Schweizer verhalten sich am europäischsten
Die Schweizer fühlen sich sowohl als Schweizer als auch als Europäer. Und für sie stehen die kulturellen Werte des Kontinents an oberster Stelle. Zu diesen Schlussfolgerungen kommt der internationale Forschungsbericht "European Mindset".
Die Schweizer vertrauen ihren Institutionen am meisten und sind die einzigen, welche die Arbeit ihrer Politiker gutheissen. Sie sind diejenigen Europäer, welche die in- und ausländische Presse am häufigsten lesen. Und zur Euthanasie, der Sterbehilfe, haben sie ein ungestörtes Verhältnis.
Der internationale Forschungsbericht «European Mindset», herausgegeben von der Stiftung der spanischen Bank BBVA, untersucht die Identität und die Beziehungen der Bürger von 14 europäischen Staaten zu ihrem Kontinent und erforscht eine breite Palette gemeinsamer Werte von Politik über Wirtschaft bis zu Religion und Ethik.
Vertrauen in die Institutionen
Dänemark, die Schweiz und Portugal haben am meisten Vertrauen in ihre Institutionen, während diese in Bulgarien, Grossbritannien und der Türkei nur geringes Ansehen geniessen.
Am höchsten bewerten die Schweizer die Universitäten, Gerichte und Unternehmen. Ähnlich wie in den anderen 13 Ländern gehören Ärzte, Lehrer und Wissenschaftler zu den vertrauenswürdigsten Berufsgruppen.
Politiker fallen in allen Ländern durch, ausser in der Schweiz, wo sie auf einer Skala von 0-10 die Note 5,4 erhalten.
In Spanien, Polen, Portugal und Grossbritannien stösst Politik im Gegenteil zu Dänemark (6,7) und der Schweiz (6,5) kaum auf Interesse.
Sowohl Schweizer als auch Europäer
In allen untersuchten Ländern identifizieren sich die Bürger zuerst mit ihrer nächsten Umgebung und anschliessend mit ihrem Land und nicht mit Europa.
So fühlen sich 36,2% der Schweizer nur als Schweizer; 31,8% eher als Schweizer denn als Europäer, und 28,6% antworteten, sich sowohl mit der Schweiz als auch mit Europa zu identifizieren.
Obwohl die Schweiz nicht Mitglied der EU ist, fühlen sich im Vergleich zu den übrigen Ländern mehr Bürger auch als Europäer. Es folgen Belgien (28%) und Spanien (26,6%). Am anderen Ende stehen Grossbritannien (5%) und die Türkei (4,4%).
Die Schweizer schätzen auch die gemeinsamen Werte Europas (87%) am höchsten ein, gefolgt von den Deutschen (82,3%) und den Dänen (77,8%) und zwar in sämtlichen untersuchten Bereichen: Wirtschaft (77%), Ethik (82%) und Religion (78,4%). Türken, Bulgaren, Griechen und Engländer nehmen hingegen die Übereinstimmung gemeinsamer Werte am wenigsten wahr.
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Grosses Interesse für europäische Nachrichten
Gelesen wird am meisten in Schweden und in der Schweiz: So lesen über 65% der Bevölkerung die Tagespresse und übertreffen bei weitem den europäischen Durchschnitt von 34,3%. Das Schlusslicht machen Griechenland und Polen.
Auf einer Skala bis 10 interessieren sich die Schweizer am meisten für Nachrichten des Kontinents (7,4), vor den Portugiesen, Griechen, Bulgaren und Dänen. Der EU-Durchschnitt beträgt 6,2.
Die Schweizer zeigen auch das grösste Interesse für aussereuropäische Nachrichten und lesen sowohl lokale als auch regionale Informationen. Die bevorzugten Themen sind Gesundheit, Ökologie und Wirtschaft.
86% der befragten Schweizer Staatsangehörigen gaben an, einen anderen europäischen Fernsehkanal gesehen oder eine europäische Zeitschrift gelesen zu haben. Der Durchschnitt der untersuchten EU-Staaten beträgt nur 20,1%. Dänemark, Schweden und Belgien befinden sich mit 50% am oberen Ende.
Beziehungen zu Europa
Die Dänen, Schweden und Schweizer reisen am häufigsten in andere europäische Länder. 87% der Schweizer gaben an, mindestens einmal ferien- oder berufshalber gereist zu sein.
Die Portugiesen und Schweizer (45%) haben die grösste Zahl von Familienangehörigen in anderen europäischen Ländern, sind mit ihnen in Kontakt und besuchen sie auch.
57% der Schweizer haben Freunde auf dem europäischen Kontinent und führen die Liste vor den Schweden und Dänen an. Der Durchschnitt der im Bericht erwähnten 12 EU-Länder beläuft sich auf 29,1%.
Religion und Ethik
Mit Note 8 befürworten die Schweizer gefolgt von Belgien und Dänemark die Sterbehilfe (Euthanasie), während die Türken sie ablehnen.
79% der Schweizer bekennen sich zu einem Glauben. An erster Stelle stehen die Türken (97,4%) vor den Griechen (94%) und den Polen (92,6%). Auf der Skala der Religiosität von 0-10 erhalten die Schweizer Note 5,8. 3,1% geben an, Atheisten zu sein und werden so knapp von den Italienern (3,6%) und Engländern (3,3) übertroffen.
60,4% der Schweizer äusserten sich gegen das Tragen des Kopftuches in Schulen und liegen so weit über dem europäischen Durchschnitt von 52,6%. Nur 9,3 % haben keinen Einwand und 26,4 % keine Meinung.
Am stärksten ist die Ablehnung des Schleiers in Bulgarien, Frankreich, Deutschland, Griechenland und Belgien.
Iván Turmo, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Spanischen: Regula Ochsenbein)
Die Forschungs-Studie «European Mindset» wurde von der Stiftung der spanischen Bank BBVA durchgeführt.
Sie umfasste 12 Länder der EU (Belgien, Bulgarien, Dänemark, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Italien, Polen, Portugal, Spanien, Schweden und Grossbritannien) sowie die Schweiz und die Türkei.
In jedem Land wurden zwischen November und Dezember 2009 je 1500 Personen über 15 Jahren befragt.
In den EU-Ländern sind 36% der Bevölkerung Mitglied eines Vereins.
Besonders wichtig ist das Vereinswesen in den skandinavischen Ländern, wo mehr als 70% zumindest einem Verein angehören.
An zweiter Stelle stehen Belgien, die Schweiz und Deutschland, wo mehr als 50% in einem Verein mitmachen.
31,7% der Schweizer sind Mitglied einer Sport- oder Freizeitorganisation.
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