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Schweizer Legehennen gackern auf höchstem Niveau

In der Voliere des zertifzierten Geflügelhofs in Gals (BE) dürfen höchstens 6000 Hennen untergebracht werden. swissinfo.ch

Bio-Eier haben im Schweizer Detailhandel einen Marktanteil von fast 20 Prozent. Den Unterschied zwischen Bio- und andern Eiern macht der Lebenswandel der Hennen aus. swissinfo.ch hat das Leben zweier Legehennen aus den höchsten Qualitätsklassen verglichen.

Nennen wir sie Henriette*, obschon sie nur eine von Tausenden namenlosen Hennen ist, die Eier der Qualitätsklasse Coop Naturafarm (CNF) produzieren. Als CNF-zertifizierte Henne hat Henriette eines der besten Lose gezogen, die es für Hühner weltweit gibt. Eine noch bessere Lebensqualität hat einzig die privilegierte Minderheit der Bio-Hennen.   

Henriette hatte im Sommer 2011 das künstliche Licht der Brüterei Prodavi SA erblickt. Gemeinsam mit ein paar Tausend andern geschlüpften weiblichen Küken verliess sie noch gleichentags ihren Geburtsort in Oberkirch (LU) am Sempachersee. Die Plastikschachtel, in der sie auf dem Transport untergebracht war, musste sie mit 99 andern Eintages-Küken teilen. Zum Glück dauerte die Fahrt ins Aufzuchtlager in Safnern (BE) bei Biel nur rund eine Stunde. Dort, in einem ebenfalls CNF-zertifizierten Stall mit Wintergarten des Geflügelzüchters Markus Rhis, verbrachte Henriettes 6000-köpfige Junghennen-Herde die Kindheit.

Hähnchen taugen zu nichts

Henriettes Brüder und alle andern «Hähnchen», die in der selben Brüterei geschlüpft waren, befanden sich zu dieser Zeit bereits in der Gaskammer. Weil sie naturgemäss keine Eier legen, aber auch als Masthähne nichts taugen würden, sind sie für die Menschen nutzlos.

Dieses Schicksal teilen sie übrigens weltweit mit fast allen Hähnchen der fürs Eierlegen spezialisierten Hühnerlinien, ob sie nun das Prädikat Bio, Freiland, Boden- oder Batterie-Haltung tragen (Vgl. rechte Spalte).

Den Weibchen der Legerasse ist das Schicksal oder der Mensch besser gesinnt, vor allem in der Schweiz, wo strenge Tierschutzvorschriften eine möglichst artgerechte Hühnerhaltung sicherstellen sollen, auch für nicht zertifizierte Hennen.  

Im zarten Alter von 18 Wochen – Henriette und ihre Artgenossinnen hatten bereits Geschlechtsreife erreicht – wurde die ganze Jungschar ins 30km entfernte Gals zwischen dem Bieler- und Neuenburgersee verkauft, auf den CNF-Betrieb der Gebrüder Martin und André Schreyer.

Dort, in einer von vier Volieren, produzieren die 6000 Hennen nun bereits seit 6 Monaten täglich fast ebenso viele CNF-Eier im Wert von 23 Rappen pro Stück. Soviel jedenfalls kriegen die Gebrüder Schreyer vom Grossverteiler Coop, der sie den Konsumenten für 60 Rappen weiterverkauft.

Um 2 Uhr in der Früh sorgt die automatische Lichtanlage in Henriettes Stall für Tagwacht, damit bereits einige Eier gelegt sind, wenn Bauer Schreyer bei Tagesanbruch mit dem Eierlesen beginnt.

Hühner sind Angsthasen

Obwohl die Unterkunft den strengen CNF-Tierschutzbestimmungen für Freiland-Hühner entspricht, ist das Gedränge und der Lärmpegel im Stall tagsüber beträchtlich. Wasser und Futter, Scharraum mit Einstreu, Legenester, Sandbäder und Sitzstangen auf zwei Etagen sind reichlich vorhanden. Trotzdem wird die Hackordnung dauernd neu ausgegackert. Einzelne unbeliebte Hennen werden von andern zuweilen gepiesackt, in einzelnen Fällen bis zum bitteren Ende.

Ob solche Aggressionen wegen der Massenhaltung oder aus andern Gründen auftreten, darüber streiten sich die Experten. In vielen Grossbetrieben im Ausland, wo auch Herden von 100’000 und mehr Legehennen keine Seltenheit sind, werden die Schnäbel der Hühner prophylaktisch gekürzt. In der Schweiz verbietet dies das Tierschutzgesetz.

Henriettes Herde steht ein grosszügiger Wintergarten zur Verfügung, den die Hennen täglich ab 10 Uhr aufsuchen können. Und bei trockenem Wetter öffnet sich jeweils auch noch das Gatter auf die fast Hektaren grosse Weide.

Henriette gehört zur waghalsigen Minderheit, die sich bis weit hinaus ins Grüne wagt. Fast alle Hennen gehen täglich mindestens einmal ins Freie, viele allerdings nur für kurze Zeit. Ihre neugierige, aber schreckhafte Wesensart und das Bedürfnis, ständig Nahrung zu picken, hält sie den ganzen Tag auf Trab – meistens in der Nähe des Legeplatzes im Stall, wo es auch reichlich Futter hat.

Charlotte aus der Oberschicht

In Henriettes Geburtsstätte Oberkirch hatte auch das Bio-Leben von Charlotte* begonnen. Aber Charlotte kam nicht in der Prodavi-Brüterei für gewöhnliche Küken, sondern in der nur wenige hundert Meter entfernten Brüterei Bibro zur Welt. Biologische Qualität hatte nämlich bereits Charlottes Brutei besessen, aus dem sie Ende September 2011 geschlüpft war. Bio-Küken stammen aus besten Verhältnissen, auch ihre Eltern lebten schon «biologisch».

Deshalb musste Geflügelhalter Hans Hofmann aus Richigen (BE) in der Nähe von Bern, bei dem die 2000 Bio-Küken aus Charlottes Herde während der Aufzucht untergebracht waren, rund 5 Franken pro Stück bezahlen, fast einen Franken mehr als für gewöhnliche Ein-Tages-Küken.

18 Wochen später kosteten die edlen Junghennen, die vom ersten bis zum letzten Tag ihres Lebens nur teures Futter biologischer Qualität picken, bereits 25 Franken, rund 10 Franken mehr als gewöhnliche Hennen.

Dem Bio-Bauern Bruno Bigler im 4km entfernten Vielbringen (BE) waren sie es wert, schliesslich legt ihm jede der rund 2000 Hennen schon seit Ende Januar fast täglich ein Bio-Ei, für das er vom Zwischenhändler 43 Rappen pro Stück erhält. Der Grossverteiler Migros verkauft Charlottes Eier schliesslich dem Endverbraucher für fast das Doppelte.

Weniger Lärm, mehr Platz

In Sachen Infrastruktur unterscheiden sich Charlottes und Henriettes Unterkunft kaum. Aber weil Henriettes Herde dreimal grösser ist als jene von Charlotte, steht den Bio-Hennen sowohl in der Voliere, als auch im Wintergarten und auf der Weide deutlich mehr Raum zur Verfügung (Vgl. Fotogalerie in der rechten Spalte). Entsprechend geringer ist das Gedränge und der Lärmpegel des Gackerns.

Trotzdem werden auch auf dem Biohof einzelne Hennen von andern gepiesackt. Bauer Bigler nimmt die Geplagten jeweils aus der Herde heraus in Pflege. Aber manchmal bemerkt er es auch zu spät.

Nach rund einem Jahr wird Charlotte immer mehr Eier mit brüchigen Schalen legen. Dann rückt das letzte Stündchen näher, weil sie auch nichts mehr wert sein wird. Früher wäre ihr Wert sogar in den Minusbereich abgetaucht, weil für die Entsorgung der Hennen sogar noch bezahlt werden musste.

In wenigen Wochen wird Charlotte eines Nachts aus dem Schlaf gerissen und – verpackt in 16-plätzigen Plastic-Kisten – mit dem Laster einer für Geflügeltransporte spezialisierten Firma – ins süddeutsche Erdingen verfrachtet werden. Dort wird sie bei der Firma Bio-Geflügel-Stauss verwurstet, in die Schweiz zurückgeschickt und als Bio-Geflügelcervelat in den Migros-Verkaufsregalen feilgeboten werden.

Auch die CNF-zertifizierte Henriette aus Gals wird im süddeutschen Erdingen enden. Charlotte und Henriette gehören zu einer wachsenden Zahl der sogenannten Suppenhühner, die heute wieder zu Lebensmitteln veredelt werden. Rund ein Drittel der rund 1,8 Millionen Legehennen, die in der Schweiz pro Jahr das Zeitliche segnen, werden für die Energiegewinnung vergast.

*Richtiger Name der Henne ist der Redaktion nicht bekannt.

Bio-Lebensmittel erreichten 2011 erstmals einen Marktanteil von über 6 Prozent.

Der Anteil von Frischprodukten, die über zwei Drittel des Bio-Marktes ausmachen, liegt bei 8%.

Den höchsten Marktanteil, nämlich fast 20% erreichen Eier, gefolgt von Brot, Gemüse (inkl. Salat und Kartoffeln) und Milch.

Bio Suisse Tiere sollen artgerecht gehalten werden und möglichst viel Zeit in natürlicher Umgebung unter freiem Himmel verbringen können – im Sommer wie im Winter.

Sie fressen mehrheitlich betriebseigenes Biofutter. Im Krankheitsfall sollen sie zuerst mit Methoden der Komplementärmedizin behandelt werden.

Die Entfaltung des arteigenen Verhaltens, Gesundheit, Vitalität und Widerstandskraft der Tiere sind wichtiger als Höchstleistungen, heisst es in den Richtlinien.

Die heutige Hühnerzucht ist hoch spezialisiert. Es gibt Zuchtlinien, die sich durch hohe Legeleistung auszeichnen, und solche, die in Kürze viel Fleisch ansetzen.

Bei den auf hohen Fleischzuwachs gezüchteten Hühnerlinien werden Männchen und Weibchen gemästet. Wer ein Poulet kauft, isst ein männliches oder ein weibliches Tier.

Bei den auf hohe Legeleistung gezüchteten Hühnerlinien sind naturgemäss nur die Weibchen nutzbar. Weil die Männchen wegen der einseitigen Zucht kaum Fleisch ansetzen, lohnt sich eine Mast nicht. Sie sind nutzlos.

Allein in der Schweiz werden jedes Jahr fast zwei Millionen männliche Küken von Legehühnern gleich nach dem Schlupf vergast.

Bisher ist es nicht gelungen, eine Hühnerlinie zu entwickeln, die sowohl auf gute Eierleistung als auch auf guten Fleischzuwachs gezüchtet ist.

Zweinutzungsrassen gibt es zwar, aber ihre Leistungen sind dürftig: Sowohl die Eier wie das Fleisch wären zu teuer.

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