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Schweizer Bio-Markt wächst, dank Importen

Bio-Salat: Mehr Rohfasern und mehr Vitamine, besagen Studien. Und mehr Geschmack, sagen Bio-Konsumenten. Keystone

Der Schweizer Bio-Markt ist 2010 weiter gewachsen. Erkauft wurde dies durch steigende Importe. Die Zahl der Bio-Betriebe nahm weiter ab, wenn auch weniger stark. Der Verlust von Produktionspotenzial ans Ausland gibt Bio-Pionier Urs Niggli zu denken.

Zwar spricht der Dachverband Bio Suisse am Mittwoch von einer positiven Trendwende: Erstmals seit 2004 gab es letztes Jahr mehr Neuanmeldungen als Aussteiger.

Aber Fakt ist auch, dass in den letzten Jahren die Zahl der Bio-Betriebe und die Fläche des Bio-Landbaus in der Schweiz abgenommen haben, wenn auch 2010 nicht mehr so stark wie in den Jahren zuvor. «Zu strenge Auflagen, zu grosser Aufwand», so der Tenor.

2010 vermeldete Bio Suisse 5913 Bio-Höfe. Von den 53’561 Bauernbetrieben, die es 2009 in der Schweiz noch gab, waren 5935 oder gut elf Prozent zertifizierte Bio-Höfe. Im Jahr davor waren noch 6111 Bio-Betriebe gezählt worden, 2007 deren 6249.

Für Urs Niggli, seit 1990 Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) in aargauischen Frick, sendet der rückläufige Trend ein widersprüchliches Signal aus. «Landwirte wollen zwar hochwertige Produkte herstellen, für die sie gute Preise lösen können, aber dazu ist ihnen der Aufwand zu hoch», sagt der Professor und Bio-Pionier gegenüber swissinfo.ch.

Schweiz verliert Kompetenz

Mehr beunruhigt als über solche Klagen zeigt er sich aber über den Verlust von Produktionspotenzial für hochwertige Nahrungsmittel ans Ausland, weil die steigende Nachfrage im Inland mit Bio-Importen gedeckt werden muss.

«Die Schweiz ist bei Produkten mit sehr hoher Verarbeitungsqualität wie Bio konkurrenzfähig, nicht bei Massenware, die nach den Richtlinien der Integrierten Produktion (IP) oder nach konventioneller Methode angebaut wird», sagt Niggli. Dies gelte bei den Äpfeln, bei der Rösti, beim Brot wie bei der Milch und beim Käse. Widerspiegle zudem ein Produkt den Charakter der Herstellerregion authentisch, sei die Wertschöpfung noch einmal höher. Zur Klärung: Die Richtlinien der Integrierten Produktion besagen, dass Bauern  Düngemittel- und Pestizie nur begrenzt einsetzen dürfen.

Im Schnitt erzielen Bio-Landwirte 15% höhere Erlöse als ihre Kollegen. Offenbar ein zu geringer Anreiz, um die spezifischen Produktionsrisiken – meist in Form von Wettereinflüssen – zu kompensieren, meint Niggli. «Wer gemäss den IP-Richtlinien wirtschaftet, hat im Vergleich zu Bio-Bauern ein Leben mit weniger Stress.»

Einzigartiges Knowhow 

Der Dachverband der Schweizer Biolandbau-Organisationen Bio Suisse, der über 90% der Schweizer Biobetriebe mit der grünen Knospe zertifiziert hat, setzt dem rückläufigen Trend eine Bio-Offensive entgegen. Ziel der seit einem halben Jahr laufenden Kampagne ist es, wieder mehr Bauern für den Bio-Anbau zu gewinnen.

Das FiBL, das international zu den führenden Instituten im Bereich biologische Lebensmittel gehört, ist wichtiger Pfeiler der Kampagne, ebenso die landwirtschaftlichen Schulen der Kantone. «Nirgends wird den Bauern mehr Know-how über neue Anbautechniken und Produktionsbedingungen im Bio-Bereich zur Verfügung gestellt als in der Schweiz», sagt FiBl-Direktor Niggli.

Zwar würde er «ein klareres Signal der Agrarpolitik» zugunsten des Bio-Landbaus begrüssen, doch primär setzt Niggli auf den Markt. Auf dem behauptet Coop als Bio-Pionier unter den Schweizer Detailhandelsriesen die Leaderposition. Seit einem Jahr tritt aber auch die Migros konsequenter auf dem Bio-Markt auf.

Discounter auf Bio-Trip 

Bio-Produkte werden zunehmend auch beim Harddiscounter Aldi strategisch positioniert. Das sollte automatisch wieder zu mehr Umstellungen hin zum Biolandbau führen, wenn die Schweizer Landwirtschaft nicht Produktionspotential ans Ausland verlieren wolle, ist Niggli überzeugt.

Für Bio-Frischprodukte, ob aus der Schweiz oder importiert, gelten dieselben Bestimmungen: Verzicht auf Pestizide und Düngemittel und Respektierung des Tierwohls.

Bei Fertigprodukten wie beispielsweise Tiefkühlpizza dagegen lägen die Verarbeitungs-Richtlinien in der Schweiz über den Bestimmungen der Europäischen Union (EU), sagt Niggli.

Grosse wachsen, Kleine verschwinden

Ob die Schweizer Bio-Landwirtschaft auch unter Mithilfe von Aldi und Lidl neue Knospen treibt, bleibt abzuwarten. Bereits heute aber zeigen sich auf dem Bio-Markt Zeichen einer zunehmenden Kannibalisierung: Die Grossen werden grösser, die Kleinen verschwinden.

Ende März muss in Bern «Vatterland» seine Türen schliessen. Das Geschäft war 1992 als erster «100% biologischer Supermarkt» der Schweiz gegründet worden. Andere Läden aus den Bio-Boomjahren Ende 1980er-/Anfang 1990er-Jahre kämpfen ums Überleben, teils schon seit Jahren.

Die Gretchenfrage

«Bio ist nicht gesünder»: Mit diesem Fazit sorgten britische Wissenschafter 2006 für Irritationen bei Fachleuten und Konsumenten. Die Frage, ob Bio-Produkte messbar gesünder sind als konventionell angebaute, lässt Urs Niggli offen. «Dazu bedürfte es grosser Studien, in denen tausende Menschen befragt und ihre Ernährungsgewohnheiten über mehrere Jahre verfolgt werden müssten.»

Bio-Produkte seien genauso gesund wie konventionelle, lautet Nigglis lakonisches Fazit. Für Konsumenten sei ausschlaggebend, dass Bio-Produkte keine oder nur minimste Rückstände von Schadstoffen wie Pestiziden, Nitrat oder Schwermetallen aufweisen und garantiert frei sind von gentechnisch veränderten Organismen (GVO).

Durch Studien belegt ist laut Niggli dagegen, dass Bio-Produkte mehr Rohfasern und Vitamine enthalten. Ebenso wiesen sie einen erhöhten Anteil an bioaktiven Stoffen auf. Das sind so genannte Antioxidantien, welche als eine Art Schutzengel der Körperzellen funktionieren.

Relationen wahren

«Erste Priorität hat aber eine gesunde Ernährung mit viel Gemüse und Früchten und eher wenig Fleisch – also lieber konventionelles Gemüse und Salat als nur Bio-Pizza und Bio-Wurst», lautet sein Credo.

Eines darf man aber trotz allem Dafür und Dawider nicht vergessen: Bio-Produkte sind, positiv formuliert, nach wie vor eine Exklusivität. Marktführer Coop kommt bei den Lebensmitteln gerade mal auf einen Bio-Anteil von acht Prozent.

Im vergangenen Jahr steigerte der Biomarkt seinen Umsatz um 6,1% auf 1,639 Milliarden Franken.

In der Westschweiz ist die Nachfrage nach Bioprodukten mit 7,2% etwas stärker.

Der Bio-Fachhandel musste 2010 eine Umsatzeinbusse von 30 Mio. Fr. (-13%) hinnehmen.

Zulegen konnten hingegen Grossverteiler, Detailhandelsketten, Discounter und Direktvermarkter.

Bio Suisse ist der Dachverband der Schweizer Knospe-Betriebe und Eigentümerin der eingetragenen Marke Knospe.

Träger sind rund 5700 Knospe-Bauern und Knospe-Gärtner, die in 32 Mitgliedorganisationen organisiert sind.

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