Prävention», so de Haller.
Wer profitiert?
Dass die Impfstoffe gratis für alle sind und von Bund, Kantonen und Krankenkassen finanziert werden, findet Koch positiv.»Sonst hätte das jeder aus der eigenen Tasche bezahlen müssen.»
Bund, Kantone und Krankenkassen kostet die Impfaktion laut BAG-Direktor Zeltner 93 Millionen Franken. Gelder, die zu einem guten Teil in die Kassen der beiden Chemiekonzerne Novartis und GlaxoSmithKline gehen. Ein Umstand, der VPOD-Vertreter Ringger stört.
«Das ist eine zentrale Problematik. Es geht nicht nur um die Frage, wer kassiert hier ab. Es geht auch um die Frage, wer hat denn überhaupt die Entscheidungsmacht über die Entwicklung von Impfstoffen und deren Verwendung. Die Weltgesundheits-Organisation WHO kritisiert die Pharmaindustrie seit Jahren, weil diese dazu tendiert, Impfstoffe erst zu entwickeln, wenn der Virus genau bekannt ist. Bei einer gefährlichen Pandemie wäre es dann möglicherweise zu spät.»
Die Pharmaindustrie wolle keine Investitionen auf Risiko hin tätigen. Da stelle sich die Frage des Aufbaus öffentlich-rechtlicher Pharmakonzerne, um rechtzeitig mitentscheiden zu können, welche Impfstoffe entwickelt werden, «und nicht abhängig zu sein von einer Industrie, von der wir wissen, dass die Gewinnorientierung einen ganz hohen Stellenwert hat».
Ganz anderer Meinung ist FMH-Präsident de Haller. «Wir haben Glück, dass es diese Impfstoffe gibt. Natürlich macht die Pharmaindustrie Geld damit. Die Gesellschaft ist einfach so organisiert: Leute produzieren etwas, machen Geld daraus, aber die anderen profitieren auch. Wir brauchen diese Medikamente, und ich bin froh, dass wir sie haben.»
Jean-Michel Berthoud, swissinfo.ch
Eine Schweinegrippe-Erkrankung verläuft bei den meisten Menschen ohne Komplikationen.
Die Komplikationen können jedoch insbesondere bei jungen Erwachsenen schwerwiegender sein als bei einer «normalen» Grippe.
Ein erhöhtes Komplikationsrisiko besteht für Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten, schwangere Frauen, Säuglinge, an chronischen Krankheiten leidende Personen (Asthma, Lungenkrankheiten, zystische Fibrose, chronische Herzerkrankungen, angeborene Herzfehlbildungen, Diabetes, Nierenerkrankungen, Erkrankungen des Blutes).
Zu den Risikogruppen zählen auch Personen mit angeborener Immunschwäche sowie über 65-Jährige.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch